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«Das Kollektiv ist eine
fantastische Arbeitsform»

Les Reines Prochaines

Die Punkgeneration ist im Pensionsalter. Was tun, wenn frau Häuser besetzt, laute Songs geschrieben, wilde Performances auf Bühnen gebracht, feministische Videokunst geschaffen hat – und jetzt kommen diese wohlmeinenden Ratschläge? Diese Grossmutterklischees? Am besten ignorieren? Les Reines Prochaines aus Basel machen es anders. Sie bauen das einfach alles in ihre Kunst ein.

2021 stehen sie auf einer richtig grossen Bühne, mit der Oper «Alte Tiere hochgestapelt» im Theater Basel. Durch und durch ein Reines-Prochaines-Programm. Muda Mathis und Sus Zwick stellen mit ihren Körpern und einem blauen Regenfass absurde Figuren nach. Fränzi Madörin erklärt wieder einmal ihr gewagtes selbst genähtes Kleid und beschwört in explosivem Ambiente die Kraft der Wechseljahre. Sus Zwick, im Leopardenmantel, lädt zu einem ganz besonderen Ausflug ein: «Kommen Sie in mein Gedärme. Dort ist es zwar eng und auch ziemlich dunkel. Aber soo schön warm!» Die Möglichkeiten des grossen Theaterhauses werden voll ausgenutzt: grossflächige Videoprojektionen, Schattenspiele, Riesenpilze, die von der Decke hängen, kitschige Stoffkulissen, Mummenschanzanklänge, extravagante Kostüme – Federn, Glitzer, Riesenaugäpfel –, und einmal senkt sich die Bühne, die ganze Crew verschwindet im Boden.

Les Reines Prochaines entstanden 1987 aus dem Umfeld der Schule für Gestaltung in Basel, aus der Videofachklasse. In der ersten Zeit wechselte die Besetzung oft; bis 1994 war auch die Videokünstlerin Pipilotti Rist dabei. «Wir hatten herausgefunden: Eine Frauenästhetik gibt’s nicht», sagte Muda Mathis Jahre später in einem Interview. Also fühlten sie sich frei, eine ganz eigene zu entwickeln, eine Mischung aus Konzert, Performance und absurdem Theater, musikalisch zwischen Schlager, Chanson, Pop und Jazz. Hinter dem lustvoll zur Schau gestellten Dilettantismus entwickelte sich viel Professionalität.

Mit den Jahren kristallisierte sich ein harter Kern von Königinnen heraus, Muda Mathis (geboren 1959), Sus Zwick (geboren 1950), Fränzi Madörin (geboren 1963); Michèle Fuchs (geboren 1961) macht zurzeit Pause. So sind sie zu dritt. Oder zu vierzehnt – die Revue «Let’s Sing Arbeiterin!» und das Bühnenstück «Alte Tiere hochgestapelt» haben sie mit ihren Friends entwickelt und aufgeführt, einer queeren Truppe, zu der etwa die Performancekünstlerin Chris Regn, der Theaterregisseur Marcel Schwald, der Performer Lukas Acton oder die von Schtärnefoifi bekannte Musikerin Sibylle Aeberli gehören.

Muda Mathis und Sus Zwick sind ein Paar und ein Künstlerinnenduo. Auch wenn sie nie so berühmt geworden sind wie Pipilotti Rist, ist ihr Werk an Videos, Performances, Installationen und Fotografien mindestens so reichhaltig. Ihre Installationen sind im Personalrestaurant der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel zu sehen und im Seewasserwerk Frasnacht bei Arbon am Bodensee. Manchmal brauchen sie nicht mehr als ihre Körper und ein paar wenige Hilfsmittel – einen Tisch, eine Lampe, das erwähnte blaue Regenfass. Manchmal bauen sie auch opulente Bildwelten, etwa in der umwerfenden Fotoarbeit «Grüner Donnerstag». Da beginnen die beiden streng blickend mit Anzug und Schnauz – Sus sieht damit aus wie Altbundesrat Moritz Leuenberger. Dann kommen erste Pflanzen ins Zimmer, und die beiden beginnen sich auszuziehen. Am Schluss sind sie nackt, das Zimmer ein üppiger Dschungel – Ankunft im Paradies. Das Thema Utopie zieht sich durch ihr Werk. Es geht oft um begehrenswerte Zustände, individuell und kollektiv. In wenigen Sätzen und Bildern werden ganze Welten erschaffen – so könnte es also auch sein. «Manchmal wandert eine unserer Nummern rüber zu Reines Prochaines», sagt Muda.

