Ich bin in einer Siedlung mit sehr vielen Kindern aufgewachsen, in der Mitte hatte es eine grosse Wiese, und wir haben immer Fussball gespielt. Sehr schnell habe ich mich in den Ball verliebt, und ab da begleitete er mich immer, in die Ferien, an den Wochenenden. Auch sonst war ich immer sehr gern draussen, war immer ein Bewegungsmensch, und Fussball war das Einfachste, das, was man immer spielen konnte.
Meine Eltern sind in Prag aufgewachsen, vor vierzig Jahren sind sie in die Schweiz geflüchtet. In Tschechien war meine Mutter Krankenschwester und Tanzlehrerin, und sie dachte sich wohl: meine Tochter hat wahrscheinlich ein rhythmisches Gefühl. Und sie schickte mich in den Tanzunterricht. Doch schnell hat sie gemerkt, dass ich viel mehr Spass auf dem Fussballplatz habe. Im Migros sah sie ein handgeschriebenes Inserat, mit dem der FC Seuzach Frauen suchte für ein Team. So trat ich in die erste Frauenmannschaft ein. Das war, als ich siebenjährig war, und jetzt bin ich 34. Lange her…
Frauenfussball hat mich so sozialisiert, dass ich gemerkt habe, Prioritäten zu setzen im Leben und auch diszipliniert zu bleiben. Ich machte die Lehre als medizinische Praxisassistentin, hatte einen Chef, der mir die Möglichkeit gegeben hat, dass ich an die Zusammenzüge der Nationalmannschaft gehen konnte. Das hat mir ermöglicht, dass ich den Beruf und den Sport unter einen Hut bringen konnte.
Die Strukturen im Frauenfussball sind so, dass man immer am Abend trainiert. Das heisst: Viermal pro Woche Training, tagsüber war ich an der Berufsschule oder in der Praxis. Rückblickend frage ich mich zuweilen schon, wie ich das alles geschafft habe, aber Fussball war eine extreme Leidenschaft, und ich habe auch heute nie das Gefühl, dass ich irgendwas verpasst habe.
Der Frauenfussball hat mir sehr geholfen. Ich hatte dadurch sehr viele Frauen als Vorbilder, ich war auch immer die Jüngste, sie haben mich überallhin mitgenommen, das hat mir sehr gut getan. Im Nachhinein bin ich sehr dankbar, dass ich diesen Weg gehen konnte. Ich erhielt dadurch einen gesunden Bezug zum Leben, zum Sport, ich konnte mich auch distanzieren vom Fussball. Viele Kolleginnen sind dann auch ausgestiegen…
Als Trainerin ist es mir sehr wichtig, dass ich die Spielerinnen abholen kann von ihrem Alltag. Es liegt mir am Herzen, dass ich ihre psychologischen Grundbedürfnisse stille. Ich möchte, dass sie Zugehörigkeit erleben können, dass sie sich in einem Team fühlen. Zugehörigkeit bedeutet etwa auch, dass ich sicher jeden Namen einmal im Training sage, dass ich sie ansprechen kann. Und ich möchte, dass sie Kompetenzen erleben und als Spielerinnen ihre Kompetenzen zeigen können. Was bedeutet: ich zeige im Training wenig vor. Wir finden die Lösung zusammen.
Autonomie ist ein weiterer wichtiger Pfeiler. Ich versuche auch das zu stillen, was natürlich schwierig ist mit 24 Spielerinnen und dem Staff im Boot. Es geht aber um Möglichkeiten zum Mitbestimmen. Sie sollen unseren Weg, unser Ziel oder die Richtung, in welche es gehen soll, mitbeeinflussen. Das beginnt bei kleinen Sachen. Beispielsweise: Wohin gehen wir ins Trainingslager? In diesen Diskussionen spielen manchmal auch politische Themen mit rein, etwa, dass man nicht unbedingt in die Türkei reisen will. Sie haben auch eine Spielerinnensitzung ohne Staff, während der sie Themen diskutieren, die uns nichts angehen, und anschliessend können sie zu uns kommen und uns mitteilen: «das ist uns wichtig, und das würden wir gerne anpassen.»
