Sauerteigbrot, dicke Scheiben
Butter, gesalzen
Oder: fünf Zimtschnecken, falls von einem ganzen Blech, nicht vom Rand
Es ist ein Samstagnachmittag im April und ich weiss nicht, wohin mit mir. Also gehe ich in den Kunstraum DOCK in Basel. Es riecht gut, als ich den Raum betrete, nach warmem Brot und süssen Pfannkuchen. Das FFFFF-Kollektiv hat gegärt, gebacken, gebraten, geschlagen. «Breadstravaganza» heisst der Anlass: eine lange Tafel voll mit Teig.
Heute ist ein Teig-Tag, befinde ich, und muss an A denken. «Was soll ich tun, wenn ich während PMS Lust habe auf fünf Zimtschnecken?», fragte A ihre Therapeutin. «Dann essen Sie eben fünf Zimtschnecken», antwortete diese. Teig helfe, manchmal. «Machen sie daraus mal kein Cabaret».
Auf der Tafel im DOCK liegen Maisbrot und Schokoladenzopf, Sauerteigpfannkuchen, salzige Butter und fermentierte Rüebli. Ich esse fünf Stück Brot und mache daraus kein Cabaret, obwohl ich Weizen schlecht vertrage. Ich packe ein Zine ein, es heisst «bread archive». Darin ist auch das «fervent manifesto» von Mercedes Villalba.
«It is in times like this when joy becomes a political matter», schreibt Mercedes. Und: «We demand the right to survive in our happiness». Ich erinnere mich mit Mercedes: Es ist nicht unmoralisch, in wackeligen Zeiten wie diesen Freude zu empfinden. Nur vergessen wir manchmal, was uns Freude bereitet. Mercedes schlägt vor, Blasen zu bilden. Luftlöcher und Luftschlösser. Geschützte, verborgene Räume. Räume, die uns nähren, in denen wir uns nähren. Ruhige Räume, Räume zum Ruhen. Ruheräume.
Ich stelle mir einen solchen Raum vor: Ein Gewächshaus mit grossen Glasscheiben und einer gläsernen Decke, das auch im Winter wärmt. Wo wir uns ganzjährig sonnen können. Der Boden ein weicher Teppich. Ich würde oben ohne darauf liegen. Ich sehe N vor mir, wie sie sagt: «Wir sollten uns ums Liegenbleiben kümmern. Und nicht um Liegengebliebenes».
Mercedes glaubt, der Schlüssel liege darin, die Blasen gären zu lassen: «To make these bubbles ferment, rising up in fervor».
Lasst uns Blasen bilden.
Lasst uns Blasen werfen.
Lasst uns Fragen gären:
«Was macht dich sauer?»
«Was lässt dich brodeln?», fragt L.
Schwarztee, aus der alten Blumendose
Rohrohrzucker, in Klumpen
Rooibos-Tee, zum Beispiel, oder Honeybush
Zwei oder drei Datteln, ohne Steine
Alle vier Teepilze, unter kaltem Wasser vom braunen Geschlüdder befreit
Ein wenig Wut im Bauch
In mir brodelt es vor lauter Kombucha.
Ich habe versprochen, auf die Kombucha-Pilze aufzupassen, solange R weg ist. Sie liegen im Glas, übereinandergestapelt wie quergeschnittene Holzschitli aus ein und demselben Baumstamm. Dazwischen blubbert der Tee. Sie schauen mich mahnend an. Vorwurfsvoll. Jedes Mal, wenn ich den Kühlschrank öffne. Sie wissen, dass ich weiss, dass sie nicht allzu lange in ihrem eigenen Saft blubbern dürfen. Danach muss ich sie wieder umtopfen, ansetzen, füttern. Ich braue und braue und braue. Unmengen an Flüssigkeit. Aber niemand mag Kombucha. Alle lehnen sie dankend ab. Also trinke ich das Zeug literweise allein. Wenn ich den Kombucha zu lange gären lasse, explodiert die Flasche. Was brau ich mir da zusammen?
