Im Kernteam sind wir ungefähr elf TINFA* Personen, wobei alle weiblich sozialisiert worden sind oder als weiblich gelesen werden. Unter art+care publizieren wir regelmässig einen Newsletter, informieren über Veranstaltungen oder Neuigkeiten zum Thema auf unserer Webseite und organisieren Open art+care Zoom-Meetings. Die Arbeit teilen wir uns je nach Kapazität im Team auf. Weil wir selbst alle Care-Arbeit leisten, ist es uns wichtig, dass das Engagement bei art+care keinen zusätzlichen Stress generiert. Wenn mal eine Person nicht kann, dann kann sie halt nicht und das ist für alle ok.
Aktuell werden wir von m2act unterstützt – ein Angebot von Migros Kulturprozent, das unter anderem Projekte fördert, welche sich mit zukunftsträchtigen Rahmenbedingungen auseinandersetzen. Für uns ist die Förderung sehr wichtig. Die Löhne im Kultursektor sind sowieso eher knapp. Ein ehrenamtliches Engagement wäre uns in diesem Ausmass also gar nicht möglich. Dank der Unterstützung können wir uns nun einen Stundenansatz auszahlen.
Ich denke, dass gesellschaftliche Erwartungshaltungen sehr stark an das Geschlecht geknüpft sind. Weiblich sozialisiert zu sein mag auch heissen, dass du ständig denkst, nicht gut genug zu sein, etwas schlecht zu machen oder sich ständig zu entschuldigen. Erwartungshaltungen an das Muttersein sind besonders hoch. Was aber heisst es genau, eine gute Mutter zu sein? Oder auch ein gutes Kind von einer Person, die nicht mehr zu sich selbst schauen kann?
Das Bild der guten Mutter beinhaltet eine, die immer da ist und sich immer sorgt. Diesem Anspruch zu genügen ist schlichtweg nicht möglich. Dazu kommt, dass wir uns als Künstler:innen in einem Berufsfeld bewegen, in dem 100 Prozent Engagement erwartet wird. Sowohl im Beruf wie auch zuhause vollkommen präsent zu sein, löst einen enormen Druck aus. Früher musste ich bei Theaterproben immer sehr früh von zuhause los, um überhaupt von Beginn weg da zu sein. Und am Abend musste ich bereits früher wieder gehen, um rechtzeitig bei meinem Kind zu sein. Dieses Gefühl, dass es an beiden Stellen nicht reicht, hat bei mir einen grossen Stress ausgelöst.
Ein zentrales Problem sehe ich darin, dass im Kunstbereich noch immer das Klischee des Künstlergenies vorherrscht. Ich gendere hier absichtlich nicht. Es ist eine Vorstellung davon, dass man nur dann gute Kunst machen kann, wenn zu 100 Prozent Kunst gemacht, quasi von Kunst und Luft gelebt wird. Strukturen zu verändern bedingt, sich von dieser Idee loszulösen. Es gibt so viele qualitativ hochstehende und berührende Kunst von Menschen, die gleichzeitig auch Care-Arbeit leisten!
Die Zoom-Meetings sind öffentlich. Manchmal gibt es einen Input und manchmal bringen die Teilnehmer:innen selbst Themen mit. Die Meetings laufen so ab, dass es zu Beginn jeweils eine Check-in-Runde gibt. Wir stellen uns kurz vor und alle dürfen erzählen, was sie gerade beschäftigt – dies ist aber kein Muss. Dann nehmen wir uns rund eine Stunde Zeit, um zu diskutieren. art+care soll in erster Linie ein Netzwerk bieten, wo Erfahrungswerte gesammelt werden und Menschen in Austausch kommen. Ich empfinde diese Treffen als empowernd, denn im Austausch wird spürbar, dass man nicht allein ist. Mitunter durch die Zoom-Meetings stossen immer mehr Menschen zu art+care dazu und es ist schön zu sehen, wie das Netzwerk organisch wächst.
Gleichzeitig ist der Wunsch und Drang zu spüren, wirklich etwas zu verändern. Wenn ich zurückblicke, merke ich, dass sich meine Position über das Engagement bei art+care durchaus verändert hat. Früher war es so, dass ich meine Care-Arbeit im Arbeitssetting lieber verdeckt hielt, sie versucht habe zu kaschieren und den Anspruch hatte, so oft wie möglich bei den Proben dabei zu sein. In intensiven Phasen bedeutete das bis zu sechs Tage die Woche zu arbeiten – und dies teilweise bis spät in den Abend hinein. Heute mache ich das nicht mehr so. Ich kann hinstehen und sagen, dass ich zuhause zwei Kinder habe und deswegen nicht 24/7 arbeiten kann.
