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«Komm, jetzt machen wir das einfach»

Odd Beholder & Long Tall Jefferson

Daniela: Es ist eine genuin experimentelle EP. Es war ein spielerischer Prozess. Wir haben vieles ausprobiert, und zum Teil sind Songs entstanden, die eigentlich nicht unbedingt in meinen Katalog als Odd Beholder passen. Und dieser Teil braucht Mut. Ich würde nicht sagen, das ist meine Musik. Die EP ist unsere Musik, das Resultat unserer Zusammenarbeit. Die Collab ist kein strategischer Move, und es ist entstanden, was entstanden ist.

Simon: Deshalb sind die Stakes auch nicht sehr hoch, so sehe ich es jedenfalls. Es war befreiend: Die Songs mussten weder in unseren Katalog noch zueinander passen. Ich würde sagen: Take it or leave it.

...
«Self-Checkout»

Simon: Das ist alles schon so lange her… Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir diesen Song in meinem Studio hier in Zürich geschrieben, oder zumindest angefangen zu schreiben. Du hast mit der Bariton-Gitarre Chords gespielt, und ich dachte, ah, das ist fantastisch. Wir nahmen zunächst einfach die Gitarrenform und eine Kickdrum auf und sangen dann über die Spuren.

Daniela: Ich erinnere mich, dass du mit den Strophen begonnen hast: «You say you look happy and I guess you’re right…» – diese Sätze waren einfach da. Und daraus hat sich bereits eine Szene ergeben, die man kennt: Man trifft auf eine verflossene Liebe, und man reflektiert, ob es eine gute Entscheidung gewesen ist, diese Beziehung zu verlassen. Und wird von einer Welle der Nostalgie überrollt. Wir tauschten uns über das Thema aus und wir begannen sehr schnell zu assoziieren, in was für einem Film wir da sind. Man geht nach Hause zu den Eltern…

Simon: … man geht ins Dorf einkaufen…

Daniela: …dort, wo man als Teenie rumgehangen ist, auf dem Parkplatz eines Supermarkts. Heute ist man selten dort, da man ja in der Stadt wohnt. Wenn man dann auch noch auf die erste Liebe trifft, obwohl beide eigentlich nicht mehr dort leben..

Simon: …so vor Weihnachten zum Beispiel…

Daniela: Ja, Weihnachten wäre so ein typischer Moment, wenn man eh schon im ganzen Memory-Lane-Flash ist und mit lauter ambivalenten Gefühlen umgehen muss. Ich glaube, wir konnten beide sehr schnell etwas mit diesem Mood und dieser Geschichte anfangen. Du hast musikalisch und textlich viel vorgegeben. Das, was von mir stammt, ist die Bridge.

Simon: Das stimmt aber nicht. Ich kann mich sehr gut erinnern, dass die Chords im Chorus von dir sind, und ich mir gedacht habe: oh, die sind hyper obvious und dann gehts auf die vierte Moll, aber du hast noch dazu gesungen und ich spürte, ah, das ist super classy und geil. Aber ja, diese erste Strophe war einfach so da, später begannen die Diskussionen. Es ging dabei etwa um die Bridge.

Daniela: Wir diskutierten auch lange, wer denn eigentlich die Lead Vocals singt. Ich erinnere mich, dass wir für die Bridge ein paar Chords hatten, die im Jam entstanden sind. Diese waren etwas grungy und weird, mit Tonart-Wechsel und allem. Wir wussten lange nicht so recht, was wir damit anfangen sollten. Dann habe ich die Bridge irgendwann alleine fertig geschrieben.

Simon: Stimmt, du hast mich einfach rausgeworfen…

Daniela: An der Bridge haben wir uns die Zähne ausgebissen.

...

Daniela: Sehr viel geschah zusammen. Es war nicht so: ich schreibe jetzt das und du das. Über weite Strecken machten wir alles zusammen.

Simon: Writing und Production geschah fast gleichzeitig, das war für mich etwas vom Absurdesten an unserem Arbeitsprozess, das bin ich mir überhaupt nicht gewöhnt.

Daniela: Oft war es schwer, einen Konsens zu finden. Doch als wir ihn dann gefunden haben, war klar, dass der Song jetzt fertig ist. Sobald wir uns über etwas einig wurden, rührten wir das nicht mehr an.

Simon: Obwohl wir sehr lange über einzelne Dinge gestritten, diskutiert und gefeilscht haben, haben wir sehr vieles auch einfach als gegeben akzeptiert. Etwa, was den Drumsound bei «Alexander» angeht.