Ich lese einen Essay mit dem Titel «Fermentation & Failure». Darin beschreibt ein Koch, wie er daran scheiterte, dass er sein Sauerkraut vergass. Als er es von einer dicken Schicht Schimmel befreite und probierte, musste er sein Scheitern revidieren: Es war das beste Sauerkraut, das er je gemacht hatte. Ich habe ein einziges Mal Kimchi gemacht. Ich sass einen ganzen Tag lang in der Küche und massierte das Sauerkraut. Am Schluss wurde es viel zu scharf. Ich konnte es nicht essen. Fermentation & Failure: Ich lasse mich viel zu schnell vom Scheitern verleiten. Gelingt das Gären nicht auf Anhieb, lasse ich es sein.
Der Koch aber schreibt, wie dankbar Fermentiertes scheitere. Es sei oft nicht so tragisch. Das Allermeiste könne man noch retten, verwandeln oder weiterverwenden. Im schlimmsten Fall werde es «mushy». Und selbst dann tauge es noch zu Ketchup.
Kroketten (oder dergleichen), tiefgekühlt
Sauerkraut von letztem Winter, mit Kümmel
Wenn D traurig ist, steigt ihr Sauerkrautkonsum. Sie hört auf zu kochen. Sie wirft nunmehr Dinge in den Airfryer und klatscht Sauerkraut obendrauf. Je trauriger, desto mehr Sauerkraut. Es wäre schön, denke ich, das Sauerkraut gegen D’s Kummer selbst zu machen. Meine Wut im Bauch könnte im Kraut gären und ihre Trauer lindern. Fermentation ist ein Gärungsprozess, bei dem ein Ausgangsprodukt mithilfe von Mikroorganismen in etwas anderes umgewandelt wird. Wut in Kraut. Kraut in volle Bäuchlein. Wenn da nicht das Scheitern wäre.
Bärlauchkapern, geschlossen, geputzt & getrocknet
Tafelessig
Zucker und wenig Salz
Ein paar schwarze Pfefferkörner
Wann immer ich letzten Winter traurig war, ging ich in die Sauna. Ich lernte, in der Hitze zu weinen. Und dann ab Mitte März aufs Blumenfeld. Als erstes leuchtet es Zitronengelb. «Narzissen gehen auf in Vase», steht auf dem Schild. Das stimmt. Jetzt, im April, pflücke ich farbige Tulpen, die spitzen Sterne, die Kugelköpfe, die kleinen, seltenen in Violett. Blumenfeldtherapie. Danach laufe ich durch den Wald zurück. Ich pflücke Bärlauchknospen und lege sie ein, als wären sie Kapern. Es sind Kapern, Bärlauchkapern, lese ich nach. Sie riechen nach Essig.
N kocht für mich. Er bettet die Bärlauchkapern auf Butter. Dazu Barba di Fratte mit Zitronensaft und Kräuterseitlingen. Wäre ich nicht bereits verliebt in ihn, dann. Ich vergesse für die Dauer dieses Gerichts, dass die Welt wackelt. Mein Bauch blubbert vor Glück. Ich will alles festhalten und einlegen, mich exakt erinnern. Aber: Wie können wir uns erinnern an Bärlauchkapern auf Butter und an das Verliebtsein? Wie können wir uns erinnern, dass es okay ist, Freude zu empfinden? Und: Woran wir uns erfreuen? Wie können wir sie bewahren, die Freude, ohne nach Essig zu riechen? Ich lese ein Gedicht aus «weich werden» von Anja Bachl:
«fungiere als Eimachglas
konserviere Sachen
die für Tage bestimmt sind an denen man etwas braucht aber nichts hat
an denen man Angewiesenheiten auspackt
konserviere Sachen
und rieche dabei nicht nach Essig»
Ich will mich im Gären üben, mich dem Scheitern stellen. Also spreche ich mit L vom FFFFF-Kollektiv. Wir planen einen Fermentationsworkshop. Dann, wenn L wieder mehr Zeit hat. «Wann ist dein nächster freier Tag?», frage ich them. «Am Sonntag», sagt L, dann gehe they Bärlauchpflücken. L macht damit Pesto und friert es ein. Für Zukunftsgelüste. Für ein fernes Verlangen. Vielleicht für Tage, an denen they etwas braucht aber nichts hat. Wenn L dereinst das Pesto isst, stelle ich mir vor, schmeckt they den freien Tag.
