Die Posaune findet man nicht selber – sie wurde mir aufgequatscht. Dies ist bei vielen Posaunist:innen so. Mittlerweile ändert sich das ein bisschen, aber wenn man uns diese Frage stellt, antworten viele: «Die Querflöte war bereits besetzt, also musste ich die Posaune spielen.»
Bei mir war es so: Ich sang in einem Kinderchor und während einem Chor-Lager sass mir der Mann der Chorleiterin gegenüber, er war Posaunenlehrer und er sagte mir: «Hey, du hast Posaunenlippen!» Und ob ich nicht mal die Posaune ausprobieren möchte? Pädagogisch ist so eine Aussage natürlich komplett überholt und voll altes Denken. Aber ich habe das Instrument ausprobiert und er hat mir gratis Posaunenlektionen angeboten. Ich war zwar nicht voll begeistert, aber ich fand auch keinen Grund, wieso ich das jetzt nicht machen soll. Und mir kam seither auch keinen Grund in den Sinn, mit dem Posaunenspiel aufzuhören.
Ein Blasinstrument zu spielen hat auch einen sehr sportlichen Aspekt. Man muss voll dranbleiben, und gerade am Anfang verbessert man sich sehr schnell sehr stark. Das war für mich ein riesiger Ansporn. Zuvor hatte ich verschiedene Instrumente ausprobiert, das Akkordeon etwa. Damit kann man ja schnell irgendwie Musik machen. Aber bei der Posaune ging es mir am Anfang gar nicht so doll ums Musikmachen, sondern ich fand es cool, dass ich sehen konnte: Heute kann ich einen Ton spielen, den ich gestern noch nicht spielen konnte. Man hat also eine totale Vergleichbarkeit, der Fortschritt ist messbar.
Wir zogen dann mit der Familie um und ich erhielt einen neuen Lehrer, der Jazzposaunist war. Ich spürte schnell, dass Jazz eine Musik ist, die mir viel stärker gefällt als beispielsweise klassische Musik. Gerade das Improvisieren hat mir grossen Spass gemacht. Und sobald ich mit Menschen zusammengespielt habe, rückte auch der sportliche Aspekt in den Hintergrund.
«Interessant» ist eigentlich ein gutes Wort, um Klänge zu beschreiben, die ich dann weiterverfolge. Das sind dann Klänge, die wie zwischen den Stühlen und unbesetzt wirken, bei denen man nicht sofort weiss: jetzt wird daraus dies und daraus das. Bei meinem Instrument muss ich aber auch unterscheiden: Als Sideperson bin ich zu einem gewissen Grad Dienstleister:in. Da geht es auch darum, den Klang oder überhaupt das, was man aus dem Instrument rauslässt, so zu machen, damit es dem Projekt und der Musik dient.
In meinem eigenen Projekt ist das nicht anders: Ich will ja auch Klänge erzeugen, die sich möglichst gut in die Stücke einfügen. Aber da geht es um meine Stücke und es ist mein Projekt, deswegen sind es automatisch Sounds, die mir auch gefallen. Wenn ich für als Teil meines Trios spiele, mag ich es, wenn die Klänge ein bisschen luftiger und auch diffuser, und nicht so Haudrauf-mässig sind. Mein Spiel soll ein bisschen mehr Fragezeichen haben.
Vor Kokon hatte ich bereits eine Band mit eigenartiger Besetzung. Es war ein Oktett, das ich für mein Masterkonzert gegründet hatte, mit sieben Posaunen und einer Tuba. Wenn wir uns trafen, war dies immer ein grosser Spass und ein riesiges Happening – es war schwer, da noch zu proben und nicht einfach nur eine gute Zeit zu haben.
Ungewöhnliche Besetzungen interessieren mich. In der Jazzszene gibt es oft so eine Art 08/15-Besetzung: Es gibt irgendeine Rhythmusgruppe, vielleicht noch Bläser oder eine:n Sänger:in. Ich versuchte, dies nicht als gegeben anzusehen, sondern ich begann mir zu überlegen: Was kann man denn eigentlich alles machen und was ist alles möglich? Wenn man beispielsweise Instrumente wählt, die ungefähr den gleichen Tonumfang haben, dann ist die Rollenverteilung nicht mehr starr vorgegeben. Die Rollen kann man dann umverteilen – oder eine Rolle mit Absicht gar nicht besetzen. Da gibt es wahnsinnig viele Möglichkeiten. Und das war eigentlich auch der Grundgedanke hinter Kokon: Warum will ich diese Posaunen-Bassklarinetten-Gitarren-Besetzung meines Trios?