Daniela: Das hängt aber wohl auch damit zusammen, mit welchen Aspekten des Musikmachens wir uns am meisten identifizieren bzw. welche wir als unsere Craft sehen. Wir sind ja in erster Linie Songwriter:innen und nur in zweiter Linie Produzent:innen. Sobald die Songs standen, haben wir sie «einfach» noch fertigproduziert. Bei diesem Arbeitsschritt mussten wir niemandem etwas beweisen – und wir haben uns auch sehr gut verstanden, etwa was die Soundästhetik angeht. Für mich ergibt das auch sehr viel Sinn. Mir fiel einmal auf, dass du immer farbige Kleider trägst, und ich muss sagen, ich mag deine Farben. Mit den Sounds verhält es sich gleich. Deshalb mussten wir auch nicht lange über die Ästhetik diskutieren, wir fliegen da in einem ähnlichen Kosmos. Bei den Texten – das hängt auch mit unseren verschiedenen Hintergründen zusammen – haben wir unterschiedliche Perspektiven, und so gab es da auch grössere Debatten.

...
«All Deine Träume»

Simon: Mein erster deutschsprachiger Song.

Daniela: Meiner auch.

Simon: Der entstand etwa während der vierten oder fünften Session.

Daniela: Das war bei mir zu Hause.

Simon: Genau. Da stand so eine akustische Gitarre rum und ich habe sie einfach genommen und diese Akkorde gespielt, keine Ahnung wieso. Und wir dachten: vielleicht wär das noch etwas. Wir versuchten, aus diesen Chords so ein viertaktiges Ding mit einer Variation zu machen. Wir sagten uns: Komm, wir machen heute doch mal etwas auf Deutsch. Wir haben zuvor schon oft über diese Möglichkeit gesprochen, dass das auch geil wäre.

Daniela: Im Hinblick auf den Podcast haben wir oft über die ganze Schweizer Songwriting-Sprachmisere gesprochen. Bezüglich Sprache trage ich sehr viele Zweifel mit mir rum: Auf eine Art ist es voll bescheuert, auf Englisch Musik zu machen, denn ich finde das nicht wirklich cool oder sinnvoll. Und gleichzeitig ist es für mich undenkbar, die Sprache zu wechseln und auf Schweizerdeutsch oder Deutsch zu singen. Aber unsere Collab als Gefäss war für mich der richtige Moment, das einmal auszuprobieren. Weil wir uns verbal so oft über dieses Thema ausgetauscht haben, haben wir insgeheim Tatsachen und Verbindlichkeiten geschaffen. So von wegen: Wir können doch nicht sagen, dass es eigentlich extrem spannend wäre, mal auf Deutsch zu singen – und dann das einfach wieder ignorieren und nicht in die Tat umsetzen. Es fühlte sich fast wie eine Mutprobe an. Wenn ich nicht so oft mit dir über das Thema gesprochen hätte, hätte ich niemals einen deutschen Song geschrieben.

Dass dies aber genau bei dieser Session passierte, hat für mich lustigerweise einen musikalischen Ursprung. Denn die Chords, die du gespielt hast, hatten für mich so einen krassen Schlager-Vibe. Dieser Song musste auf Deutsch sein.

Simon: Das sind so heftig keine Schlager-Chords, das ist so lustig.

Daniela: Für mich klang es stark nach «Über den Wolken», und der Song begann auch mit der Line «Sag mir wo die Blumen sind»… Ich spürte so ein Anti-Kriegsgefühl, aber mit den Blumen auch ein Ökoding, und so landeten wir im Hier und Jetzt, in der Klimakrise und beim Ukrainekrieg…

Simon: Der Text entstand noch vor dem Krieg bruchstückhaft, das Lied lag auch sehr lange rum.

Daniela: Das «Sag mir wo die Blumen sind, wohin der LKW sie bringt» stand sehr schnell fest, schon in der ersten Session. Bei diesem Text hat man zunächst alle Produktionsketten im Kopf, die Containerschiffe, all diese Tulpen aus Holland oder Südamerika und dieser ganze Vibe… Wir versuchten, einen 50er-Jahre-Schlager in Zeiten des Green New Deal zu schreiben.