Das letzte Album der Band heisst «Zu unserer Verfassung» (2020). Es geht um Verfassungen verschiedener Art. Ein Lied vertreibt den Trübsinn, ein anderes besingt die Sehnsucht nach Ekstase, «Schildkrötenritt» zelebriert die Lust, «Ja zum Nein» knüpft an das spätestens im Frauenstreikjahr neu erwachte Interesse am Feminismus an. Und dann kommt auch die Schweizer Bundesverfassung zum Zug, rezitiert von Fränzi Madörin zu rockigen Gitarren. Das Lied erinnert daran, was für ein emanzipatorisches Potenzial in diesem Text steckt.

Sus und Muda lebten lange im Elsass; inzwischen sind sie nach Basel zurückgezogen. «Ich wusste, wenn ich alt bin, will ich in der Stadt sein», sagt Sus. «Nah bei den anderen. Etwas Gemeinschaftliches.» Es ist sehr nah und sehr gemeinschaftlich geworden. Im Kleinbasler Matthäusquartier hat die Audiovideogenossenschaft Via, die der Freundinnenkreis schon 1988 gegründet hat, eine feste Bleibe gefunden. Eine ehemalige Druckerei im Hinterhof mit mehreren grosszügigen Räumen zum Proben, Aufnehmen und Produzieren. Die im Jahr 2015 gemeinsam neu gegründete Genossenschaft Amerbach Studios konnte das Hinterhaus mit den Atelierräumen und das dazugehörende Wohnhaus kaufen. Dort wohnen sie nun alle drei, Sus, Muda und Fränzi, mit weiteren Freund:innen.

An einem Tisch in den Amerbach Studios treffen wir uns Ende März 2022. Die Sonne strahlt, die Bäume blühen schon; Basel fühlt sich an wie am Mittelmeer. Im Treppenhaus ist eine Ausstellung zu sehen, die sich auf eine Basler Ausstellung von 1981 bezieht. «Frauen, Körper, Pornographie» hiess sie und war eines der ersten Kunstprojekte im deutschsprachigen Raum, die versuchten, sich Sex und Pornografie feministisch anzueignen. Die expressiven Wasserfarbenzeichnungen, die die Künstlerin Monika Dillier für die Ausstellung 1981 geschaffen und für die neue ergänzt hat, werden immer vielschichtiger, je länger man sie betrachtet. So passen sie wunderbar zu Les Reines Prochaines. Genauso wie der Untertitel des Projekts: «Das individuelle Gedächtnis mit kollektiver Energie laden».

...

Eure beiden letzten Programme, «Let’s Sing Arbeiterin!» und die Oper «Alte Tiere hochgestapelt», kreisen um das Thema Kollektiv. Sie sind eine Aufforderung zur gemeinsamen Organisation: «Lass dich nicht vereinzeln, nur zusammen sind wir nicht arm.» Warum ist euch das Kollektiv so wichtig?

Fränzi Madörin: Es ist einfach eine fantastische Arbeitsform.

Muda Mathis: Wir sind in den achtziger Jahren sozialisiert, und damals hat man ans Kollektiv geglaubt. Mit der Zeit haben wir auch die Grenzen gesehen – dass es aufwendig sein kann und Nerven braucht. Also haben wir es modifiziert, damit es lebbar wird. Unsere Erfahrung zeigt: Zusammen kann man etwas aufbauen. Das hätten wir als junge, alternative Feministinnen und Künstlerinnen allein nie gekonnt! Wir mussten diese Form von Zusammenarbeit einfach wählen, sonst hätten wir gar nichts zustande gebracht.