Crémant, kein Prosecco
Eiswürfel
D und ich gehen wandern. Mit unseren Camper-Schuhen. «Wie gut bist du zu Fuss?», frage ich sie. Unter einer halben Stunde sei kein Problem. Wir laufen über eine Stunde, wir verlaufen uns. Im Rostigen Anker isst D Conchiglioni und ich Malfatti, die wirklich schlecht gemacht sind. Ihre Portion ist viel grösser als meine, ich bin immer noch hungrig. Sie bestellt Crémant auf Eis und fragt, ob das okay ist. Ich finde gerade alles okay. Es ist der erste Sommerabend, habe ich beschlossen, und er ist endlos. Wir reden neun Stunden. Dazu trinken wir Bubbles. Bubbles in unserem Bauch. «Fast wie bei alles gesagt», sagt D. Ich begleite sie über die Brücke und würde sie gerne küssen. Es ist noch lang nicht alles gesagt.
«Können wir Freude fermentieren?», frage ich mich. Für Tage, an denen wir etwas brauchen, aber nichts haben.
Ich fülle ein Glas mit Ungesagtem, Teig-Tagen und Ruheräumen. Ein Glas mit Bärlauchkapern, die nicht nach Essig riechen, und Crémant auf Eis. Eins mit Liebe, dem Verliebtsein. Mit nahen Sommerabenden, dem fernen Meer und dem Lange-Wachbleiben. Eins mit Blumenfeldern, Gedichten, Geschichten und Gegärtem. Eins mit Zeit: für mich, für das Alleinsein und für die Menschen um mich herum. Eins fürs Sorgenteilen, fürs Zuhören, fürs Nachfragen. Und vielleicht ein Glas fürs Scheitern.
Ich lese im Cambridge Dictionary nach: Eine fröhliche, vor Energie strotzende Person nennt man «bubbly».
Bubbly zu sein fällt schwer, wenn die Welt wackelt. Gegen Ungleichheiten zu kämpfen, verlangt Wut, bringt Erschöpfung mit sich. Und manchmal auch Unbehagen. Das ist wichtig. Aber hin und wieder sollte und darf uns politische Arbeit Freude bereiten. Silvia Federici schreibt: «Entweder ist unsere Politik befreiend, […] bereitet uns Freude, oder mit ihr stimmt etwas nicht.» Freude zu empfinden bedeutet nicht, mit der Welt zufrieden zu sein. Freude zu empfinden bedeutet, dass wir unsere Kräfte sparen. Dass wir unsere Kräfte spüren.
Und wenn die Wut bleibt, dann tanze ich. Ich ziehe die Schuhe aus und stelle mich auf die Zehenspitzen. Unter mir der Teppichboden. Ich tanze, als trüge ich hohe Schuhe. Ich tanze, als wäre ich ein Tornado. Ich drehe und ich schüttle mich, ich wackle. Ich wackle auf den «shaking grounds». Wenn die Welt wackelt, wackle ich mit.
Even if they burst at some point: Ich habe Lust auf Bubbles. Lasst uns Blasen werfen.
Was ich mag
Leadora Illmer schreibt, spricht und sammelt. Am liebsten (über) Bücher. Sie doktoriert an der Universität Basel und dem Swiss Center For Social Research zu Ungleichheiten und Utopien im Schweizer Literaturbetrieb und ist Teil des queeren Schreibkollektivs Q.U.I.C.H.E. Zusammen mit Louisa Raspé gründete sie das «Archiv der vollen Bäuche», ein Archiv für Alltagsküche, Essenserinnerungen und kulinarische Geschichten. Sie bezeichnet sich als kulinarische Salonnière, weil sie den Begriff so gerne mag. Manchmal arbeitet sie als Literaturkritikerin und freie Autorin. Am liebsten hat sie jedoch frei. www.leadoraillmer.ch
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