Simon: Der eigentlich lustigste Moment an diesem Song war aber, dass du eine Riesenkrise mit dem Protagonisten hattest. Ursprünglich solltest du ja das Lied singen. Du konntest ihn nicht ausstehen und ich merkte, dass dich das enorm stresst. Das war ein Tiefpunkt unserer Zusammenarbeit. Und ich sagte: Dann singe ich den halt, ist mir doch egal. Als ich das Lied später gesungen habe, wirkte es völlig logisch.

Daniela: Es war auch eher zu tief für meine Stimmlage.

Simon: Bei mir passte es einfach. Gleichzeitig wusste ich auch: Oh shit, jetzt ist ein hochdeutscher Song von mir auf dieser EP.

Daniela: Ich hatte schon ziemlich Angst, den zu veröffentlichen. Ich hätte es nie geschafft, den Song zu singen.

Simon: In der Anfangsphase unserer Zusammenarbeit, im 2021, war alles ein Experiment. Noch gab es keine EP, wir hatten kein Album im Hinterkopf und unsere Zusammenarbeit war einfach eine riesige Spielwiese. Es war schlicht eine Freude, dass man sich mal nicht alleine mit all dem Zeug auseinandersetzen muss, sondern zu zweit. Unser Ansatz war auch sehr gamified, wir konnten uns frei ausserhalb unserer Komfortzonen bewegen.

Daniela: Genau darum habe ich eine Krise bekommen. Denn auf einmal war es dann so: was, wir wollen das ernsthaft veröffentlichen? Was auch interessant ist an diesem Song: Der Protagonist wurde immer älter. In meinem Kopf war er zu Beginn ein junger Typ, ein Mann, so eine Leif-Randt-Figur.

Simon: Leif Randt war beim Schreiben des Songs als Referenz sehr wichtig.

Daniela: Ich sehe ihn so als einen fischigen Typen, der sich zu nichts richtig verhalten kann. Er steht auch metaphorisch im Stau. Am Anfang scrollte er sich durch Insta und hatte diesen Millenial-Vibe. Auf einmal nahm sein Charakter aber einen Gen-X-Turn, und er wurde für mich immer älter. Und auch eine Lavalampe tauchte auf, das gehört auch in eine ältere Zeit. Lustig für mich war auch die Stelle mit dem «Hotel-Frühstückbuffet». Du sagtest, das können wir auf keinen Fall drin lassen. Aber ich finde dies das Geilste.

Simon: Dafür brachte ich das «Pangasiusfilet» rein, als wärs das normalste der Welt.

Daniela: Dieses Wort kann man so gut singen: «Pang-a-sius-filet»!

Simon: Über das Outro haben wir uns am Schluss extrem hart gestritten. Der Song war einfach noch nicht fertig, und ich habe dich gefühlte zwei Tage zu überreden versucht, dass das Outro gut ist. Entweder bist du eingeknickt…

Daniela: Ich bin eingeknickt. Es war eine ziemliche Odyssee für mich. Der Song ist im positivsten Sinn eine Demütigung. Ich wusste nie, ob eine Line zu banal ist oder ob das Flache oder Lapidare gerade gut tut. Dann gibt es Lines, die ich extrem gut finde, beispielsweise: «der Beförderung entgegen». Er sitzt ja da im Stau in seinem so individuellen Auto, aber er ist überhaupt nicht frei, sondern er befindet sich auf einer Art Förderband zwischen Frankfurt und Offenbach zum Beispiel, und er fährt diese Strecke jeden Tag. Es dreht sich alles um Mobilität, aber der Clue ist, dass sich eben gar nichts frei bewegen kann. Übrigens war es ja klar, dass der Song auf der Autobahn stattfinden musste. Das erste deutsche Lied.

...
«Alexander»

Simon: Das war ein weiteres Experiment. Bevor wir uns gesehen haben, habe ich oft noch schnellschnell etwas gemacht.

Daniela: Du hattest auf deiner Festplatte diese lustige, funkige Schnipsel.

Simon: Die sind in einer Ableton-Session entstanden. Und wir beschlossen, wir machen etwas aus dem. Das war mit Abstand der schwierigste Song. Der Grund ist ganz einfach: Alle anderen Songs sind an der Gitarre entstanden, und dieser am Computer.

Daniela: All die komischen Schnipsel waren schon da, aber wir konnten nicht einfach so drübersingen. Es ist voll spannend zu sehen, welch grossen Einfluss das Genre auf die Sätze hat, die man singen kann. Ich hatte keine Ahnung, welche Wörter in diesen Flow reinpassen. Es war das schwierigste, die Lyrics für diesen Song zu schreiben.