Ich arbeite stark im Bereich Teampsychologie. Und in den Bereichen Teamlokomotion und Teamkohäsion. Du weisst, was das ist? Nun, Teamlokomotion bedeutet: Du musst ein Ziel haben. Teamkohäsion ist die Teamzugehörigkeit. Wenn du zu viel Kohäsion hast, bist du ein sogenanntes Kuschelteam. Du kennst das ja, man geht zusammen Mittagessen, vergisst die Zeit vor lauter Reden… Aber wenn man nur aufs Ziel setzt, bist du eher ein kaltes Team, dann schaust du bereits beim Mittagessen, dass du pünktlich Feierabend machen kannst. Aber du unterhaltest dich nicht. Mein Fokus liegt in diesem Bereich darin, dass ich eine gesunde Entwicklung habe, dass ich beide Ausrichtungen habe.
Das sind meine Grundpfeiler, meine Werkzeuge im Training.
Dann kommt natürlich auch noch alles andere: das taktische oder das technische oder das athletische Training. Aber wenn das, was mir wichtig ist, gegeben ist, dann machen die Spielerinnen auch bei harten Konditionstrainings oder eher langweiligen taktischen Sequenzen mit. Und sie können sich entwickeln.
Mein oberstes Ziel ist es, wertvolle Spielerinnen auszubilden, Leaderinnen, die Verantwortung übernehmen auf dem Platz. Ich will sie dahin führen, dass sie Entscheidungen treffen, diese kann dann auch mal falsch sein, aber man weiss ja in der Regel selber am besten, wo der Fehler liegt. Diese Erfahrungen braucht es für eine gesunde Entwicklung.
Du bist spezialisiert auf genderspezifisches Training, wie du in deinem Lebenslauf schreibst. Was umfasst das alles?
Ich habe mich sehr stark mit Kreuzbandverletzungen befasst. Das Risiko ist bei uns Frauen gemäss Studien sechsmal höher als bei Männern, im Team hatte ich viele verletzte Spielerinnen, und bei einer Kreuzbandverletzung braucht man in der Regel neun Monate, bis man wieder auf dem Feld zurück ist. Ich bin zum Glück von einer solchen Verletzung verschont geblieben, aber allein schon die Vorstellung, dass ich als 20-Jährige neun Monate hätte pausieren müssen, ist für mich extrem beängstigend. Deshalb habe ich mich im Rahmen meiner Ausbildung zur Berufstrainerin mit diesem Thema befasst, habe sehr viele Studien gesammelt. Nur drei Prozent dieser Stunden stammen von Frauen…
Das höhere Verletzungsrisiko ist so zu erklären: Frauen haben ein grösseres Becken, damit wir Kinder gebären können. Das ist der grösste Unterschied zu euch Männern. Wenn wir nebeneinander stehen würden, würde man dies sehen. Jedenfalls führt dies dazu, dass Männer bei der Körperstellung eine stabilere Achse haben – und ein kleineres Verletzungsrisiko. Deshalb führte ich ein Präventionstraining ein, das die Muskulatur gut stärkt. Und beim Sprungtraining ist es wichtig, darauf zu schauen, wie sich das Knie bei der Landung verhalten soll.
Ich habe auch externe Referentinnen eingeladen, damit die Spielerinnen mehr über den Zyklus wissen. Für Frauen, die keine Pille nehmen und einen natürlichen Zyklus haben, gibt es auch viele Studien, die beschreiben, wie man in welcher Phase wie trainieren soll. Und dann geht es auch um Regenerationsfragen und ein wenig Ernährung, da wir Frauen ein wesentlich kürzeres Zeitfenster nach dem Sport haben, in dem wir die Nährstoffe wieder aufnehmen können.
Mir ist es schlicht sehr wichtig, dass wir mehr über unseren Körper wissen. Ich würde es mir jetzt nicht zutrauen, für jedes Teammitglied spezifische Trainingspläne zu schreiben, weil es für mich zentral ist, dass jede Spielerin auf ihren Körper hört, und dass sie dann – mit dem Wissen, was wann gut ist für sie – Verantwortung übernimmt und dann so trainiert wie es passt. Es geht um den gesunden Umgang. Denn ein Teil ist die Wissenschaft, aber das andere ist das gesunde Verhältnis zum eigenen Körper.