Sus Zwick: Wir waren ja auch nie ein Riesenkollektiv. Die Anzahl Leute spielt schon eine Rolle. Je mehr du bist, desto anstrengender kann es sein.

Muda: Basisdemokratie, alles auf Konsens – das machen wir heute nicht mehr. Es ist eher eine Soziokratie: Jene, die Verantwortung übernehmen für etwas, können es auch bestimmen.


Habt ihr ein System entwickelt, um ohne Hierarchien arbeiten zu können?

Fränzi: Wir haben immer versucht, einander nicht zu blockieren, sondern die Ideen der anderen ernst zu nehmen. Wenn ich eine Idee habe, muss ich auch etwas dazu beitragen, dass sie ins Laufen kommt, und die anderen unterstützen mich, auch wenn sie die Idee vielleicht nicht super finden. Gleichzeitig ist es wichtig, sich nicht an die eigenen Ideen zu klammern. Wenn etwas funkt in der Runde, wird es zusammen weitergetragen. Wir müssen auch nicht jedes Mal das Haus abreissen, sondern können weiterbauen an dem, was wir haben, noch einen Turm anbauen. Jede muss Verantwortung übernehmen. Das heisst bei uns auch: Jede muss Sängerin sein.

Sus: Alle müssen Texte schreiben, alle müssen Musik machen.


Heisst das, jede singt die eigenen Texte?

Fränzi: Manchmal wechseln wir uns mit Singen ab, aber die Leadsängerin ist die Autorin, ja.

Sus: Man muss nicht mit dem fertigen Musikstück kommen, gar nicht. Man hat eine Idee oder einen angefangenen Text, und dann machen wir zusammen weiter.

Muda: Manchmal kommt auch ein fertiger Text.

Sus: Aber ein fertiger Song kommt selten.


Eure letzten beiden Programme habt ihr als Reines Prochaines & Friends gemacht. Da seid ihr vierzehn Leute. Kann man da immer noch so arbeiten?

Muda: Wir verteilen das einfach. Ich übernehme diesen Song, du diesen Speech … Alle bereiten etwas vor und bringen es dann so rein, dass die anderen darauf reagieren können.


Aber niemand hat die sogenannte künstlerische Leitung?

Muda: Nein, das wirklich nicht.

Fränzi: Nein. Die «Arbeiterin» haben wir zu fünft angefangen, wir drei mit dem Regisseur Marcel Schwald und der Künstlerin Chris Regn. Wir haben das Konzept entwickelt und Geld gesucht – und dann die anderen Leute. Da gab es schon viele inhaltliche Vorgaben; es war klar, dass es um Arbeiterinnen geht und zu welchen Themen es Songs geben soll. Bei «Alte Tiere» haben wir schon früher alle reingeholt.


Ist es nicht eine Herausforderung, sich zu vierzehnt künstlerisch einig zu werden?

Muda: Nein, das sind alles alte Hasen; die kennen das schon. Vor allem die «Arbeiterin» war wahnsinnig harmonisch. Ich habe das in Kollektiven auch schon erlebt, dass es Missverständnisse und Reibereien gibt, weil nicht alle am gleichen Ort stehen. Aber so war es überhaupt nicht. Das hat mit Erfahrung zu tun.


Dass man sich nicht mehr beweisen muss?

Muda: Dass man sich nicht immer gleich aufregen muss, wenn man merkt, jetzt sind wir wieder im freien Fall, jetzt weiß wohl niemand, wo es durchgeht. Das ist normal in einem solchen Prozess. Ich muss mich da jetzt …

Fränzi: … noch nicht aufregen. Noch keine Reissleine ziehen.

Sus: Es war ja auch klar, jede hat einen Song und die Möglichkeit, den zu bringen. Alle hatten Platz.

