In deinem «Piksi-Buch» geht es u.a. um die serbische Fussballlegende Dragan Stojković Piksi. Der hat gerade nicht so eine gute Zeit, er musste nach einer blamablen Niederlage der serbischen Nationalmannschaft gegen Albanien zurücktreten. Dein Buch hingegen hat gerade den Preis für das Fussballbuch 2025 gewonnen. Herzliche Gratulation!
Danke, das ist mein Lieblingspreis bis jetzt, damit habe ich im Leben wirklich nicht gerechnet.
Du warst unglaublich produktiv in letzter Zeit. Deine ersten vier Bücher erschienen innerhalb von 15 Jahren, nun hast du in eineinhalb Jahren drei Bücher veröffentlicht, den Erzählband «Minihorror», die Poetikvorlesung «Stehlen, Schimpfen, Spielen» und das erwähnte «Piksi-Buch». Wie kam es dazu und wie geht es dir nach dieser sicherlich intensiven Zeit?
Ich glaube, der Unterschied ist tatsächlich, dass ich irgendwann begonnen habe vom Schreiben zu leben und so hatte ich mehr Zeit. Aber bei diesen letzten drei Büchern spielten auch die Fristen eine Rolle. Nach diesem Preis der Leipziger Buchmesse, den ich für «Minihorror» erhalten habe, jagen mich die Menschen jetzt einfach mit Anfragen und ich muss es irgendwie schaffen. Besonders bei dieser Poetikvorlesung wurde das zu einem Problem und so entstand eine Poetik, wie man es schafft, ein Buch in zwei Wochen fertig zu stellen.
Das ist jetzt aber ein bisschen übertrieben, oder?
Ein bisschen. Es war so: Ich hatte schon alle diese Fristen und keine Ahnung, dass ich diesen Preis der Leipziger Buchmesse bekommen würde und das war dann doch sehr zeitintensiv und mein Leben hat sich ab dem Moment sofort verdreifacht. Mir wurde schwindlig und ich hatte das Gefühl, dass ich einen leichten Verkehrsunfall hatte. Ich musste aber trotzdem zuerst das «Piksi-Buch» und dann «Stehlen, Schimpfen, Spielen» fertig machen und war ständig unterwegs. Es klingt undankbar und ja, es ist es auch, aber es war ehrlich gesagt eine schwierige Zeit für mich. Ich habe dann das «Piksi-Buch» fertiggeschafft und für die Poetikvorlesung hatte ich tatsächlich 30 Tage mit der Konzeption, also zwei Wochen für das richtige Schreiben, aber ich hatte dann später noch einen Monat für Überarbeitungen. Also sehr viel übertrieben ist es nicht.
Wir werden heute vor allem über das «Piksi-Buch» und «Stehlen, Schimpfen, Spielen» reden. Das sind zwei sehr unterschiedliche Texte, sie haben aber auch eine Gemeinsamkeit, beide sind Auftragsarbeiten. Magst du Auftragsarbeiten?
Ich mag es tatsächlich, wenn man mir von aussen eine Aufgabe gibt und ich sie dann versuchen muss, auf meine Art zu lösen. Das «Piksi-Buch» ist aber eigentlich die Verkörperung meiner Unfähigkeit, «nein» zu sagen. Ich wollte es überhaupt nicht schreiben. Ich habe mich gewehrt und am Ende habe ich es aus Höflichkeit doch gemacht. Frank Willmann, der Herausgeber der Edition «Ikonen» bei Voland & Quist, wo das Buch erschienen ist, hat eine unglaubliche Überzeugungskraft und wollte ein «Nein» einfach nicht hören. Ich habe sogar «nein» gesagt, aber ich weiss nicht… Jedenfalls habe ich mir, als ich dann begonnen habe, doch gedacht, ich will auch ein Fussballbuch von mir, weil ich auch ziemlich viel Probleme mit der Fussballkultur habe, eine Art Opfer von ihr bin und so habe ich das «Piksi-Buch» gemacht und das wurde dann doch zu einem sehr persönlichen und mir wichtigen Text.
Und auch ein bisschen eine Rachebuch gegen den Fussball?
Ja und auch ein Trauerbuch über Jugoslawien, stellte sich letztlich heraus. Ich habe mir gedacht, ich schreibe jetzt dieses Buch und normalerweise überlege ich mir nicht wirklich, welche Emotionen ein Buch hervorrufen soll, aber hier habe ich mir vorgenommen, dass alle weinen. Ich sitze da und lese und alle weinen. Und dann gibt es wirklich so die letzte Szene, wo sehr viele Tränen fliessen und alles zerfällt. Es hat sich dann herausgestellt, dass das vor allem meine Trauer triggert und dann am Anfang bei Lesungen habe immer ich geweint und alle haben sich gefragt, ob ich okay bin.