Simon: Obwohl wir uns schnell einig waren, wie der Vibe und das Setting ist.

Daniela: Wir machten ein Moodboard mit Bilder…

Simon: Du hast ein Moodboard gemacht?

Daniela: Ja, ich wollte möglichst spezifisch sein in den Beschreibungen. Ich wollte nicht, dass es über innere Zustände geht, sondern über Sachen, die man sieht, von den Eiswürfeln im Glas bis zum shiny Kimono, den der Alexander trägt, bis zu den Bildern im Kopf mit Badewannen voller Eis und Bier. Im Verlauf des Schreibens entwickelte sich die Student:innenparty zu einer Poolparty, was eigentlich schade ist. Der Song hat durch den Pool einen Rich-Kids-Vibe erhalten.

Simon: Es gibt so viele Songs, in denen Typen eine Frau besingen mit ihrem Namen, «Angie», etc. Ich fands extrem lustig und spannend, dass du als Frau einfach einen Typen besingst. Die umgekehrte Variante hätten wir nie gemacht.

Daniela: Ja, den erotischen Gaze so umzudrehen, um das ging es. Und um das Besingen von mutigen Fashionstatements von Männern: «Hey, zieh einfach das erotischste und shinigste an!», und nicht so: ich trage einen Pulli und die schwarzen Hosen.

Dieser Text ist ziemlich fiktiv, ich weiss nicht, wieviel der mit mir zu tun hat. Wenn man alleine Songs schreibt, ist es wie eine Psychotherapie. Was macht man aber, wenn man zu zweit ist? Du bist nicht mehr bloss mit deinen eigenen Chnörz beschäftigt. Darum vielleicht das explizite Storytelling. Trotzdem kommen eben dann doch Elemente rein, die mit uns sehr viel zu tun haben. Zu zweit wird aus dem Songwritingprozess dann rasch eine Paartherapie, da spielen ganz wilde Gruppenpsychologie-Effekte mit. Aber das bleibt ja über weite Strecken unbewusst.

...
«Lost in Communication»

Simon: Das ist der erste Song, den wir geschrieben haben.

Vor Kurzem habe ich ein altes Notizheft von mir gefunden, mit losen Zetteln drin. Anfangs 2021 habe ich mir sehr viele Sachen vorgenommen, und ein Vorsatz war: «start collaborations». Du warst wirklich mein erster Einfall, weil wir waren uns nicht nah – aber wir waren auch nicht allzu weit voneinander entfernt. Wir haben uns auch gar nicht gut gekannt. Ich habe dich einfach angerufen und ich fragte dich, ob du Bock auf eine Kollaboration hast. Du sagtest sofort zu. «Wann?» «Wie wäre es mit morgen?»

Es war noch halber Lockdown. Im Zug nach Baden baute ich einen rumpligen Beat. Und als ich angekommen bin, fragten wir uns: Wo fangen wir an? Wir sassen mit dem Laptop am Boden auf einem Fell-Teppich, du hattest die Monitor-Boxen am Boden, wir nahmen uns eine Gitarre, spielten einfach diese Chords. Harmonisch war das extrem wild.

Daniela: Das war wirklich cool. Am Anfang lief alles sehr intuitiv ab, das meinte ich vorher mit der Gruppenpsychologie. Wir haben einfach diesen Song geschrieben. Wir kannten uns ja nicht, aber wir waren schnell sehr vertraut und vom Gefühl her befreundet, wir sprachen auch sehr viel über Songwriting. Der Mood war freundlich, schön, neugierig. Im Sinne von: komm, jetzt machen wir das einfach.

Simon: Wir hatten schon ein paar Ambitionen, indem wir uns sagten: jetzt schreiben wir aber noch eine zweite Strophe.

Daniela: Irgendwo sind wir hängengeblieben. Die Chords waren wirklich recht wild – ich wäre nicht auf diese Kombination gekommen. Es klang nicht nach Long Tall Jefferson, aber auch nicht nach Odd Beholder, es war irgendwas anderes. Wir gingen raus aufs Inseli, dort hatte ich die Idee für den Chorus, und auch das wurde harmonisch ein weirder Move, dessen Entstehung ich nicht wirklich rekonstruieren kann. Und dann die Knacknuss: Wie kriegen wir die Kurve zurück in die Strophe? Das Thema hatten wir schon halb bestimmt, aber wir stritten sehr lange um den Text. Da ist es wieder, das unterbewusste Songwriting-Ding: Im Text geht es sinnigerweise um zwei Menschen, die sich so halb kennen und sich zu einer Art Blind Date treffen. «Lost in Communication» handelt von den nervösen inneren Selbstgesprächen während eines Dates: Findet es sie auch gut, findet er es auch cool?

