Es hat angefangen mit einer gewissen Verzweiflung; Verzweiflung über die Situation der Welt. Ich hatte das Gefühl, dass ich mich selbst nicht verorten konnte mit meiner Rolle, mit meinem Schreiben in der heutigen Zeit. Was die Rolle der Kunst, der Lyrik ist; welchen Sinn es überhaupt hat. Ich hatte das Gefühl, dass es an Kunst fehlt, die die Klimakrise spürbar macht. Mein Weg, mit diesen ungeklärten Gefühlen umzugehen, ist, in sie hineinzuschreiben. Das funktioniert bei mir so, dass ich über mehrere Jahre in diese Themen hineinschreibe, sehr viel lese zu allem, was damit zu tun hat. Ich habe mich durch einen Stapel an Klimaliteratur, Sachbüchern, literarischen Texten gearbeitet.
Dann schreibe ich zuerst wild in alle Aspekte, alle Fragen hinein. Durch diesen Prozess gibt es dann irgendwann einen Raum, in dem ich mich aufhalte. In diesem Raum entsteht dann der eigentliche Text. Der Text, so wie er im Buch steht, entstand erst ganz am Schluss und innerhalb von relativ konzentrierter Zeit.
es ist so:
du siehst nur noch feuer,
überall.
wie immer.
wie erwartet.
bilder rieseln
durch die risse in der wand;
sand
oder asche.
Ich bin oft frustriert darüber, dass sich viel Klimaliteratur stark auf das Dystopische bezieht. Das ist zwar verständlich; ich habe auch mit diesem Impuls kämpfen müssen, weil es tatsächlich fast einfacher ist, dystopisch zu schreiben. Das ist aber immer eine Verlagerung in die Zukunft: Wenn alles so weitergeht wie jetzt, dann wird es so. Darin geht aber der gegenwärtige Körper verloren. Für mich war es sehr wichtig, dass es um die erlebbare Gegenwart geht. Wie kann ich die Realität so nah in meinen Körper hinein, so nah an mich herannehmen, wie nur möglich? Eines der Probleme der Klimakrise ist, dass sie so ungreifbar ist. Dass es etwas ist, was wir zumindest in gewissen Kreisen alle wissen, aber nicht spüren im Alltag. Man kann an einem Ort sein, es ist ein wunderschöner Tag: toll, warm, wunderbar. Und dann muss man sich gleichzeitig dieses ABER im Kopf behalten. Ich habe versucht, dieses ABER spürbar zu machen. Und dafür braucht es diese Gegenwart.
Es gab auch Reaktionen auf das Buch, die es dystopisch genannt haben. Im Jahr 2020, im Sommer vor der Pandemie, gab es diese grossen Feuer in Australien. Das ist dann irgendwie einfach verschwunden. Und dann ein paar Jahre danach zu hören, dass die Vorstellung von Feuer noch dystopisch ist, ist absurd.
hier ist der anfang,
flügchen.
die zahlen
prasseln
auf deinen Kopf
in stunden
sonnensekunden.
die feuer rollen
in endlosschleifen
über dich hinweg.
Der Text ist zwar nicht in der Pandemie angesiedelt, aber dieses Gefühl der Isolation, der Eingeschlossenheit hat den Text stark beeinflusst. Es gibt schon auch direkte Verbindungen zu der Pandemie im Text: die wiederholten Zahlen, die auf den Kopf prasseln. Das, was Literatur kann, ist, dieses Erlebnis zu nehmen und den weiteren Raum aufzumachen. Denn ich denke, dass dieses Erleben für viele Menschen bekannt ist: dieses Einsame, dieses Für-sich-Sein, diese Ohnmacht. Ich denke, dass das auch sonst ein sehr verbreitetes Gefühl ist, nicht nur in der Pandemie.
Ich gehe beim Schreiben immer sehr stark vom Körper aus, also vom körperlichen Erleben der Welt. Der Körper an sich ist für mich ein sehr faszinierendes, ungeklärtes Feld. Die Idee von der Trennung von Mensch und Natur ist ein Fehlschluss, weil der Körper nicht getrennt ist von allem, was um ihn herum passiert. Der Körper ist ein natürliches, ein tierisches Element. Der Körper hat keine klare Grenze zur Umwelt. Die Haut ist nicht eine Mauer, sondern ein durchlässiges Portal. Wir atmen Luft, die in sehr vielen anderen Lungen schon drin war. Wir atmen Partikel, die von weit her kommen. Wir trinken Wasser, das uralt ist. Wir essen Salz, das seit jeher existiert. Wir sind in der banalen Realität unseres Alltags nicht separat von unserer Umwelt. Das vergessen wir manchmal. Das, was man tun kann, ist, das künstlerisch fühlbar zu machen. Das ist für mich etwas sehr Wichtiges.
und trotzdem.
man gewöhnt sich an alles.
du hast den himmel schon lange nicht mehr gesehen.
hast zuerst die gardinen geschlossen,
dann die augen, den mund.
hast dir den tag unter die lider geschoben;
dich glattgemacht, zu pixel
und glas.
ja, flügchen.
wie immer.