Wir haben alle ungefähr den gleichen Range – also nicht ganz genau – und man kann damit spielen. Das heisst auch: Ich muss beim Komponieren sehr viel ausschreiben, bloss ein Leadsheet mit einer Melodie und Akkordsymbolen darüber funktioniert nicht so gut. Das bedeutet mehr Arbeit – und aber auch mehr Kontrolle für mich. Mit meinem Computer und meiner Partitur bin ich das totale Spielkind, und nachher ist aber recht viel vorgegeben. Die armen Anderen müssen dann machen, was da steht – zum Glück natürlich nicht komplett, denn es gibt viele freie Stellen. Oder Passagen, in denen ich zwei Stimmen ausschreibe und gar nicht klar ist, wer die zwei Stimmen spielt und welche dritte Person noch irgendwas ganz anderes macht.
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Ich habe schon immer gern komponiert – mit fünf oder sechs hatte ich beispielsweise eine Phase, in der ich Schlagersängerin werden wollte. Ich sang dann meiner Mutter selber geschriebene Lieder mit schlechten Texten vor… Wahrscheinlich hat das Komponieren deshalb einfach mit dem Interesse an der Musik zu tun. Man will ja hinter die harmonischen Zusammenhänge kommen, und herausfinden: Wie ist das gemacht und warum gefällt mir das jetzt gerade? Und dann ist es nicht mehr weit zu sagen: «Jetzt konstruiere ich mal das und das und guck, wie sich das anfühlt.»
Unter meinen Kompositionen gibt es Stücke, bei denen eine abstrakte Idee am Ursprung stand oder ein Jam am Piano oder ich hatte mir etwas grafisch auf einem Zettel notiert – und ich übertrage dies dann ins Computer-Notationsprogramm. Aber sehr oft schreibe ich auch einfach direkt ins Programm rein. Dieses Programm verleitet einen dazu, sehr effizient zu sein und das ist nicht immer positiv. Denn Musik wird ja nicht dadurch besser, wenn man sie effizienter macht. Ich versuche deshalb auch, meine Stücke wieder aus diesem Programm herauszudrücken, sie zu entfernen – ich nehme es mir zumindest vor.
Wahrscheinlich trägt der Computer dazu bei, dass der Kompositionsprozess ein bisschen anders wird, im Sinne von: ich kann mir alles, was ich mache, sofort anhören. Das hat Vorteile, da ich viel mehr ausprobieren kann. Ich kann beispielsweise 30’000 mal auf Repeat drücken und am Ende kann ich alles wieder löschen. Aber das, was da steht, kommt auch oft quasi vor meiner Vorstellung. Und das kratzt zuweilen an meinem Ego. So nehme ich mir wieder mehr vor, das, was da notiert bereits steht, seltener abzuspielen oder gar nicht abzuspielen und mir vorzustellen, wie es weitergehen könnte, bevor ich sofort mit meinem Programm was herumprobieren will.
«Even more atemlos» – der Titel kam übrigens erst, nachdem ich das Stück geschrieben habe, da sind jeweils viele enttäuscht – ist eines der ersten Stücke, die ich für Kokon geschrieben habe. Beim Komponieren standen diese total idealistischen Gedanken im Vordergrund. Es waren Gedanken wie: Warum braucht es immer die gleiche Rollenverteilung? Und warum muss es immer eine Melodie geben? Also liess ich das mal weg und schrieb das Stück mehr so patternmässig und das ging recht schnell. Ich habe in dieser Zeit noch mehr ähnliche Stücke geschrieben, die in der Versenkung verschwunden sind, ohne dass wir sie gespielt hätten. Und seitdem ist es mit diesem Idealismus auch wieder weniger geworden. Denn man kann sich viel verbauen, wenn man allzu dogmatisch vorgeht. Bei «Even more atemlos» gab es viele Elemente, die ich absolut nicht wollte, beispielsweise wollte ich absolut keine Rollenverteilung. Eine Melodie wollte ich über weite Teile nicht, Improvisation über Akkordsymbolen auch nicht und Improvisation, die an einem bestimmten Punkt anfängt, auch absolut nicht. Es gab also sehr viel «Nein».
