Wenn ich eine Routine wählen könnte, dann würden die Tage und Wochen vielleicht so aussehen: Am Morgen würde ich zuerst nach draussen gehen, vielleicht rennen oder nur laufen, danach los in ein Studio, Gitarre üben und Songs schreiben. Donnerstags bis samstags würden wir Konzerte spielen, am Sonntag ist Ruhetag. Das wäre wohl ein toller Rhythmus.
Derzeit ist es von Woche zu Woche anders. Hinter mir liegen intensive Musikwochen, mit Konzerten in Brig, in Winterthur, in St. Gallen, in Bern und Luzern – und dazwischen haben wir unsere neue EP fertig gemischt und gemastert, darüber freue ich mich sehr. Und dann unterrichte ich noch zwei Tage die Woche.
Es ist so cool, dass wir mit Solong so oft spielen können. Wir finden in einen Bandsound rein und probieren verschiedene Dinge aus – wenn wir weniger oft spielen könnten, dann würden wir uns das wohl kaum getrauen. Und so kommt man in einen Rhythmus rein: wir lassen einander unterschiedliche Räume, man spielt Songs und Elemente mal etwas länger, mal etwas kürzer. Wir können unseren Mood des Tages und des Publikums mehr miteinbeziehen in die Musik. Manchmal habe ich bitz Angst, dass wir jetzt schon fast an zu vielen Orten gespielt haben – und an denen können wir ja im neuen Jahr nicht schon wieder spielen. Andererseits sind wir grad im Flow, wir müssen auf dieser Welle einfach reiten. Wenn wir das unterbrechen würden, hätte das ja auch etwas Erzwungenes.
Für die erste EP «Purple Silhouettes» habe ich alles selber gemacht. Den ganzen Arbeitsaufwand zu spüren, war sehr lehrreich. Im letzten Winter, bevor wir die Releasetour spielten, fühlte ich mich aber auch ausgebrannt. Denn ich habe die Konzerte selber gebucht, die EP fertig gemacht, den Release selber gemacht und die Promo erledigt – das war einfach zu viel. Mittlerweile arbeiten wir mit einer Bookerin zusammen. Es ist ja auch geil, wenn man spürt: hier kommen immer mehr Leute zusammen, um dieses Ding zu stemmen. Das Gerüst wird dank diesen Menschen immer stabiler. Und es gibt nebst dem Publikum immer ein grösseres Team, für die und mit denen wir das machen, was wir machen.
Wenn nun noch ein Label die nächste EP veröffentlicht und mir mit der Promo hilft – wir sind derzeit in Gesprächen, voraussichtlich im Frühling wird sie erscheinen – wird mir das Arbeit abnehmen und mir helfen, die Verantwortung zu tragen. Natürlich ist das ein Luxus, aber ich glaube, am Schluss dient es der Musik. Ich kann mich mehr auf die Entwicklung der Musik, das Management der Band, die Vision und unsere Zukunftspläne fokussieren. Und meine Energie also in die Dinge investieren, die mich am dringendsten brauchen.
Als Kind war ich mega fasziniert von B. B. King – wie ich auf ihn gestossen bin, bleibt aber ein Rätsel. Ich wohnte damals in den USA, dort wurde ich viel stärker als hier der Popmusik ausgesetzt. Zu dieser Zeit ist auch Michael Jackson gestorben, ich habe seine Musik oft gehört und auch jene von anderen Popikonen, die damals so ihre Runden drehten, Rihanna und Alicia Keys beispielsweise. Es hat mich immer stärker reingezogen und ich wollte wissen, woher diese Musik kommt, und so bin ich recht schnell auf Blues gestossen. Ich merkte: «Wow, okay, hier sind die Roots der klassischen Popmusik», unter anderem natürlich…
Ich hörte so viel B. B. King und kaufte später auf Kreta eine trashige E-Gitarre für 100 Euro. Ich spielte diese Stücke nach, fand dann auch zu viel älterer Musik, etwa den Songs von Lightnin’ Hopkins oder Robert Johnson. Aber ich habe nie die School-of-Rock auf der Gitarre gemacht, ich war immer beim Blues, und von dort gings direkt in den Jazz an der Musikhochschule. Also: kein AC/DC- oder Stevie-Ray-Vaughan-Zeug. Erst durch meine Stelle als E-Gitarrenlehrerin an der Musikschule begann ich mir das allmählich anzueignen – die Gitarrenwelt ist ja mittlerweile so unendlich gross.