Fränzi: Man muss schon mal nicht um die Struktur kämpfen. Die gibt’s einfach schon.

Sus: Und klar ist: Es gibt keine Regie. Das haben viele, die regelmässig im Theater arbeiten, wahnsinnig genossen.


Kann man das denn üben? Diese Unsicherheit auszuhalten?

Muda: Ja, sicher! Bei jedem Projekt hast du doch irgendwann mal saumässig Angst – scheisse, das wird glaub gar nichts! Aber weil du es schon hundertmal erlebt hast, weißt du, jetzt gehe ich einfach durch, einfach durch, und der Nebel weicht dann schon.


Wie merkt man das?

Fränzi: Das merkt man einfach.

Muda: Man merkt, dass es besser wird, die Angst vergeht.

Sus: Und dann gibt’s ja auch noch die anderen, die unterstützen: «Doch, das da ist gut! Mach dort weiter!»

Fränzi: Es haben auch nicht alle …

Sus: … im gleichen Moment Panik.

Fränzi: Es gibt schon auch den freien Fall des ganzen Projekts. Den halten wir dann kollektiv aus.


Damit das funktioniert, braucht es wohl eine wohlwollende Grundhaltung einander gegenüber?

Fränzi: Total.

Muda: Es geht wirklich um Vertrauen. Sich als Ego nicht so ernst zu nehmen. Wenn es nicht so ist, kann es auch anders sein! Das ist auch gut!


Die Oper «Alte Tiere hochgestapelt» am Theater Basel war sicher das Teuerste, was ihr je gemacht habt?

Fränzi: Ja, wir wissen nicht einmal, wie viel es gekostet hat.

Muda: Wir mussten das Geld ja nicht selber auftreiben.

Fränzi: Das ist ein ganz anderes Schaffen in einem solchen Theater! Es war toll, in so ein Haus zu kommen, langsam die Strukturen darin zu verstehen. Aber das würde ich nicht immer wollen. Wir alle nicht, glaube ich.


Mit diesem Stück seid ihr in der Hochkultur angekommen. Freut euch das?

Muda: Ich würde eher sagen, wir machen Spaziergänge an verschiedene Orte. Das ist mit unserer anderen Kunst auch so – mal sind wir in einem ganz wichtigen Museum, dann wieder in einem Offspace. Das ist keine Reise, die ein Ziel hat; es ist ein Mäandern. Mal geht man ins Zentrum der Macht, übernimmt Kommissionsarbeit, darf Geld verteilen oder kuratieren, dann ist man wieder …


… auf dem Wagenplatz Bern Bethlehem, wo ihr auch schon gespielt habt.

Muda: Genau. Das ist einfach ein Prinzip, wie man als Künstlerin, als Musikerin in der Schweiz existieren kann: an verschiedenen Orten, in verschiedenen Realitäten.

Fränzi: … und alle nicht so ernst nehmen. Jedenfalls nicht das Gefühl haben, man möchte irgendwo ankommen und dort bleiben.


Eure Körper sind in euren Programmen sehr präsent – ein lustiger, liebevoller Umgang damit. Ist das ein Konzept?

Muda: Das ist kein Konzept – glaube ich. Wir haben eine feministische Haltung, versuchen etwas zu formulieren, und dann zeigen sich Dinge. Wir sind nicht sehr kontrolliert. Dinge zeigen sich, während wir am Spielen, am Zusammenbauen sind.


Aber ihr habt doch alle Kunst studiert? Da ist schon Theorie im Hintergrund?

Muda: Als wir Kunst studierten, hat man …

Sus: … keine Theorie gemacht. (lacht)

Fränzi: Ich habe nie Kunst studiert. Ich bin «nur» Schneiderin.

Muda: Aber man ist natürlich trotzdem gebildet, über die vielen Jahre.

Sus: Ja. Aber nicht unbedingt theoretisch.