Aber es ist doch cooler, Sachen zu wollen und manchmal nicht zu wollen. Der Horizont wird so viel breiter und die Musik interessanter. Wenn man immer das Gleiche nicht will, wird es ja genauso schnell auch wieder langweilig. Und: Man kann doch auch einfach mal Drauflosschreiben und machen, worauf man Bock hat – und mit dem Material, was auch immer dabei rauskommt, arbeitet man dann.
«Kein Problem» vereint Stücke wie «Even More atemlos», das quasi die DNA der Band ist, mit anderen Tracks, die wir einfach unheimlich gern haben und die auf das Album mussten. Stücke, die wegen ihrem Humor nur live funktionieren, wie etwa «Jazz Mietz», fehlen dafür. Wichtig war die Abwechslung, damit es einen Bogen gibt. Und wir haben die CD sehr hübsch gemacht. Dieser physische Tonträger freut wohl vor allem mich. Ein Album macht man heute fast weniger für das Publikum, sondern mehr für sich als Band oder Musiker:in. Denn es dokumentiert eine Schaffensphase, die man mit einem Album abschliessen kann. Jetzt hat man ein Zeugnis von dieser Phase und es fällt einem aber auch leichter, in irgendeine andere Richtung weiterzugehen.
Wie es weitergehen könnte? Weniger nett, lauter, mehr freie Improvisation. Nachdem ich so lange das Klangbild von diesem Album im Kopf hatte, habe ich jedenfalls Lust auf etwas, das aggressiver ist und vielleicht auch mit Effektgeräten experimentiert. Ob es dann tatsächlich so rauskommt: mal schauen.
Bei der Kuration der Jazzwerkstatt habe ich Leute und Projekte vorgeschlagen, von denen ich natürlich musikalisch und künstlerisch überzeugt bin, und die auch sonst zum Festival passen – sie sollten also eine gewisse Experimentierfreude ausstrahlen. Überlegungen waren auch: Wem würde ich hier einen solchen Auftritt sehr gönnen? Wer hätte bei vergangenen Festivals sehr gut reingepasst, aber aus irgendeinem Grund fehlte die Person oder das Projekt im Programm? Wer wäre eine Bereicherung für die Jazzwerkstatt? Ich fand es auch ein sehr cooles Denken, dass wir uns bei Formationen und Projekten, die wir eigentlich sehr mögen, auch fragten: «Brauchen die so etwas wie die Jazzwerkstatt überhaupt noch? Oder spielen die nicht eh schon überall?» Ich finde es schön, dass wir auch Leuten eine Auftrittsplattform geben können, von denen man denkt, die haben das jetzt verdient – und ein solcher Auftritt könnte ihrer Karriere helfen.
Der Werkstattcharakter ist immer noch sehr wichtig. Man will ja Sachen, die es vorher noch nicht gab oder die vorher noch nicht «fertig» waren – oder man will auch neue Leute miteinander in Kontakt bringen.
Was wir jetzt noch gar nicht angesprochen haben, ist diese ganze Frauen-im-Jazz-Thematik – und ich glaube, das finde ich auch gut, denn das kann eh keine:r bei einem Kaffee einfach mal so lösen. Ich finde immer komisch, dass man immer nur Frauen dazu befragt, denn eigentlich müsste man ja alle fragen. Vielleicht geht die Diskriminierung auch schon hier los, dass man immer nur Frauen diese Fragen stellt und denkt, man löst damit das Problem, aber eigentlich macht man es schlimmer.
Ich frage mich doch sowieso fast bei jedem zweiten Job: Wird mir dieser nun angeboten, weil ich eine Frau bin? Oder ist es, weil ich doch auch ein bisschen Posaune spielen kann? Ich würde mir hier manchmal ein bisschen mehr Sensibilität wünschen. Immerhin: es passiert zum Glück was, aber es dürfte ein bisschen schneller gehen…
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