Man gewöhnt sich an gewisse Dinge. Ich denke aber, dass nicht Resignation das Hauptgefühl im Text ist, sondern eher Ohnmacht und Scham. Scham darüber, dass man sich an all das gewöhnt, dass man es eigentlich weiss, aber sich daran gewöhnt. Das ist für mich nicht Resignation, sondern Trauer. Es ist wichtig, diese Unterscheidung zu machen. Dann kann man etwas tun, dann kann man es auch annehmen und vielleicht verändern.
die zellen zittern;
behäutete stämme,
nüstern aus samt.
asche und tau.
die stimmen, überall.
du öffnest den mund;
sprossen spannen
die saiten
in deinem hals –
die kehle klingt.
adern ästeln
aus offenem mund,
vermengt, verteilt,
verschlungen.
Der Text geht von dieser Isolation, dieser Einsamkeit, dieser dominierenden Ohnmacht und Scham durch eine Art der Ich-Auflösung. Am Anfang des Textes stellen sich Fragen wie: Was mache ich? Was tut mein Körper hier? Wo ist meine Verantwortung? Wieso mache ich das? Woher kommt der Schmutz an meinen Händen? Der Text geht dann durch diese Konfrontation, durch diese Annahme der Trauer und des Gewichts der Katastrophe durch eine Ich-Auflösung. Diese Ich-Auflösung ist ein Ruhemoment im Text. Diese Konfrontation mit der Spinne führt zu einer Fragmentierung, die es ermöglicht, der Welt zu begegnen. Sie führt zu einer Art der Verästelung mit der lebendigen Welt. Diese Verästelung führt dieses isolierte Körperchen, dieses Flügchen, zurück in einen Raum, in dem es andere Lebewesen gibt, die atmen. In dem die Bäume lebendig sind, in dem es diese Grenzen nicht mehr gibt. Es ist eine Bewegung aus sehr stark eingegrenzten Individuen hin zu einer grossen Verästelung. Darin ist vielleicht eine Form eines Weitergehens: Weg von diesem Auf-sich-selbst-reduziert-Sein zu einer Rückkehr in den Körper, der eben nicht getrennt ist.
Immer, wenn das Wort Hoffnung kommt, dann passiert bei mir sehr viel Kompliziertes im Kopf. Ich habe eine komplizierte Beziehung zu dem Wort Hoffnung. Ich kann nicht wirklich sagen, dass mir etwas irgendwie Hoffnung macht, weil ich nicht denke, dass Hoffnung etwas ist, das es an sich gibt. Für mich ist es eine Praxis, ein Imperativ: Du musst weiter. Was ist die Alternative? Man muss irgendwie den nächsten Schritt machen. Und der nächste Schritt ist immer besser als kein Schritt. Dieses In-der-Welt-Sein und Nah-Sein an allem, was um einen herum lebt, ist eine Form des Weitergehens. Und das ist eine Form der Praxis, der Hoffnung, vielleicht.
flügchen: du weißt, dass das blut unter deinen
fingernägeln klebt; an den rücken der bilder,
die du unter deinem bett versteckst. weißt,
dass kein regen mehr trinkbar ist, nirgendwo,
an keinem ort. dass kein gedicht das wasser
reinigt, kein wort den durst noch löscht.
und trotzdem kratzt du deine zeichen ins papier,
egal, wie viele bäume darin verenden.
Für mich war der Text eine Auseinandersetzung mit dem Gefühl der Verantwortung oder der Pflicht, auch der eigenen. Vielleicht auch eine Konfrontation mit der eigenen Nutzlosigkeit. Ich habe diese Frage nicht lösen können. Man kann nicht sagen, dass es eine Aufgabe der Kunst gebe, weil ich nicht an eine instrumentalisierte Kunst glaube. Kunst ist mehr als das. Kunst ist nicht etwas, das eine Rolle oder Aufgabe hat, sondern es ist ein unergründlicher, unerklärbarer Teil unserer Menschlichkeit. Es ist wichtig, dass es Kunst gibt, die die Realität konfrontiert, die in der Welt ist, die in die Welt schreibt. Warum will man, dass die Welt weitergeht? Warum will man, dass man weiterexistiert? Die Tatsache, dass wir als Menschen Kunst machen, ist einer der Gründe, warum ich möchte, dass wir weiterexistieren und warum ich die Menschen nicht einfach nur als negative Kraft auf der Welt sehen kann, sondern dass wir eben irgendwie auch mehr sind als das.
Was ich mag
Eva Maria Leuenbergers «die spinne» ist im Literaturverlag Droschl erschienen.
Auszüge aus diesem Gespräch wurden im RaBe Info vom 25. Februar 2025 veröffentlicht.
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