Du trainierst das Frauenteam des FC Winterthur seit der Gründung 2016.
Zu Beginn waren wir in der dritten Liga, die im Frauenfussball vor allem auf Spass basiert und sportlich kaum kompetitiv ist. Das Schöne in jener Saison war, dass ich Zeit hatte für die Themen, die mir wichtig sind. Und ich konnte mein Wertesystem vermitteln. Diese Zeit hat mir als Trainerin und auch den Spielerinnen sehr gut getan. Ich konnte ihnen aufzeigen, welchen Weg ich mit ihnen gehen wollte. Der Erfolg hat uns letztendlich recht gegeben. Wir stiegen bis in die NLB auf.
Am Ende der abgelaufenen Saison seid ihr in die 1. Liga abgestiegen. Wie geht man mit so einem Rückschlag um?
Ich bin so reflektiert, um zu wissen, dass Rückschläge kommen werden. Vielleicht hätten wir es nächste Saison nochmals knapp geschafft, aber dann wären wir vielleicht übernächste Saison dran gewesen. Der Umgang mit Niederlagen gehört zu einer gesunden Entwicklung dazu. Natürlich fühlt es sich jetzt nach einem Schritt zurück an, aber ich hoffe sehr, dass wir in drei vier Jahren sagen können, dass es ein Jahr war, in dem wir uns nochmals regenerieren konnten, und den Fokus richtig stellen konnten, um anzugreifen. Das Schöne ist, dass das Team bestehen bleibt. Das ist eine grosse Motivation, um zu zeigen: wir gehören in die Nati B.
Auch du bleibst, obwohl du den Verein hättest verlassen können.
Ja, ich hätte auch gehen können, hatte Angebote erhalten, aber du kennst sicher den Spruch: die Kapitänin verlässt das sinkende Schiff als Letzte. Bis hierhin hatten wir so viel Erfolg, unsere Fankultur ist der Wahnsinn, wir haben einen so guten Support, und so viele Lieblingsmenschen auch in der Kulturbranche und im Verein, die viel für uns machen. Sie alle sind ein Teil von meinem Leben, eine Herzensangelegenheit. Und ich wollte es nicht riskieren, dass diese sechs Jahre, die ich und wir alle hier investiert haben, im Sand verlaufen. Damit will ich überhaupt nicht sagen, dass nur ich das kann. Aber es ist wichtig, dass das Team bestehen bleibt.
Natürlich wird auch mein Weg irgendwann weiterführen, so wie jeder andere Weg auch. Aber für mich hätte es sich falsch angefühlt, gerade jetzt wegzugehen.
Mein Bruder ist Fotograf, Musiker und Künstler, und wenn ich ihn sehe, ist es wie ein Abtauchen in eine andere Welt. Das ist sehr schön zu sehen, wie andere Menschen ihre Leidenschaft und ihre Zeit verbringen. Mir tut es auch einfach gut, aus dieser Fussballwelt auszubrechen. Letzte Woche war ich etwa an einem Theaterfestival in Baden, dort sah ich ein sehr abstraktes Stück von spanischen Künstler:innen, das ist so wichtig für mein Mindset, so bleibe ich weltoffen.
Im Gegensatz zum Männerfussball lässt Frauenfussball viel mehr Diversität zu. Dass es beispielsweise so weit kommen konnte, dass die WM in Katar stattfindet, hat meiner Meinung nach auch damit zu tun, dass am Entscheidungstisch keine diversen Menschen sitzen, unabhängig vom Geschlecht auch. Das würde im Frauenfussball nie passieren.
Auch wenn im Frauenfussball wie jetzt mit der EM in England vieles grösser wird, wird es nie soweit kommen?
Das ist mein Wunsch, ja. Prognosen zu geben ist zwar schwierig, aber ich denke es icht. Oft vergessen wir, woher der Fussball stammt. Fussball kommt von der Strasse, im Fussball fühlen sich alle Menschen zugehörig: alle Ethnien, alle sozialen Schichten, alle Geschlechter. Das sind Werte.