Fränzi: Wir kommen stark aus der Praxis. Nicht lange darüber reden. Man muss Ideen sofort ausprobieren, dann weiss man, ob es funktioniert.


Ihr macht das ja schon lange. Hat es sich verändert, wie Frauen angeschaut werden?

Fränzi: Es passiert halt auch etwas, weil wir älter werden. Wir werden anders angeschaut als früher. Viele junge Frauen haben schaurig Freude, die kommen immer zu Sus und sagen: «So will ich auch sein, wenn ich alt bin.»

Muda: Die Mischung aus Frauenkörpern und Dilettantismus – das finden viele inspirierend. «Ich kann da etwas für mich rausnehmen, etwas abschauen.»

Sus: Ja. «Ich möchte auch so etwas machen» – das hören wir oft. Und manche wollen unsere Lieder in einem Chor singen und hätten gerne Noten. Wir haben aber keine.

Muda: Es gibt sicher auch viele, die finden, Reines Prochaines sind das Schlimmste. Eine kam raus aus dem Theater: «So etwas Schlimmes habe ich noch gar nie gesehen!» Und einmal standen da zwei Damen mit Weingläsern: «Schau, das ist jetzt eben Muda Mathis! Die haben wir doch gesehen bei der Gottlieber Revue!» Und die andere: «Ou nein!»


Wie habt ihr die Pandemie überstanden?

Fränzi: Im ersten Lockdown entwarfen wir das Bühnenbild für Alte Tiere. Wir hatten noch keine Musik, aber das Bühnenbild musste im Mai 2020 fertig sein. Dafür hatten wir richtig viel Zeit. Wir haben ja einen großen Raum hier, konnten gut zusammen basteln, mit viel Abstand. Ich habe mich oft gefragt, wie hätten wir das ohne Corona gemacht? Das hat so viel Zeit gebraucht! Im Sommer 2020 haben wir geprobt, Musik entwickelt mit allen Beteiligten; da war es ja etwas lockerer. Dann sind wir im Herbst ins Theater; die Proben im November konnten stattfinden. Die Aufführungen wurden dann in den Sommer 2021 verschoben.


Dann wart ihr gar nicht so eingeschränkt?

Muda: Nein. Wir haben es gut überlebt.

Fränzi: In den Sommern spielten wir sogar Konzerte im Ausland.


Wie findet ihr die internationalen Orte?

Muda: Meistens finden die Leute uns. Wir sind sehr faul …

Sus: In Moskau war es ein Veranstalter, der mit der Pro Helvetia zusammenarbeitet.

Muda: Wir waren früher auf dem Recrec-Label, das international sehr gut vernetzt war. Wir waren Fremdlinge in diesem Programm, aber es hat uns viele tolle Sachen beschert. Es gibt immer noch Nachhall, obwohl es schon so lange her ist.


Zu eurer Geschichte. Gab es in den achtziger Jahren wirklich diese grosse Verschmelzung von feministischem Aktivismus und Kunst? Oder ist das idealisiert?

Sus: Erst Ende der Achtziger. In Basel fing das 1986 mit den kulturellen Aktivitäten auf dem Areal der Alten Stadtgärtnerei an. Vorher war Kunst bei den Linken nicht so beliebt.

Muda: Kommt drauf an, wo man war. Ich war Anfang der Achtziger noch in St. Gallen, da waren schon Künstler:innen unter den Leuten, die sich für das Kulturzentrum Grabenhalle einsetzten. Um Kunst zu zeigen, braucht man ja erst mal Orte.

Fränzi: In Basel gab es Anfang der Achtziger das AJZ; das war noch recht kunstfeindlich. Kunst galt als Bürgerscheiss. Klar, es gab Konzerte, aber nicht bildende Kunst.

Muda: Aber die Kunstgewerbeschulen waren schon wichtig. Es war die einzige künstlerische Ausbildung, die es überhaupt gab. Viele Bands entstanden dort. Es gab ja noch kaum eine Jazzschule, geschweige denn alles andere.


Wer hatte die Idee, Reines Prochaines zu gründen?