Das Cover des «Piksi-Buch» ist schwarz-weiss gestreift. Weshalb diese Farben?
Bei der «Ikonen»-Edition konnte man einfach zwei Farben wählen und Frank hat rot-weiss vorgeschlagen, weil das die Farben von Roter Stern Belgrad sind, wo Piksi gespielt hat. Für mich war das auf keinen Fall möglich. Ich wollte nicht ein Werbebuch für diesen Dragan Stojković Piksi schreiben, dafür hätte ich auch viel mehr Geld verlangt, wenn es eine Biographie von ihm hätte sein müssen. Wenn ich das überhaupt gemacht hätte. Dann habe ich gedacht, schwarz-weiss ist gut, denn das würde ihn ärgern, weil es die Farben vom Erzfeind Partizan Belgrad sind. Aber nicht nur deshalb, sondern auch weil der Text mit dem Fussballklub BASK beginnt, wo die Figur Barbi Marković, ich, ihre Kindheit verbringt und dieser Fussballklub hat die Farben schwarz-weiss. Das ist der Belgrader Akademiker Sportklub.
Das Cover von «Stehlen, Schimpfen, Spielen» hat eine ganz andere Ästhetik, es ist ein Gemälde der südkoreanischen Künstlerin Young Park. Wie kam es zu diesem Cover?
Bei «Stehlen, Schimpfen, Spielen» hatte ich Gespräche mit den Leuten von Rowohlt und meinte, ich will schon beim Cover mitreden dürfen und sie haben gesagt, ja klar wirst du dürfen. Aber ich hatte das Gefühl, meine Stimme war nicht sehr gewichtig. Ich finde das Cover schön, aber ich finde, es passt nicht zu mir, weil es sehr pastellig ist und so dichterisch verträumt. Die Farben sind okay und ich finde es cool, dass die Schuhe nicht passen und das passt dann doch zum Buch. Aber es hat sich herausgestellt, dass ich nicht einfach so ein Cover umschmeissen kann.
Wenn man deine Poetikvorlesung liest, fällt auf, wie eng verwoben dein Schreiben mit anderen Künsten ist. Zum Beispiel beschreibst du im Buch, wie du ein Videospiel als Ausgangspunkt für eine Erzählung herangezogen hast. Was reizt dich an solchen Experimenten und Spielereien?
Wahrscheinlich ist es, weil ich schon Erfolge mit solchen Experimenten hatte. Mein erstes Buch war auch eine Art Experiment, in dem ich ein Verfahren aus der Musik versucht habe in die Literatur zu übertragen. Ich habe versucht, einen Remix auf einen Text anzuwenden und ein Buch von Thomas Bernhard, das Buch heisst «Gehen», in mein damaliges Leben übertragen. Es ging um Belgrad in den 2000er und um das Ausgehen. Und ich habe nur die Variablen gewechselt, so dass jetzt nicht mehr Karrer und Oehler auf der Neuburgerstrasse Hin und Her gehen, sondern Milica und Bojana clubben gehen. Das war für mich eine grosse Entdeckung und sehr interessant. Seitdem versuche ich verschiedene Sachen und das mit dem Computerspiel habe ich dann ziemlich bald nach «Ausgehen» zuhause studiert. Ich habe ein altes Spiel, «Wonderboy», genommen, ein altes Konsolenspiel, in dem ein blondes Kind einfach von links nach rechts geht, Schnecken überspringen und Äpfel und Bananen sammeln muss. Ich hab das dann wirklich ernst genommen und aufgeschrieben, was da passiert. Ich hatte aber tatsächlich auch einen Cousin, der wegen dem Computerspielen nicht einmal die Grundschule abgeschlossen hat und sein Leben seitdem so verbringt und das war auch ein Thema. Das lustige war aber, dass ich das auswendig gelernt hatte und dann habe ich die Geschichte erzählt, während ich das Spiel spielte und wenn ich gestorben war, dann musste ich neu anfangen. Was cool war bei Lesungen, wo es um etwas ging, weil ich dann nervös wurde oder wenn noch ein Autor neben mir war. Einmal war Clemens Setz da und schaute immer so in meinen Computer und ich bin immer wieder gestorben. So bin ich überhaupt nicht weitergekommen mit dem Text, das Publikum wusste dann auch nicht, wie er endet.