Wenn ich aber eine Prognose geben kann, dann diese hier: Im Männerfussball wird es eine Zweiklassengesellschaft geben. Jene, die sich Fussball finanziell leisten und auch konsumieren können – das beginnt bereits bei den Übertragungen. Männerfussball ist wie eine ausgedrückte Zitrone: die Athleten mit ihrem Kalender, der immer dichter wird, auch mit der WM in Katar im Winter. Und der Markt ist übersättigt.
Für den Frauenfussball in der Schweiz wünsche ich mir folgendes:
Wir haben in unserem Leben Zeit für unsere Regeneration, für unsere Trainingsphasen und Familie oder Arbeit oder Studium. Mein Ziel ist es nicht, dass wir in der Schweiz sagen können: Wir sind Profis und fertig. Es tut uns doch einfach als Mensch gut, wenn wir unsere Quellen haben, die uns Energie und Freude geben.
Vielleicht rede ich jetzt auch einfach zu viel für mich. Aber wenn mir damals, als ich mit 20 in der Nationalmannschaft spielte, jemand gesagt hätte: du stehst am Morgen auf, isst Frühstück, gehst ins Training und in die Massage, gehst zum Mittagessen und dann wieder ins Training, bis zum Abendessen: Das wäre mir zu eintönig gewesen.
Doch wenn der Tag beispielsweise mit Philosophieunterricht begonnen hätte – und erst dann gehts zum Training: das hätte mir sehr gut getan.
Ich bin einfach dafür, dass wir eine gesunde Entwicklung haben.
Man muss sich auch überlegen: Wie viel Geld braucht es für ein glückliches Leben? Ich mache jetzt noch die Berufsmaturität nach, musste auch nochmals meinen Finanzplan durchrechnen und eigentlich reicht ein kleines Budget, wenn man nicht extrem hohe Ansprüche hat.
Wenn ich zurückblicke in meine Mannschaften: Viele meiner Spielerinnen haben studiert, haben doktoriert. Im Frauenfussball steckt auch sehr viel Care-Arbeit, einige hatten vielleicht auch einfach die Nase voll von dieser Gratisarbeit und sagten sich: ich habe studiert, ich verdiene mit dem mein Geld. Bei uns Frauen stellt sich schon die Frage: Wie bringst du Struktur rein, wie treibst du das Geld auf, damit die Spielerin eben nicht noch daneben Vollzeit arbeiten muss.
Im Männerfussball machen dagegen talentierte Junge bereits Trainerausbildungen, wollen Sportchef werden, sie haben ganz andere Möglichkeiten. Natürlich ist es auch dort schwierig, gute Positionen zu finden. Aber sie bleiben im Fussball, gehen vielleicht zu den Junioren. Und sie wollen unbedingt in diesem Gefäss bleiben – weil sie auch gar nichts anderes daneben haben. Das ist meine Erklärung.
Jetzt habe ich immer von den Differenzen zwischen Männer- und Frauenfussball gesprochen. Aber ich finde, dass diese Differenzen verbindend sein können, das ist schlussendlich auch mein Ziel, diese Verbindungen zu schaffen.
Wie könnte dies gelingen?
Wir müssen von den Strukturen profitieren, die der Männerfussball bereits hat. Man darf nicht vergessen, dass der Männerfussball etwa 70 Jahre Vorsprung hat – Frauenfussball ist 1971 erstmals offiziell über die Bühne gegangen. Und ich glaube, dass es eine Illusion ist, diese Zeit aufzuholen – und das muss auch nicht das Ziel sein.
Gleichzeitig kann der Männerfussball bei uns schauen, wie es auch anders geht. Mit einem klaren Wertesystem, das zeigt: es muss nicht immer Geld sein, damit man motiviert ist. Und die Verantwortlichen sollten den Mut haben, Frauen und mehr diverse Menschen an den Tisch einzuladen.
Ich glaube, dass es ein Geben und Nehmen sein kann.
Was ich mag
Was ich nicht mag
Die Fussball-Europameisterschaft der Frauen findet vom 6. bis 31. Juli in England statt. Die einzelnen Spiele sind im TV zu sehen. Die Gruppe EM Grossmachen hat zudem bewirkt, dass in Bern einige Bars und Lokale das Turnier übertragen.
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