Es passiert oft, dass Interviews mit der Frage starten, inwiefern meine Malerei mit meinem Hintergrund als klassischer Musiker verbunden ist. Dabei vergleiche ich die Musik gerne mit dem Spitzensport. Du musst immer dran sein, immer üben und wenn du es nicht machst, dann plagt dich das schlechte Gewissen. Es ist nicht wirklich ein gesundes Mindset. Dass meine Partnerin beispielsweise für mehrere Wochen keine Geige spielen würde, ist schwer vorstellbar. Als Musiker:in musst du dauernd üben, üben, üben. Jetzt, wo Musik nicht mehr mein Hauptfokus ist, denke ich manchmal, dass ich etwas verrückter hätte leben sollen.
Ich denke, jede Person entwickelt eigene Strategien, um mit diesem Druck umzugehen. Es liegt auf der Hand, dass ich aufgrund meines Werdegangs immer wieder danach gefragt werde, wo die Parallelen zwischen den Disziplinen Musik und Kunst liegen. Und ich denke, das Wort Disziplin trifft es ganz gut: Ich bin ein Schaffer und wenn ich eine Idee habe, dann möchte ich diese auch umsetzen. Und ich bin ungeduldig und zielorientiert.
Das Ausloten von Grenzen und Möglichkeiten ist etwas, was mich antreibt. So wollte ich auch während meines Musikstudiums immer wieder die schwierigsten Stücke spielen, haha.
Am herausforderndsten sind Porträts – also wenn es um ganz bestimmte Personen geht. Ganz ehrlich, als ich meine Kinder porträtiert habe, da hatte ich zeitweise einen erhöhten Puls. Bei einem Porträt kann ein Millimeter bereits verheerend sein. Ich weiss noch genau, wie das Abbild meines Sohnes von ihm selbst kommentiert wurde, zum Beispiel, ob seine Hautfarbe stimmig abgebildet ist. Bei der Porträtmalerei geht es nicht nur darum, die Person exakt abzubilden, sondern ihr Wesen zu einem bestimmten Zeitpunkt ganzheitlich einzufangen.
Von mir existiert ein einziges Selbstporträt. In seiner Dimension von rund einem Quadratmeter habe ich mich während des Malens auch gefragt, ob meine Nase wirklich so gross ist… Doch mich selbst zu malen, also mich selbst beim Malen auseinanderzunehmen und neu zusammenzusetzen und dabei den Anspruch einer fotorealistischen Darstellung zu haben, das war eine spannende Selbsterkundung. Der Impuls für das Selbstporträt kam als Bauchgefühl und war keine geplante Entscheidung. Später wurde das Bild auf dem Cover der Publikation «Schweizer Kunst im 21. Jahrhundert – Die Sammlung Nationale Suisse» abgebildet. Es war sehr erstaunlich, was ein solches Porträt auslösen kann und was daraus entsteht. Beispielsweise werde ich von Personen angesprochen, die sagen, dass sie mich aufgrund dieses Porträts erkennen.
Und dann, Jahre später, wird plötzlich der eigene Alterungsprozess mit einem einzelnen Bild abgeglichen. Dies liegt nun 20 Jahre zurück und ich denke, dass ich mich heute vielleicht etwas mehr davon distanziere und darin vor allem einen optimistischen Jüngling sehe. Und trotzdem, wenn ich eingeladen werde, um über meine Arbeit zu sprechen, wird dieses Bild zum Thema. Grundsätzlich mache ich nicht viele Porträts. Die Abbildungen meiner Kinder zum Beispiel sind etwas Privates und keine Bilder, die ich ausstellen möchte.
Und doch sitzen wir hier vor diesem gigantischen Porträt einer älteren Frau. Was hat es damit auf sich?