Auch Rollenspiele sind wichtig für deine Texte. Drei deiner Bücher haben Rollenspiele am Schluss angefügt und der Roman «Die verschissene Zeit» ist sogar aus einem Rollenspiel entstanden. In der Poetikvorlesung schreibst du, dass in diesem Roman über Belgrader Jugendliche in den 1990er die Erzählperspektive die einer Spielleiterin sei. Was hat dir diese Perspektive geboten?
Zuerst dachten alle um mich herum, so ein Buch in Du-Form, da will niemand mehr als 30 Seiten lesen. Aber es war eben eine Perspektive der Game Masterin, das heisst, ich habe die Welt erzählt. Ich sage beispielsweise: «Heute befinden wir uns in Belgrad 1995, es war gerade Sylvester» und ich kann alles beschreiben und auch in die Figuren reingehen und ihnen etwas befehlen, etwas sagen, was sie denken und manchmal kann ich da rausgehen und sagen, wir wissen nicht, was die Figur denkt oder ich kann alle Figuren gleichzeitig ansprechen und sagen, ihr seid so und so, eure Sozialsysteme sind schlecht, solche Sachen. Das war für mich das freieste Erzählen, das ich je hatte, weil ich alle Perspektiven einnehmen konnte und wenn die Figuren etwas sagen wollten, konnten sie das auch. Ich hatte alle Möglichkeiten als Erzählerin.
Du hast die Poetikvorlesung ja auch für Studierenden an der Universität in Salzburg gehalten. Wie war das?
Es war schrecklich. Ich hab das nicht erwartet, aber es war so ein Auditorium, wo alle oben sind und ich war der unterste Punkt im Saal. Alles war gross, nur ich war klein. Und es gab ganz viele skeptische Gesichter, gelangweilte Studentinnen. Ich hab gedacht, dass sie mich hassen und ich habe mich nicht gerade gefühlt, als würde ich den Raum rocken. Aber dann hatten wir eine Art Workshop und es hat sich herausgestellt, dass die Studierenden es doch cool fanden, weil sie das Gefühl bekommen haben, es kann wirklich jeder schreiben. So im Sinne: Ich sollte es vielleicht auch probieren. Also eigentlich alles erreicht.
Du erwähnst im Buch, dass du dir jeweils formale und inhaltliche Regeln aufstellst bei Schreiben. Welche waren das beim «Piksi-Buch»?
Als ich angefangen habe, über das «Piksi-Buch» nachzudenken, wusste ich, dass ich oder die Figur Fussball hasst. Oder sagen wir einfach immer ich. Dass ich Fussball einfach hasse und ich wusste auch, was mich gestört hat an meiner Kindheit im Fussballstadion. Ungewollt verbrachte ich viel Zeit dort und so hatte ich viel zu sagen. Aber ich hab mir auch gedacht, niemand will ein Buch lesen – ich selbst auch nicht – von einer Person, die seinen Gegenstand einfach nur hasst. Es muss etwas geben, dass ich auch schätze oder gut finde, damit wir alle Spass haben, auch ich beim Schreiben. Und dann ist mir eine Sache, die ich immer schon cool gefunden habe, eingefallen: die Fussballkommentare, besonders im Radio, wo man nicht einmal das Bild sieht. Ich hatte ein paar Lieblingskommentatoren, z.B. Jordan Ivanović, von dem wusste ich noch auswendig einen Spruch. In meiner Erinnerung lautet der Satz: «Wie der Vulkan das grösste in der Natur, ist der Volley das schönste im Fussball.» Und ich fand das so toll, weil der Vergleich einfach schief, schlecht, gross und pathetisch ist und die ganze Welt beinhaltet. Es gab auch einen kroatischen Kommentator, der alles gereimt hat. Zum Beispiel hat er vom «Süssesten Süssi aus Niš» geredet, gemeint war Piski. Ich habe es im Text nicht hingekriegt, dass es sich reimt, im Orginal heisst es «Najslađeg sladkiša iz Niša». Es gab schon grosse Künstler unter den Kommentatoren und lustige Sprüche und die habe ich zum Teil auch einfach gestohlen und verwendet. Und was ich toll finde an diesen Textarbeitern, also Kollegen, ist, dass sie ein leeres Feld vor sich haben, wo hin und wieder ein Mensch zu sehen ist, aber sonst so gut wie nix passiert. Der Fussball ist ein sehr langsamer Sport, bei dem es Stunden dauern kann, bis etwas passiert. Und die Kommentatoren müssen das aber zutexten über diese ganze Zeit und irgendwie das Publikum unterhalten und darum fand ich, dass das auch eigentlich Kollegen sind. Ich habe dann probiert, diese Art von Sprache ein bisschen einzuüben und mehr als nur über Fussball zu erzählen. So erzähle ich dann auch über meine Kindheit und über den Zerfall Jugoslawiens mit diesem Pathos und mit schlechten Metaphern.