Was mich beim Blues so angezogen hat, war nicht nur die Gitarre allein, sondern auch diese Kombination mit dem Geschichtenerzählen. Man kann so Menschen mit einladen und ihnen zu spüren geben, dass sie Teil von etwas sind. Der Blues verarbeitet gesellschaftliches Leid, ohne es mega schwer oder traurig zu machen. Blues ist ja auch eine Form, dieses Leid zu zelebrieren. Im November mit all dem Nebel und der Dunkelheit hörte ich fast jeden Morgen Blues – heute nicht, denn heute ist glückliches Wetter.
In der Gitarre suche ich nach Sounds, die sehr direkt sind und die vor dem Wort stehen. Du kannst ja mit Musik etwas vermitteln, bevor du überhaupt weisst, wie du das in Worten ausdrücken könntest. Ich möchte einfach, dass es ungefiltert ist, dass ich in diesem Spiel ich sein kann und mit mir wachsen kann – denn dann ist es am stärksten.
Legendäre Gitarrenleute haben alle ihren eigenen Sound – bei B.B. King war es dieses Singen in seinem Instrument. Es gibt immer diese Mythen, diese riesigen Gearschlachten und Fragen, wie der:die Gitarrist:in das nun gerade gemacht hat. Natürlich ist dies ein Teil davon, aber am Schluss sprechen wir ja alle anders, haben einen anderen Groove im Sprechen, machen andere Betonungen, andere Pausen. Klar, ich übe schon Gitarre, haha – ich möchte ja nicht, dass es so tönt, als wäre es nur so: «Ah ja, my spirit und bla, es muss einfach aus dir raus». Es steckt viel Handwerk drin, ein sich Auseinandersetzen mit den Sprachen von anderen Leuten, die das Instrument bereits gemeistert haben. Ich möchte einfach nicht gleich wie sie klingen…
Aber ja, das ist eigentlich eine sehr spannende Frage: Was spricht einen überhaupt an in einem Sound? Ich mag immer, wenn ein Sound, selbst wenn dieser konkret ist, eine gewisse Offenheit hat, den Menschen Raum lässt und nicht einfach «Putsch-Bum» macht und ausdrückt: «Das ist es und jetzt nimm es, fertig». Ein Sound sollte eine Art Einladung sein. Ich weiss nicht, an was das liegt, aber es gibt für mich Sounds oder Produktionen, die für mich sehr geschlossen klingen und mich daher nicht interessieren.
Mit Solong begann es bei mir im Zimmer mit der Gitti und der Stimme. Als Kind habe ich gern gesungen, mich mit dem Klavier begleitet oder mit der Gitarre Sachen gemacht, einfach für mich. Vor kurzem habe ich meinen ersten Song wiedergefunden, ich habe ihn mit Garageband gebaut, ein richtiger Blues-Traditional, heute würde das vielleicht als Cultural Appropriation gelten. Aber auf diese Art habe ich schon immer probiert, Geschichten zu erzählen, Moods zu kreieren.