Das Porträt von Anita war eine spannende Erfahrung. Was vermag eine fotorealistische Darstellung über das Bild hinaus auszulösen? Der Auslöser war eine Fotografie von Anita, wie sie in meiner allerersten Ausstellung 2006 in der Galerie sass. Als ich ihren offenen und wachen Blick sah, wusste ich, dass ich dieses Abbild malerisch umsetzen möchte. Es war genau dieser Blick, den ich festhalten wollte, als ich sie kennengelernt habe. Anita selbst hatte sich einerseits sehr darüber gefreut, andererseits vermischten sich dabei viele persönliche Themen.
Man muss sich einmal vorstellen: Auf einmal gibt es dieses grosse, hyperrealistisch gemalte Bild von dir. Plötzlich stellt sich die Frage nach dem Stellenwert der Persönlichkeit im Zusammenhang mit dem Bild. Eben diese Vermischung von ihrem Selbstbild und meiner Interpretation davon ist bei Anita sehr weit gegangen – bis zu einem Punkt, bei dem ich selbst gezweifelt habe, ob meine Entscheidung richtig gewesen war. Dazu kam, dass ich mit dieser Malerei den Swiss Art Award gewonnen habe und das Bild dadurch grosse Sichtbarkeit hatte.
Du porträtierst in dem Sinne ja auch deine Pflanzen. Zum Beispiel wird die Agave auch immer wieder zu deinem Sujet. Bist du da weniger aufgeregt?
Haha, bis jetzt hatten die Pflanzen noch nicht wirklich Mühe damit.
Aber was ich sagen will, ist, dass ich mich damals an einem Punkt befand, bei dem ich mich fragen musste, was ich mit meiner Malerei will. Und bei dem ich gemerkt habe, dass es mich nicht interessiert, Porträts nur zum Selbstzweck zu malen. Ich arbeite extrem nach Dringlichkeitsprinzip. Es gibt Sachen, die ich machen muss. Dies äussert sich bei mir manchmal sogar physisch – sprich, es ist ein Gefühl der inneren Unruhe, das mich künstlerische Entscheidungen fällen lässt. Und wie bereits erwähnt, bin ich auch sehr ungeduldig.
Es gibt verschiedene Arten von Impulsen, aus denen heraus meine Bilder hervorgehen. Es gibt solche, bei denen ich zu 80 Prozent weiss, wie sie aussehen werden und Arbeiten, die mehr im Moment entstehen. Bei meiner neuesten Arbeit mit der Wellendarstellung war es jedoch so, dass ich vor Monaten mit einem türkisfarbenen Untergrund angefangen hatte und die Leinwand so über längere Zeit einfach in meinem Atelier gestanden hat. Ich wusste, dass darauf eine Welle kommen sollte, doch es dauerte eine Weile, bis ich sie wirklich umsetzte. Auch plane ich ein grosses Triptychon, bei dem ich ungefähr weiss, wie es aussehen soll. Noch sehe ich es nicht zu 100 Prozent vor dem inneren Auge. Aber es wird sehr merkwürdig und auch ein wenig schrecklich.
Mit dem Vertrauen in die Malerei hatte ich fast nie zu kämpfen. Mit 17 Jahren hatte ich ein fast schon übersteigertes Selbstvertrauen, wenn es ums Malen ging. Das hat sich mittlerweile relativiert und dennoch habe ich diese ungebrochene Zuversicht. Es gibt dafür ganz viele andere Dinge, die mich unsicher machen. Im CV sind immer nur die Erfolge verzeichnet, aber es gab natürlich auch viele Absagen und Momente, die sich wie Scheitern anfühlten. Ich hatte aber das Glück, dass mich dies nie wirklich aus dem Konzept bringen konnte.
Du malst richtig gern, oder?
Ja, oder? Absolut, haha.
Meine Haltung gegenüber der Malerei ist ziemlich old school. Ich mache am liebsten alles selbst. Also die Farben nicht, weil ich finde, dass es bereits hervorragende Ölfarben zu kaufen gibt. Aber ich habe gerne die Kontrolle. Deswegen kommt für mich auch keine malende Assistenz in Frage.