Es geht im Buch auch um zwei historische Fussballspiele, Dinamo Zagreb gegen Roter Stern Belgrad im Mai 1990 und das WM-Viertelfinale Argentinien-Jugoslawien Ende Juni 1990. Wie bist du darauf gekommen, über diese Spiele zu schreiben?
Ich habe in Belgrad einen Freund, der auch an «Die verschissene Zeit» ein bisschen mitgearbeitet hat, der war auch jetzt im RTS-Archiv, dem Archiv des serbischen Rundfunks, um Material zu sammeln. Und mit ihm habe ich gemeinsam überlegt. Ich kenne mich beim Fussball nicht aus und er schon, und es war seine Idee, diese zwei Spiele einzubauen und als wir die Spiele hatten und meine Ideen, dann war es eigentlich schon klar, wie das Buch ausgeht. Meine Erinnerung an dieses Jugoslawien-Debakel an der WM 1990 war, dass alle weinten. Ich glaube, es stimmt nicht, aber egal. Ich habe dann daraus ein grosses Weinen gemacht. Das war schon alles klar, als ich begonnen habe, das Buch zu schreiben.
Du hast auch mehrere Seiten von dem Kommentar das WM-Spiels übersetzt und abgedruckt.
Ja, ich habe an ihn abgegeben sozusagen. Aber das ist nicht eins zu eins sein Kommentar, weil er zu langweilig war. Ich habe einige Passagen gekürzt und ein bisschen dramatisiert.
Du baust sehr oft in deine Texte Passagen von anderen Texten ein. Was reizt dich daran?
Wenn ich denke, das ist super und das wäre cool, wenn ich das in meinem Buch hätte, dann nehme ich es. Solange es halbwegs legal ist, stelle ich es auch in mein Buch rein. Auch weil ich das Gefühl habe, es geht nicht um mich und um meine Genialität. Ich gebe es auch offen zu und es geht darum, dass der Text am Ende gut ist und das tut, was er soll.
Hatte das noch nie rechtliche Konsequenzen?
Komischerweise noch nie. Ich weiss nicht warum. Ah ja, ich wollte noch sagen: Vielen Dank auch für deinen Input, du hast mir ja auch ein paar Essays geschickt, die ich dann auch verwendet hab. In einem dieser Essays hat jemand protokolliert, was die Polizei zu einem der Spiele gesagt hat und das habe ich dann auch im Buch abgedruckt. Aber vielleicht sollte man etwas sagen zu den zwei Spielen, damit klar wird, was überhaupt das Problem war. Das eine ist das Spiel, das in Zagreb im Stadion Maksimir nicht gespielt wurde zwischen Dinamo Zagreb und Roter Stern Belgrad. Da haben sich die Fans einfach geprügelt und sind raus gelaufen aus dem Stadion. Das Spiel wurde nicht gespielt und es wird in manchen Essays als Beginn der Jugoslawienkriege bezeichnet. Ich finde, es ist zumindest das erste Symptom, das zeigt, was kommen wird. Es waren dort auch so Figuren beteiligt wie Arkan, der spätere Kriegsverbrecher und damals Anführer der Roter Stern-Ultras. Hier sieht man, dass Fussball tatsächlich eine wichtige Rolle spielte in diesen Kriegen. Das zweite Spiel findet dann nur gut einen Monat später statt und alle diese Leute, die untereinander geprügelt hatten, kommen zusammen, spielen gemeinsam für Jugoslawien und es läuft nicht mal so schlecht. Obwohl sie ab Minute 33 einen Spieler weniger haben, schaffen sie es gegen Argentinien mit Maradona bis zum Elfmeterschiessen zu bestehen und dann verlieren sie und tatsächlich sind die Moderatoren im Originalton total fertig, weil sie das Gefühl haben, diese Jungs hätten uns vereinen können, Jugoslawien hätte noch bestehen bleiben können, ja und dann weinen alle.
Hast du beide Spiele auch selbst mitbekommen damals?
An das Spiel im Maksimir kann ich mich nicht erinnern. Aber das wir an der WM verloren habe, dass ist schon bis zu mir gekommen damals und ich hatte das Gefühl, das ist mehr als nur ein Fussballspiel und dass wir etwas wirklich Schlimmes verloren haben.
Im Rollenspiel zum «Piksi-Buch» kann man den Ausgang des Elfmeterschiessens verändern. Ich finde, das gibt auch dem Text nochmals einen schönen Twist. Wie kam es zu dem Rollenspiel?