Als ich die Gitarre wirklich spielen lernen wollte, erhielt das Songschreiben eine Zeitlang weniger Platz, denn die ersten zwei Jahre an der Jazzschule haben mich voll eingenommen, bis ich merkte: «Ich brauche meinen Sound und meine Songs, damit ich mich gut fühle – und damit ich weiss, welchen Weg ich einschlagen will.» Ich habe ab diesem Zeitpunkt wieder mehr eigene Musik aufgenommen und erste Formationen ausprobiert, beispielsweise für das Bachelorkonzert. Dann war für mich klar: Ich will Gitarre spielen, gerne auch in anderen Konstellationen, aber eigentlich möchte ich vor allem meine eigene Musik machen. Und es hat sich langsam herauskristallisiert, dass ich das in einem Quartett machen möchte.
Ich mag es sehr, wenn ich diese Klangvielfalt, die ein Quartett bieten kann, zur Verfügung habe. Ich wollte den Sound eines warmen E-Bass und keinen Synth-Bass. Ich will die Möglichkeiten der Drumsounds haben, die Vielfalt des Synthesizers. Ich geniesse es sehr, mit Sonja (Bossart), Silvan (Schmid) und HP (Pfammatter) in die Klangforschung zu gehen und gemeinsam nach Sounds zu suchen, die noch nicht fix sind. Um dann etwas zu finden, das für alle spannend ist – und das wir dann zusammensetzen.
Es sind eher längere Prozesse, bis wir herausfinden, wie wir aus diesem Song etwas machen können, zu dem alle etwas beizutragen haben und mit dem alle glücklich sind. Es gibt Songs, an denen man super lange rum knorzt, weil eine Person findet: «Das ist zu stark Americana, oder das ist zu fest jenes, das geht so nicht.» Wenn am Ende aber alle happy sind, lohnt sich das.
Bei der Entstehung der EP «Purple Silhouettes» habe ich sehr viel gelernt, vieles war für mich «first time». Zuvor dachte ich: «Ich glaube, so nehmen wir das auf, dann tönt es dann so, wie ich will». Ich merkte dann schnell: «Irgendwie ist es nicht das». Wir nahmen Sounds oder die Vocals neu auf, legten vielleicht noch andere Klänge drüber. Auch das Mischen, zusammen mit Simon Hafner, mit all den Gestaltungsmitteln und Möglichkeiten, war sehr cool.
«Running to the Shore» habe ich beispielsweise zuerst mit meiner klassischen Gitarre geschrieben. Ah nein, stimmt nicht: Zuerst war der Text, der bereits sehr viel angezeigt hat, erst danach klimperte ich auf der Gitarre. Ich wohnte damals in einer WG, hatte dort eine kleine Mansarde. In diesem Raum konnte ich in Zimmerlautstärke mit meinen Effektgerätchen Dinge ausprobieren. Mit dem Harmonist – einem total trashigen Pedal von Boss – spielte ich mit verschiedenen Funktionen und fand so einen Sound, der einen schönen Boden gegeben hat und doch punchy war. Dieser Sound hat die Gitarre so mächtig gemacht und das hat für mich auch die Stimmung widerspiegelt, die ich in dem traumähnlichen Text – er hat seinen Ursprung tatsächlich in einem Traum – gespürt habe.
Manchmal verwende ich Grundfarben für Songs, bei «Running to the Shore» war es ein Tiefseeblau und das Pedal ist auch so blau, so ist alles zusammengekommen. Mit der Band schmückten wir es aus, und im Studio bauten wir noch stark um, probierten verschiedene Snares aus, es ist immer ein schmaler Grat.
Natürlich würde ich möglichst gern einfach zum Nächsten übergehen, ich habe auch schon wieder mega viele neue Songideen…. Man entwickelt sich ja die ganze Zeit: alle Einflüsse, die von überall herkommen, übersetzen sich sehr schnell in den Körper – und all das will auch schnell wieder aus mir raus. Es ist auch eher komisch, wenn Releases zu lange her sind, und man doch noch irgendwie darüber reden sollte. In diesen Momenten denke ich mir: «Ja, das bin vielleicht ich vor vier Jahren. Ich bin zwar immer noch dieselbe Person, doch nun befinde ich mich bereits an einem ganz anderen Ort, als an dem Ort, von dem der Song stammt.»