Muda: Das war während der Stadtgärtnerei-Zeit. Ich lebte mit Teresa Alonso und Regina Florida Schmid zusammen. Wir sassen daheim am Tisch, in zwei Wochen sollten Konzerte stattfinden, und wir fanden: Wir spielen auch! Es gab dann einen lustigen Battle: die Bubenband auf der einen Seite, die Mädchenband auf der anderen – wir spielten immer so hin und her.


Ein einmaliges Projekt?

Muda: Ja.

Fränzi: Ich kam ein paar Monate später mit Pipilotti Rist dazu, und wir machten zusammen noch mehr einmalige Projekte. Irgendwann fanden wir aber, wir könnten ja auch ein paarmal das Gleiche spielen, nicht jedes Mal etwas Neues. Der nächste Schritt war, dass Regina sagte: «Wir könnten ja auch mal Geld verlangen!»


Sus, wie kamst du denn dazu?

Sus: Ich war mit Muda und Pipilotti in der Videofachklasse. Sie haben mich gefragt, ob ich mischen wolle. Ich hatte keine Ahnung, aber das habe ich dann gelernt. Und dann begann ich mitzuspielen, Saxofon, vom Mischpult aus.

Fränzi: Anfang der neunziger Jahre haben wir dann richtig viel gespielt und konnten auch ein Stück weit davon leben. Wir gingen oft auf Tour, auch nach Deutschland, zwölf Konzerte in vierzehn Tagen …

Muda: Wir haben einfach alles mitgenommen, was passierte, das ganze Leben … Wir haben einfach immer die Band unserem Leben angepasst.

Fränzi: Genau. Als ich ein Kind bekam, spielten wir trotzdem noch viel, aber wir gingen meistens heim nach den Konzerten. Und wir probten etwas weniger.

Muda: Wir diskutieren manchmal mit jungen Künstlerinnen und Musikerinnen, die immer wieder ihre Projekte aufgeben … Wir sagen immer: Ihr müsst das nicht gleich aufgeben! Ihr könnt es ja mal auf Eis legen, aber ihr müsst es doch nicht gleich abbrechen!

Sus: Kinder sind oft der Grund.

Muda: Oder der Beruf, endlich mal richtig einsteigen in der Uni …

Fränzi: Oder sie haben es gerade nicht so gut miteinander …


Ist der Druck im Erwerbsleben vielleicht heute grösser?

Muda: Mich dünkt, es ist sehr ähnlich, wie es bei uns war.

Fränzi: Mich auch. Strukturen sind wichtig – wir hatten immer den Luxus, die Via zu haben, unsere Audiovideogenossenschaft, die wir schon 1988 gegründet haben. Dazu gehören ein Musikstudio und Videoinfrastruktur. Früher waren das grosse Maschinen, jetzt haben wir alles auf dem Computer … Die Via hat immer den Kontakt mit anderen Leuten garantiert, Know-how, künstlerischen Austausch, gegenseitiges Helfen. Und weil man es zusammen besitzt, ist es nicht so teuer. Darum konnten wir es uns in jeder Phase des Lebens leisten, auch als wir sehr wenig Geld hatten. Das ist schaurig luxuriös. Und bringt eine gewisse Verbindlichkeit. Dass man Projekte nicht immer gleich aufgibt.


Ihr habt auch sehr viel gearbeitet all die Jahre?

(alle lachen) Ja!

Fränzi: Das Tolle an Reines Prochaines ist eben, wenn wir ein Programm haben, können wir einfach spielen gehen. Und daneben andere Projekte anfangen, sonst wäre es ja langweilig. Wenn ein Programm mal am Laufen ist, ist es nicht mehr so aufwendig.

Sus: Aber bis es am Laufen ist!


Feminismus und Kollektiv waren in den Achtzigern sehr präsente Themen. In den Neunzigern hatte man das Gefühl, das interessiert niemanden mehr. Und jetzt interessiert es wieder ganz viele.

