Mit dem Schreiben für «SUPERVIVENXIA» habe ich im Jahr 2023 begonnen. Die EP war für mich wie eine Premiere, da ich alles alleine geschrieben und produziert habe. Das war eine Art Lernzeit für mich, und das alles alleine umzusetzen brauchte auch viel Zeit.
Bei meinen Performances habe ich meine Stimme immer oft benutzt, doch irgendwas hat mich davon abgehalten, selber Musik zu machen. Ich sagte mir immer: «Ich fühle mich nicht wie eine Musikerin, ich bin keine Sängerin, ich bin nicht dies und nicht das». Und dann kam der Covid-Moment, an dem alles eingefroren war und man nicht mehr auftreten konnte. Und ich dachte: Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, um mit Musikmachen anzufangen. Es fühlte sich ja an, als würde alles stehenbleiben, selbst dann, wenn alles im Fallen war. Und so war diese Zeit auch eine Gelegenheit, Dinge zu tun, die wir uns vorher nie getraut haben. Ich glaube, das war für mich der eigentliche Anstoss. Und so habe ich mit Baby Volcano begonnen.
Für die erste EP habe ich mit Josué Salomon und Louis Riondel zusammengearbeitet, zwei Produzenten aus dem Jura. Alles ging recht schnell, in ein paar Monaten waren wir fertig, es steckt etwas sehr einfaches in den Tracks. Gleichzeitig hatten wir so viel Zeit dafür. Und dann kam die erste Show als Baby Volcano und alles ging los.
Während dieser Zeit mit den vielen Konzerten wusste ich, dass ich unbedingt neue Musik veröffentlichen sollte und ich hatte gleichzeitig grosse Lust und fühlte mich bereit, neue Stücke zu schreiben. Anfang 2024 konnte ich mir Zeit nehmen, ich machte erste Demos, schickte sie ans Label und während dem vergangenen Jahr habe ich Stück für Stück weiter an dieser EP gearbeitet.
Warum so viel Zeit vergangen ist? Ich brauchte einfach die Zeit, die zwischen der ersten EP – diese ist bereits 2021 erschienen – und «SUPERVIVENXIA». Nach den vielen Konzerten musste ich mich zuerst in meinem Haus hier im Jura, in meinem Studio, in meinem Zufluchtsort wiederfinden.
Der Titel «SUPERVIVENXIA» beinhaltet Überleben als Wort, es bedeutet aber aber auch «Superlebendigkeit». Und auf dieser EP habe ich mich mit der Vorstellung beschäftigt, in einem Kokon zu sein, in dem ich Zuflucht finden kann.
Diese EP enthält Songs mit Stimmungen, die mich in sehr vielen Momenten begleitet haben. Die Tracks entsprechen dem, was ich und mein Körper gebraucht haben. Typisch dafür ist «Olor a fogata», das letzte Stück, es ist eigentlich voll Cumbia, aber es ist auch sehr «aérien», voller Luft. Es entstand in einer Zeit, in der ich viel Sanftheit brauchte. Und gerade weil ich diese EP um den Begriff der Zuflucht herum aufgebaut habe, wurde mir klar, in welchem Ausmass uns Fiktion dabei helfen kann, Stürme und schwierige Zeiten zu überstehen – und in welchem Ausmass Fiktion ein Refugium in diesen Zeiten sein kann. Im Nachhinein wurde mir bewusst, wie stark die Tracks dieser EP für mich wie Glücksbringer oder auch Waffen waren, um sehr komplizierte Zeiten zu überstehen. Auch deshalb ist die EP sehr eklektisch, jedes Stück steht wie für eine andere Zeit, ein anderes Gefühl.Ich habe das Gefühl, dass sich alle Stücke auch Zeit für jede Emotion nehmen.
«Knock Down» drückt jenen Moment aus, an dem du am Boden bist und du einen kleinen Anschub brauchst, um wieder zu beginnen und weiterzumachen. Ich habe den Eindruck, dass man auch solche Momente schätzen sollte – wie bei Trauerphasen.
«Caralesh» ist ein bisschen chaotischer. Es geht in alle Richtungen auf eine bestimmte Art und Weise los. Welches Wort passt dazu am besten? Vielleicht ist es ein Gefühl des Unverständnisses. Wir verstehen nicht, was um uns herum passiert.
Bei «Delish» geht es eindeutig auch darum, den Lauf der Zeit zu geniessen. Solche Freuden sind auch ein bisschen wie die Wiedererlangung des Bewusstseins darüber, was wir wollen und was wir nicht wollen. Es ist auch ein Stück, das von den Momenten handelt, in denen man am Rande einer Krise steht und zweifelt. In dieser Situation weiss man dann nicht, was man sagen soll. Und die richtigen Worte fallen uns erst später ein. Aber eigentlich drückt auch «Delish» aus: Die Zeit wird alles zum Guten wenden.
Du singst in diesem Track auch den Satz «Check tes privilèges bébé».