Bei der zweiten EP haben wir vieles anders gemacht. Wie man Musik schreibt, wandelt sich die ganze Zeit. Dieses Mal ging ich stark von meinen musikalischen Ideen aus – und nicht mehr wie zuvor von den Texten. Es war cool zu merken: «Hey, ich muss nicht immer nur Texte schreiben, um Songs zu machen», denn eine Zeitlang hatte ich diese Angst: «Was, wenn ich nichts schreiben kann?» Zu spüren, dass sich beides gegenseitig bereichert und Sachen auslöst, fand ich super – eine befeuernde Kombination.
Es gab eine Phase, in der ich viel, viel, viel geschrieben habe. Ich habe mir damals auch überlegt, an die Literaturschule in Biel zu gehen, das wäre mein Plan B gewesen, falls es mit der Jazzschule nicht geklappt hätte.
Ich schrieb und schreibe das meiste auf Englisch. Das ist die Sprache, dank der ich zum Dichten gekommen bin, damals, als wir in den USA gewohnt haben. Dort mussten wir in der Schule – wohl so als Achtjährige – ein Gedicht schreiben. Die Aufgabe wurde nicht auf eine strenge Art gestellt, wir wurden auch nicht konfrontiert mit den grossen deutschen Dichtern, sondern es war einfach so: «Macht doch einfach etwas über den Frühling.» Das war sehr offen und so habe ich den Zugang gefunden. Im Hochdeutschen habe ich immer dieses Gefühl: jetzt stehe ich auf einer Theaterbühne und alles, was aus mir rauskommt steht sofort in Relation zur grossen Geschichte der deutschen Literatur. Der amerikanisch geprägte Teil von mir und damit auch die englische Sprache lässt mich naiver ins Machen und Schreiben kommen.
Mit Schweizerdeutsch ist es auch sehr lustig. Der Song «Glich ebe blöd» ist ja in Mundart, das macht etwas mit dem Groove, der Art und der Attitude, wie wir spielen, wie ich singe. Es ist lustig, dass etwas Rotzigeres entstanden ist. Im Song gehts um eine Abwehrhaltung, die habe ich im Schweizerdeutschen gelernt – vielleicht ist es das, was tief aus mir rauskommt, denn als Kind war ich recht rebellisch.
Sprache birgt ja so viel. Wenn ich mit meinen Schüler:innen Rhythmik lerne, brauche ich sehr oft Wörter. Mit Worten lernen sie grooven, sie können das mit etwas verknüpfen, das schon im Körper internalisiert ist. In jeder Sprache ist ein eigener Groove verankert und man muss diesen doch nutzen, um Musik zu vermitteln, damit gerade Kinder, die nicht so stark mit Musik in Berührung gekommen sind, den rhythmischen Schwerpunkt spüren lernen. Ich spiele ihnen dann vielleicht Fela Kuti ab, sage: «Hey, lauf mal die Schwerpunkte ab». Und sie sind meistens completely lost, bis ich sie mit ihnen suche – und wir legen Wörter drüber und plötzlich gehts. Aber ich kann ihnen nicht sagen: «Zähl doch mal über den Track.» Das ist so abstrakt, aber mit Worten kann man etwa zehn Theoriestufen überspringen und vom Groove lernen.
Fussball war lange ein sehr grosser Teil in meinem Leben. Ich machte zwar immer Musik, aber als 10-Jährige sagte ich mir nicht, ich will unbedingt eine krasse Jazzgitarristin werden. Damals spielte ich beim FCZ, trainierte später fünf Mal pro Woche, und irgendwann musste ich eine Entscheidung treffen: Möchte ich Freiheit oder möchte ich einfach Fussball spielen? Ich wusste: Das Leben hat noch ein paar Sachen mehr zu bieten als Sport. Ich legte in der Schule den Schwerpunkt zunächst auf bildnerisches Gestalten, erst mit 16 entfachte meine Leidenschaft für Musik.