Fränzi: Das ist toll. Wir haben ja einfach immer weitergemacht. Jetzt gibt’s plötzlich wieder viel mehr Interesse daran. Sonst wären wir wohl auch nicht ans Theater Basel eingeladen worden.


Auch queere Themen sind viel sichtbarer als vor ein paar Jahren. Seht ihr das als Erfolg?

Muda: Es ist nicht revolutionär, sondern eine ziemlich verbürgerlichte Entwicklung. Aber es ist auch ok! Man kann heiraten, und die Leute dürfen politisch nicht mehr ausgegrenzt werden – das ist alles ein Erfolg. Wir müssen auch zugeben, wir leben ein sehr angenehmes Leben und profitieren von den Errungenschaften dieser bürgerlichen Gesellschaft.


Ihr habt immer offengelegt, dass ihr ein Paar seid, Sus und Muda. Habt ihr Diskriminierung oder Einschränkungen erfahren?

Muda: Wenig. Nein.


Heute singt ihr oft über das Alter. In Alte Tiere beginnt ein Lied mit wohlmeinenden Ratschlägen – «Setz dich doch im Haus zur Ruh» –, endet dann aber: «Mit den Alten weiterkämpfen, ohne mich zu dämpfen».

Sus: Das ist von mir. Es kam mir in den Sinn, als es im Lockdown plötzlich hiess, alle ab 65 seien Risikogruppe. Das ist mir so eingefahren!


Hast du dich vorher gar nicht als alt wahrgenommen?

Sus: Doch, aber es war trotzdem eine Zäsur. Ich bin ja auch die Älteste in der Band. Ihr dürft alle noch, aber ich darf nicht mehr.


Sind Klischees über alte Frauen besonders hartnäckig? Ich habe nie den Klischees meines Geschlechts oder Alters entsprochen, aber ich merke, diese Altersklischees machen mir Angst.

Sus: Man bleibt einfach so, wie man ist. Und passt halt nicht zu den Alten, wenn man vorher schon nicht gepasst hat.

Fränzi: Manche Dinge verschärfen sich auch. Wenn ich andere beobachte: Ui, die war schon immer explosiv, und jetzt aufs Alter wird sie noch viel explosiver oder erholt sich nicht mehr davon … Da merke ich bei mir selber: Ich muss aufpassen, dass ich nicht extremer werde.


Es akzentuiert sich?

Fränzi: Genau, es gibt Dinge, die sich akzentuieren. Nicht nur angenehme.


Mir scheint, ihr versucht dem älteren Teil des Publikums Selbstbewusstsein zu geben, weil es vielleicht angeknackst ist.

Fränzi: Genau.

Muda: Es ist ja schon hart genug, dass sich der Körper und auch die ganze seelische Struktur nochmals verändern oder verstärken im Alter, dass man körperlich eine heftige Zeit hat. Aber das reicht doch schon! Deswegen nochmals Scham empfinden? Noch einmal meinen, nicht zu genügen? All diesen Scheiss kann man doch wirklich weglassen. Und auch ein bisschen darüber lachen

 

«Rubination» und Bettina Dyttrichs Buch

Les Reines Prochaines sind unterwegs mit ihrer neuen Show «Rubination». Premiere: 8.3., Casinotheater, Zug. Weitere Daten u.a. 10.3., Café Kairo, Bern; 5.5., Internationales Lyrikfestival, Basel; 6.5., Ziegel au Lac, Zürich; 26.5., Strassenfest tiRumpel, St. Gallen; 17.6., B-Sides, Luzern

Das Interview stammt aus dem Buch «Es hilft, dass ich Leute anschreien darf. Schweizer Popmusiker:innen erzählen» von Bettina Dyttrich, das im Herbst 2022 im Rotpunktverlag erschienen ist. Bettina liest am Berner Lesefest Aprillen, Demi Jakob (Jeans for Jesus) macht Musik. 13.4., Schlachthaus Theater, Bern, 20.30 Uhr.

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