Das war lustig. Denn dieses Rollenspiel habe ich nicht geplant. Ich war in Berlin bei einer Lesung und ein häufiger Besucher meiner Lesungen, der auch für einen Spieleladen arbeitet, ist zu mir gekommen und meinte, er könnte für mein Fussballbuch ein Spiel entwickeln. Es ist alles von ihm, aber ich finde, es passt perfekt. Das Buch endet mit den Worten «Ich hasse Fussball» und sein Spiel hat den Titel «Fussballliebe» und man kann alle Elfmeter nochmals versuchen und muss sie kommentieren.
Es ist das erste Buch, bei dem du als Figur Barbi Marković auftrittst. Weshalb hast du dir dieses Mal keine fiktiven Namen ausgedacht?
Ich habe ein Problem, Namen zu erfinden. Ich glaube mir dann selber nicht, die klingen nicht richtig. Ich habe immer gedacht, ich sei die einzige mit diesem Problem. Jetzt habe ich im Buch «Die Ausweichschule» von Kaleb Erdmann eine Stelle entdeckt, wo er einfach die Namen nicht erfinden kann und es ist unmöglich, man merkt es gleich, der Name ist falsch, er ist leer, da ist keiner dahinter. Und mir geht es auch so, ich habe das Gefühl, wenn man anstatt Slobodan Dragan schreibt, ist irgendetwas verloren gegangen. Das war das eine. Das zweite war, dass ich eigentlich mit einer Erzählung in der dritten Person über ein Mädchen im Fussballstadion begonnen habe und irgendwann mal dachte ich mir, das ist eigentlich nur feig. Wenn ich es schon bin, dann sollte ich auch «ich» schreiben.
Auch dein Vater Slobodan Marković spielt eine wichtige Rolle im Text. Er wird als typischer Altbelgrader beschrieben, von denen es heisst: «Die Altbelgrader leben eine Mischung aus bürgerlichem Habitus und feinen Kulturgewohnheiten auf der einen Seite und abenteuerlichem Strizzi-Dasein auf der anderen.» Diese Passage fand ich typisch für dein Schreiben, weil deine Texte oft auch Milieustudien enthalten. In «Minihorror» steht die Wiener Mittelschicht um die 40, in «Die verschissene Zeit» die Belgrader Jugend in den 1990er Jahren im Zentrum. Wie recherchierst du für solche Milieustudien?
Ich lebe. Es sind vielleicht eher so Gesellschaften oder Stadtteile, die ich kenne. Es wäre wohl nicht dasselbe, wenn ich recherchiert hätte über eine Gruppe von Menschen, denn dann würden die absurden Details fehlen, die Unstimmigkeiten sozusagen, die Menschen erst lebendig machen. Sonst wäre es eben recherchiert und dann wäre es wie bei den Namen, ein bisschen leer.
Strizzi bedeutet auf österreichisch Zuhälter, oder?
Oder Kleinkrimineller, einer, der so ein bisschen schmuggelt. Nichts Schlimmes, aber manchmal schon schlimm. Aber ja, die Beschreibung passt. Neulich habe ich sogar Slobodan Marković in echt getroffen, zufällig in einer Kafana, einem Wirtshaus. Er ist ein Mensch, der ganz viel in diese Wirtshäuser geht und dort trinkt. Ich hatte ja das Gefühl, vielleicht übertreibe ich ein bisschen im Buch, aber er hat dann ganz stolz erzählt, dass er in der Kafana oft mit einem bekannten Schauspieler trinkt und deswegen auch immer gratis ins Theater gehen kann. Also das ist die Mischung, die es da gibt.
Slobodan Marković sagt im Buch ja auch den schönen Satz: «Fussball soll man schauen, wie man Theater schaut, die Spieler und das Stadion muss man respektieren.».
Es ist tatsächlich eine weirde Eigenschaft von Slobodan Marković, dass er kein Anhänger von einem Team war und ist. Er geriet dann in Aufregung, wenn das Spiel gut lief, dann sagte er immer: «Es wird gespielt». Er mag auch die Idee, dass im Fussball und im Sozialismus jeder es zu etwas bringen kann. Das ist auch das, was ich mag an diesem Fussball, den man wie Theater schaut.
Barbi Marković in der Schweiz
Barbi Marković liest im Oktober und November 2025 an folgenden Daten in der Schweiz:
22.10., Zürich liest, Zürich; 23.10., Galvanik, Zug; 14.11., Höhenflug-Festival, Zug; 16.11., BuchBasel, Basel
Das (HI)STORY FESTIVAL in Bern dauert noch bis am 25. Oktober.
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