Bewegung als Grundbedürfnis zu haben, Teamgeist zu spüren, etwas in einer Gruppe zu entwickeln, über Rollen zu lernen und bereits einmal zu spüren, wie es als kleiner Teil einer grösseren Organisation ist: all das hat mir sehr gut getan. Wie gestaltet man etwas zusammen, dass es gut ist? Das nehme ich von dieser Zeit mit. Und: Mir hat schon immer alles mehr Spass gemacht, wenn ich es mit anderen Menschen zusammen machen konnte. Ich spiele gerne mit Menschen Fussball – und nicht allein. Ich habe zwar ein Soloset, aber ich spiele viel lieber mit anderen Personen zusammen. Ein Soloset ist wie eine Weiterbildung für mich, ein in mich kehren und nochmals nachforschen, von wo die Songs und ihre jeweilige Qualität kommen. Und diese Erkenntnisse dann in ihrer heruntergebrochener Form auf Gitarre und Stimme umsetzen und mit dem Publikum teilen.
Aber ich liebe Fussball nach wie vor. Beim EM- und WM-Gucken wurde ich auf einmal so emotional – früher mochte ich das Zuschauen überhaupt nicht – aber ich hatte solche Freude an der Spielästhetik von gewissen Teams und ich dachte mir: «Wow». Ich mag das Wort Stolz eigentlich nicht, aber es war dann schon so: «Okay krass, meine Generation hat es jetzt geschafft – und die Menschen schauen jetzt Frauenfussball und schätzen den Sport.»
Nach wie vor ist es aber brutal: die Spielerinnen studierten vielleicht Medizin, spielen beim FCZ und in der Nati und arbeiten zum Teil 100 Prozent nebenbei, ich weiss nicht, wie sie das machen. Das ist wie in der Musik – vielleicht habe ich das ja deshalb ausgesucht.
Denn ich habe die Tendenz, Dinge zu wählen, bei denen ich mich beweisen muss, sei dies jetzt Frauenfussball oder sei es jetzt als Frau oder Finta-Person in der Gitarren- und Jazz- und Rockwelt. Während meinem Studium gab es beispielsweise kaum Instrumentalistinnen – ausser Meret (Siebenhaar) hatte ich kaum Verbündete. Klar, es gab noch die Sängerinnen, aber sie hatten einen anderen Struggle, kämpften gegen andere Vorurteile als wir Instrumentalistinnen. Jazz ist so eine männerdominierte Welt.
Gerade als 19-jährige, die damals sehr viele feministische Texte gelesen hatte, dachte ich: «Es muss doch nicht immer alles laut und schnell sein» – und dann kommst du in diese Schule und du musst Bebop lernen und damit alles, was schnell und laut ist. Ein paar Jahre musste ich kämpfen, fand an der Schule aber andere Gebiete, die mir sehr viel gegeben haben, die ganze Impro-Welt, all die tollen Leute, die in den verschiedenen Szenen involviert sind. Für den Studienabschluss zählt dann halt doch vor allem Bebop, was sich für mich leicht dumm anfühlte, weil ich keine Lust darauf hatte und lieber meinen eigenen Weg in der Musik weiterverfolgen wollte. Ich fühle mich nicht so verbunden mit der Musik von Wes Montgomery oder Joe Pass, diese Musik ist bei mir damals eher auf Widerstand gestossen. Deshalb musste ich mich auch oft rechtfertigen. Dieser Widerstand hat mir vielleicht ein paar Dinge verunmöglicht, aber es hat mich gezwungen, meine eigene Sprache zu finden und meinem Weg treu zu sein.