Seit 2018 bin ich zudem Teil des Theaterkollektivs ultra. In der Gruppe haben wir beschlossen, eine 4-Tageswoche einzuführen, ohne dabei den Lohn zu kürzen. Und ich finde, dass wir auch mit diesen Rahmenbedingungen ein supertolles Stück produziert haben! Wenn ich in anderen Projekten mitarbeite, versuche ich stets zu vermitteln oder meine Erfahrungswerte zu teilen. Natürlich sind Strukturen nicht überall schnell zu ändern, aber ich habe heute ein anderes Selbstbewusstsein und weise auf die Problematik hin. Und dies nun klar im Wissen, dass es der Kreativität selbst nicht schadet.
Obwohl wir in unserem Theaterkollektiv die Strukturen konkret verändern konnten, ist dies jedoch nicht immer möglich – insbesondere bei den Stadttheatern haben diese Veränderungen noch keine Priorität. Ich glaube jedoch, dass mit immer mehr caregebenden TINFA* Personen in Leitungspositionen auch die Strukturen nach und nach aufgebrochen werden. Bestimmt ist bereits jetzt ein Wandel im Gange, aber es gibt noch ganz viel Luft nach oben. Während früher weiblich gelesene und sozialisierte Personen zwischen Kunst und Karriere entscheiden mussten, ist dies heute schon anders.
Es gibt eine schöne Definition von Care, diese heisst: «Ich bin auch unsicher, ich habe auch Angst, ich habe auch nicht die Lösung». Nicht die Lösung bereit zu haben und Unsicherheiten Platz geben zu können, finde ich in Bezug auf das Engagement von art+care extrem entlastend. Wir sind alle auf der Suche nach alternativen Möglichkeiten, die wir immer wieder überprüfen müssen. Auch Care-Arbeit selbst verändert sich je nach Phase – nichts bleibt immer gleich. Und wenn ich von Care spreche, dann spreche ich auch von Self-Care und davon, wie ich mich selbst stabil und sicher fühlen kann im Leben. Care heisst für mich auch Sorge tragen für den Planeten und für die Tierwelt.
Care geht uns alle etwas an. Auch wenn wir keine Kinder oder keine pflegebedürftigen Eltern haben. Jede Person leistet täglich auf eine Art und Weise Care-Arbeit. Care geben und Care nehmen ist für uns alle zentral. Und wenn wir uns dessen bewusst werden, dann wird Care-Arbeit auch sichtbarer.
Was ich konkret hilfreich finde, ist beispielsweise ein Check-in zu Beginn eines Projekts und auch jeden Morgen. Ein Sharing darüber, was bei jeder Person gerade ansteht. Dieses Wissen hilft der ganzen Gruppe, um Stimmungen oder Verhaltensweisen besser einschätzen zu können. Am Ende des Tages folgt dann das Check-out. Für diese Rituale muss bewusst Zeit genommen werden. Sie müssen gar nicht lange dauern – und am Ende des Tages sparen wir damit häufig sogar Zeit, weil sie Stress untereinander verhindern. Es geht darum, herauszufinden, was für Bedürfnisse im Raum stehen. Denn wir sind alle Individuen und brauchen dementsprechend etwas anderes, um uns gut zu fühlen. Die Umsetzung jedoch ist durchaus herausfordernd. Beispielsweise braucht eine Person viel mehr Pause als eine andere. Obwohl wir alle anders ticken, haben wir gut gelernt uns stets zu vergleichen. Und so ist es auch wichtig, dass wir über Gefühle von Gerechtigkeit diskutieren und das, was für alle am gerechtesten ist, zusammen aushandeln. Sowohl bei ultra wie bei art+care finde ich, dass wir einen schönen Umgang gefunden haben, indem wir die einzelnen Menschen so nehmen, wie sie sind.
Die Arbeit bei art+care ist für mich per se politisch. Und wenn wir sagen, dass wir wütend und zärtlich sind, meinen wir, dass wir uns in erster Linie vom Patriarchat und damit aus diesen festgefahrenen Strukturen, die uns alle noch so fest beeinflussen, befreien wollen. Gleichzeitig geht es bei einer Care-Revolution aber nicht um Gewalt. Unser Wunsch ist vielmehr ein care-voller Umgang mit uns allen und mit dem ganzen Planeten. Wir wollen liebevoll miteinander umgehen und über diesen Akt der Zärtlichkeit strukturelle Veränderungen hervorrufen.
Mein Wunsch für die Zukunft ist, dass es art+care als Organisation nicht mehr braucht. Dass wir an einem Punkt ankommen, wo Care sichtbar ist und als wertvoll für alle gilt. Dass Care bewusst das Zentrum unseres Zusammenlebens bildet. Und dass das Patriarchat ein Ende findet.
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