Ich habe einen ziemlich emotionalen Zugang zur Malerei. Wenn ich lange nicht mehr gemalt habe und wieder damit beginne, dann bin ich berührt. Ich kann den sogenannten Terpentinrausch gut nachfühlen. Es wird mir zwar schnell langweilig, aber ich freue mich immer darauf.
In der Musik gibt es den Moment der Aufführung, den man mit allen teilt, doch dieser Moment ist flüchtig. Beim Malen ist das ja ganz anders. Du verbringst wahnsinnig viel Zeit alleine an einem Bild.
Haha, ich bin wohl der abgelenkteste Mensch, den es gibt. Das ist grauenhaft. Nein, vielleicht ist das gar nicht grauenhaft – ich möchte es überhaupt nicht negativ bewerten. Das ist ja auch eine Frage der Sozialisierung. Bei uns wurde Fokus – ja «Überfokus» – oft als der heilige Gral angesehen.
Tatsache ist, ich bin meist sehr unfokussiert, ausser es braucht mich wirklich. Ich liebe es, beim Malen zu telefonieren, oder wenn jemand im Raum ist und etwas erzählt. Aber das funktioniert natürlich nur mit Menschen, die mir vertraut sind. Manchmal schaue ich nebenbei auch eine Filmserie. Als das Atelier noch Teil der Wohnung war, sind auch oft die Kinder zu mir gekommen und haben neben mir gespielt, während ich gearbeitet habe.
Liegt bei dir deswegen das Buch von Eckart Tolle neben der Toilette?
Haha, ja, ich habe das Buch von der Künstlerin Taus Makhacheva geschenkt bekommen. Aber ich bin noch nicht so weit gekommen. Ich bin immer noch beim Vorwort. Habt ihr es gelesen?
Katrin: Ja, mich hat es angesprochen. Ab und zu höre ich seinen Podcast. Darin kommt auch sein Humor gut zum Ausdruck. Obwohl seine Aussagen ernst gemeint sind, kann er sehr gut über sich selbst lachen.
Aber da sind wir doch gleich bei einem sehr guten Thema gelandet. Als Künstler:in macht man ja eine Art Behauptung. Gleichzeitig sind wir auch einfach «a moment in time». Kürzlich ist mir der Gedanke gekommen, dass ich mir wünsche, dass sich meine Kunst, auch wenn meine Position nicht mehr relevant sein sollte, immer noch schön anschauen lässt. Natürlich arbeite ich nicht mit Absicht in diese Richtung, aber ich stelle mir viele Fragen zur Ästhetik. Auch Humor spielt eine wichtige Rolle. Wie ernst nehme ich mich als Künstler und was für Themen behandle ich? Es ist immer wieder ein schmaler Grat.
Ölmalerei gilt als eine ernsthafte Angelegenheit. Je nach Sujet ist es bei mir aber nicht mehr klar, ob es jetzt lustig gemeint ist oder nicht. In der Bezeichnung als humoristisch steckt auch etwas Abwertendes. Den Satz «der malt noch lustige Bilder» will kein:e Künstler:in hören.
Humor entsteht für mich dann, wenn man selbst eine kleine Reise im Kopf macht und irgendwo hingelangt, wo es absurd wird, weil man es selbst nicht mehr versteht. Als Mensch kann man in einem leeren Raum sitzen, eine Geschichte erzählen und es lustig finden: Diese uns eigene Fähigkeit hat nichts mehr mit Überleben zu tun. Mit jemandem über das Gleiche zu lachen, kann unglaublich beglückend sein. Und zusammen nicht mehr können vor Lachen – das ist grossartig!
Es geht mir darum, ehrliche Bilder zu malen. Und dann steckt halt das drin, was zu mir gehört, nämlich, dass ich mich nicht zu wichtig nehmen kann. Ich möchte auch nicht aufgrund meiner Technik oder meiner Fertigkeit abgefeiert werden. Das wäre viel zu einfach.