Es gibt häufig Menschen, die sich ohne Widerstand alles angeeignet haben. Die haben es während des Studiums bestimmt einfacher. Dann kommen sie aber aus der Schule und erleben die grosse Krise. Die sind dann so: «Hey, was mache ich überhaupt? Wieso mache ich Musik? Ich wollte eigentlich Beboper:in werden, aber dafür bin ich eigentlich im falschen Jahrhundert geboren.» Solche Fragen, weisst du. Das ist wohl einfach der Struggle von Hochschulen: Wie viel soll der künstlerische Weg supportet und begleitet werden? Wie hoch muss der Handwerkanteil sein? Welchen historischen Schwerpunkt wählen wir dafür als Referenz? Und dann noch das ganze Bologna-System – dieses System ist einfach ein wenig verflucht.
Ich bin trotzdem froh, dass ich diese Ausbildung gemacht habe – denn ich habe viel übers Gitarrenspiel gelernt. Ich bin das Instrument natürlich immer noch am lernen, jetzt einfach freier und das bereitet mir grosse Freude. Ich hätte gerne noch mehr Zeit zum Üben und zum Songs schreiben, aber Geld muss ich halt auch verdienen.
Ich hätte auch Lust, andere Sachen zu machen, die in diesen sieben Tagen einfach keinen Platz haben. Und dann muss man auch auf die eigene Gesundheit schauen. Gerade wegen dem Singen muss ich dies nun lernen. Ich bin – mit meinem Leistungssport-Background – davon geprägt, immer noch eins draufzusetzen, und mir zu sagen: «Komm jetzt, das schaffst du jetzt auch noch». Dieser krasse Leistungsanspruch an sich selbst… Das aufzugeben und dir zu sagen: «Hey, ich bin halt nicht Ronaldo oder Prince», ich funktioniere halt, wie ich funktioniere und ich kann nicht 20 Stunden am Tag Leistung erbringen. Herauszufinden, was dir etwas zurückgibt und wie viel dir etwas zurückgibt und dir auch Energie gibt, das ist wohl derzeit auch altersspezifisch bei mir. Nur dann kann ich auch stetig geben.
Als Freelancer:in triffst du Abmachungen mit dir selber, wie viel du für andere Leute arbeitest, wo du noch mehr reingeben möchtest, wie viel du für dein eigenes Projekt investierst und wo du dir Freiraum lässt. Ich kann ja nicht von Solong und der Musik leben. Ich spiele zwar auch noch bei Klepka und Evelinn Trouble, das sind aber auch Herzensprojekte und nicht Moneyjobs. Wir finden uns immer in Kompromissen zwischen diesen Herzensprojekten und dem Geldverdienen oder noch anderen Verpflichtungen. Mein grosses Ziel ist es, mich irgendwann nur noch für die Sachen voll einzusetzen, für die ich mich berufen fühle, wo ich mein grösstes Potential ausschöpfen kann und am meisten Freude habe. Wir haben ja alle eine endliche Zeit auf dieser Welt und so hoffe ich, der Gesellschaft und meinem Umfeld am meisten zurückzugeben und für mich das Meiste aus meinem Leben zu schöpfen.
Als Musiker:in ist das nicht so einfach: Du spielst Konzerte, und manche Menschen empfinden das als sehr viel. Aber manchmal frage ich mich: Machst du das jetzt einfach für dich oder gibts du den Menschen wirklich etwas oder ist das nur elitär, zu denken, unsere Musik und meine Songs tun den Menschen gut? Das ist so eine begleitende Unsicherheit, die wir mit uns tragen. Es würde mir nicht gut gehen, wenn ich wüsste: ich mache einfach nur mein Egoding, das juckt eh niemanden. Das Schöne ist momentan, wirklich zu spüren, dass unsere Musik den Menschen etwas gibt.
Das ist jetzt gerade meine Aufgabe: eine gesunde Balance zu finden zwischen Geben und Nehmen.
Was ich mag
…und viel mehr…
Solong: «Purple Silhouettes»
Solong im WWW und auf Instagram.
Solong spielen am 14. Februar am One of a Million in Baden. Das ganze OOAM-Programm findet sich hier.
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