Oui, c’est ça. Es ist wie mit den richtigen Worten, die erst später kommen und uns fragen: «Wenn wir mit etwas konfrontiert werden, das uns gegenüber unfair oder aggressiv wirkt, wie reagieren wir dann?» Und ich weiss, dass meine persönliche Reaktion oft zunächst darin besteht, mich zu verstecken und mir zu sagen: «Was ist es genau? Wie können wir das alles verarbeiten?» In solchen Situationen habe ich im Nachhinein den Eindruck, dass mir die richtigen Worte leider immer etwas später und nie im richtigen Moment einfallen. Aber es geht auch darum, sich damit abzufinden, Stück für Stück. Und danach werden wir uns auch den Privilegien und den Dingen, die wir haben, stärker bewusst.
«Kurakaku» beschreibt den Zustand des Hauses, meiner konkreten Unterkunft. Für mich sagt dieses Stück viel über das Haus aus, in dem ich im Jura lebe. Für mich ist das im wahrsten Sinne des Wortes ein Zufluchtsort: ein Ort in der Natur, der sehr weit weg ist von allem. In diesem Lied singe ich auch über Sololá, der Heimatstadt meiner Grossmutter in Guatemala. Es ist ein grossartiger Ort mit einem See, der von Vulkanen umgeben ist. Es ist ein Ort mit einer sehr starken magnetischen Wirkung. Für mich ist es auch ein Ort, an den ich oft denke, weil es dort superruhig ist. In schwierigen Momenten kann man in solchen Erinnerungen Zuflucht finden, es sind Erinnerungen der Zuneigung und sie erinnern an Empfindungen, die wir hatten und immer noch in uns tragen.
Bei «Olor a fogata» ist der Sturm vorüber gezogen. Doch nicht alles ist einfach toll. Denn der Geruch des Feuers und des Rauches hängt noch in der Luft und wir riechen immer noch alles, was wir erlebt haben. Es sind Dinge, die mehr oder weniger traumatisch wirken – diese finden sich in meinen persönlichen Geschichten, die ich in den letzten Jahren durchlebt habe, aber auch in den monströsen Konflikten auf der Welt, die die gesamte Menschheit betreffen. Ich habe hier das Gefühl, dass ich sowohl für mich wie auch für die Situationen spreche, die wir gerade als Gesellschaft erleben. Das, was geschehen ist, bleibt uns so auch im Nachhinein erhalten. «Olor a fogata» hat etwas Nostalgisches an sich, es fokussiert sich aber auf etwas Ruhiges, Gesundes, wie in den verschiedenen Phasen der Trauer.
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Ich habe eine sehr körperliche Beziehung zur Musik, und ich stelle mir immer vor, wie ich sie auf die Bühne bringe, wie ich sie interpretieren und inszenieren kann. Während der Arbeit an «SUPERVIVENXIA» begann ich aber, Musik einfach so zu integrieren, wie sie ist, ohne die Performance im Hinterkopf zu haben. Und das war neu für mich. Ich habe das Gefühl, dass es mir zum ersten Mal gelungen ist, auf sanfte Weise zu begreifen und zu spüren, dass die Musik für sich alleine stehen kann.
Das, was ich in der Musik mag, ist oft roh. Es klingt oft ein bisschen dreckig, steht immer noch in Beziehung zum Körper. Etwas allzu Weiches gefällt meinem Ohr nicht unbedingt. Aber ich könnte einen Track auch unendlich lange bearbeiten – heute gefällt mir das, morgen denke ich, ich sollte genau das wieder korrigieren. Und übermorgen sage ich mir vielleicht: Ah nein, vorher war es besser, wir müssen es nochmals ändern. Genau wegen dem war ich sehr froh, dass ich in einem gewissen Rhythmus arbeiten konnte, der den Anforderungen der Musikindustrie einigermassen entspricht. Denn es hilft mir persönlich, wenn ich weiss: Bis zu diesem Datum muss die EP oder der Track fertig sein. Wenn ich es völlig offen lassen und mir sagen würde: ich veröffentliche es erst, wenn ich weiss, dass es wirklich «fertig» ist, würde ich es wahrscheinlich nie veröffentlichen. Das ist wie bei Tanzstücken oder Performances: Es gibt einen Premierentermin, der oft schon Jahre vorher feststeht, und zu diesem Tag muss das Projekt fertig sein.
Vor den ersten Shows bin ich nun natürlich ein wenig gestresst, denn es kommt mir so vor, als wäre es eine Ewigkeit her, seit ich das letzte Konzert gegeben habe. Und natürlich ist die Show neu – mit neuer Formation und den neuen «SUPERVIVENXIA»-Tracks. Das teilen zu dürfen: darauf freue ich mich sehr, denn wir haben wie verrückt gearbeitet.
Und dann gibts im Mai auch noch ein Festivaldatum in Bogotá. Wegen meinen lateinamerikanischen Wurzeln habe ich von einer solchen Möglichkeit seit einiger Zeit geträumt. Und nun beginnt sich alles zu öffnen, das ist so schön.
Baby Volcano im WWW und Live
Baby Volcano auf Bandcamp und auf Instagram.
«SUPERVIVENXIA» ist via Humus Records erschienen.
Shows in der Schweiz: 25.4., Kaserne, Basel; 26.4., Bad Bonn, Düdingen; 16.7., Gurtenfestival, Bern; 24.10., Bogen F, Zürich
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