Als Künstler:in muss man ein Stück weit sehr überzeugt sein, denn man präsentiert sich einer Öffentlichkeit. Gleichzeitig sind wir im Jetzt und ob in 100 Jahren noch ein Hahn danach kräht, dass hier jemand etwas gebastelt hat, das glänzt, who knows.
Der kreative Prozess passiert bei mir beim Zeichnen. Der Kugelschreiber ist eigentlich mein wichtigstes Werkzeug. Wenn ich einen Kugelschreiber zur Hand nehme, entsteht oft ein Moment, bei dem ich mir selbst beim Zeichnen zuschauen kann und ich nicht mehr weiss, was kommen wird. Gerade diese Momente sind für mich sehr wichtig. Je nach Zeichnung überführe ich sie eins zu eins in die Malerei, fast so, als ob ich der Zeichnung eine Bühne geben würde.
Oft erstelle ich als Grundlage für meine Arbeiten auch Modelle aus Keramik. Dabei interessiert mich deren Imperfektion. Diese bietet mir wiederum Anknüpfungspunkte, die ich beim Malen weiter ausformulieren kann. Die Bilder bekommen so eine Tiefenwirkung, die ich nur schlecht erfinden könnte. Dafür hilft mir die Arbeit mit den Modellen.
Auch Kitsch ist eine Kategorie, die anders bewertet wird, je nachdem wo du aufgewachsen bist. Diese sehr kitschige Pferdestatue dort hinten hat mir mein Schwager aus Italien mitgebracht, weil er dachte, sie sehe aus, als hätte ich mir sie ausdenken können. Sie ist kein Einzelstück, sondern stammt aus einer Manufaktur, wo sie jemand geplant hat und davon ausgegangen ist, dass sie zu einem Verkaufsschlager wird.
Ich stelle mir schon vor, wie sich Leute vor meinen in Ölfarbe gemalten Sonnenuntergängen am Kopf kratzen. Diese Irritation gefällt mir. Denn ein Sonnenuntergang ist ja wunderschön! Das ist ja teilweise kaum zum Aushalten. Meine Sonnenuntergangsbilder sind von Bildschirmschonern inspiriert. Auch wenn ich von einer Form von «Trash» ausgehe, passiert die Umsetzung immer mit sehr viel Liebe und Ernsthaftigkeit. Ich bin meinen Sujets immer sehr zugeneigt. Obwohl es in diesen Formen so viel Schönheit gibt, haben wir gelernt, sie als Kitsch abzustempeln. Dabei können sich diese Kategorien ja extrem schnell ändern.
Das Sujet der Delphine über dem Sonnenuntergang stammt aus einem Juniorheft. Ich habe mich oft gefragt, ob man das überhaupt malen darf, trotzdem fand ich die Fotografie extrem anziehend. Es gibt nämlich auch etliche Darstellungen von Delphinen mit Sonnenuntergängen, die ich nicht gut finde.
Die Umsetzung eines Bildes mit Öl auf Leinwand hat für mich auch eine sinnliche Dimension, die mir wichtig ist. Mir gefällt das Verführungspotenzial dieses klassischen Mediums, das auch Menschen ansprechen kann, die wenig Bezug zur Kunst haben.
Gut, andererseits haben wir kürzlich das Delphinbild draussen vor dem Atelier fotografiert. Da sind x Leute einfach daran vorbei spaziert und niemand hat es eines Blickes gewürdigt. Dabei ist das Bild ja sehr gross! Auf jeden Fall ist die Frage, in welchem Kontext Kunst funktioniert und wo nicht, sehr spannend. Man müsste mal einen Test machen und im Brockenhaus in Murten ein paar Sachen platzieren…
Francisco Sierra im WEB
Kommende Ausstellung: «GUPPY» Art Basel Unlimited 10.–16.6.2024
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