Simon: Um dieses Thema drehen sich die Lyrics.

Daniela: Voll. Das Gefühl lässt sich als «Ich finde es eigentlich mega nice, aber hoffentlich findet das die andere Person auch» zusammenfassen. Irgendwann legten wir fest, dass die Ausgangslage ein Online-Date in einem Café ist. Und dann begannen die Diskussionen. Es war eine sehr gute Übung, denn wenn man aus einer Hetero-Perspektive Liebeslieder schreibt, gibt man dem Gegenüber bzw. dem Love-Interest eine Rolle. Und man schreibt nicht nur den eigenen Part, sondern auch den der anderen Person. Ich fand es mega spannend, dass wir in unserem Collab-Prozess beide fiktiven Personen verkörpert und die Figuren gegeneinander verteidigt haben. Das ging zum Beispiel so: «Nein, sicher nicht, sie ist sicher nicht unglücklich in diesem Café am Warten und denkt, hach, er ist so toll und hoffentlich liebt er mich auch. Vielleicht ist sie sich auch noch nicht sicher, ob sie ihn gut findet.» Ich fühlte stark, wie sehr ich nicht wollte, dass die weibliche Figur in eine Rolle reingeschrieben wird. Oft passiert dadurch ein Othering. Menschen werden zur Projektionsfläche. Doch im Fall unserer Collab wurden beide Figuren wehrhafter gegen solche Prozesse, da wir beide nicht demselben Gender zugehörig sind. Ich finde, das müsste viel mehr so sein, auch in der Literatur: dass man dank Collab die Vielstimmigkeit der Realität viel stärker berücksichtigen kann. Die Personen werden widerständiger – weil sie einfach Nein sagen werden, wenn sie nicht einverstanden sind.

Simon: Das machts polyphon. Dieser Song ist ein richtig gutes Beispiel dafür, was herauskommen kann, wenn man ohne irgendwelche Konzepte einfach mal macht. «Lost in Communication» ist schon recht unique. Man frisst diesen Song einfach, aber im Grunde ist er recht weird. Allein nur, dass ich die Strophe singe und du den Pre-Chorus. Und den Chorus singen wir zusammen, das ist schon speziell. Und dann diese Chords.

Daniela: Das spannendste sind sicher die Chords. Das Tempo ist auch weird, es ist eigentlich viel zu langsam.

Simon: Dieser Song lebt in seiner eigenen Welt. Wir sind auch beide sehr stolz auf diesen Song, das haben wir beim Proben wieder gemerkt.

Daniela: Vor allem auf der musikalischen Ebene. Auf der textlichen Ebene… Nein, ich muss den Song jetzt nicht bashen. Musikalisch finde ich ihn «wow», textlich ist er eher herzig. Ich find ihn okay.

Simon: Ich finde ihn geil, auch textlich.

...
«Im Winter simmer immer»

Simon: Im Winter simmer immer uf Nottwil is Hallebad…

Daniela: Ich hatte wieder die Bariton-Gitarre, und habe diese traurigen Chords gespielt.

Simon: Das gab so einen grungigen Vibe…

Daniela: Ja, diesen traurigen 90er-Vibe, der an muffigen Bandraum-Schimmel erinnert. Und weil wir das loopten, merkten wir: der Mood ist so, dass man gar nicht an einen anderen Ort hin will. Es ist ein Mood, der so viele Erinnerungen getriggert hat, und so sagten wir…

Simon: Du hast das gesagt: Komm, gib mir das Mikrofon und wir nehmen einfach mal auf. Der erste Take dauerte 7 Minuten, wir haben die Musik einfach geloopt bis in die Unendlichkeit, und wir haben gelabert, bis es zu Ende war.

Daniela: Die Idee war: Welche Erinnerungen weckt dieser Mood? Und ich, Daniela Weinmann, und du, Simon Borer, erzählen aus unserer Jugend. Und wir haben das einfach so erzählt.

Simon: Ich weiss nicht, ob wir das abgemacht haben. Aber es ging schliesslich darum, wie wir jeweils den ersten Song geschrieben haben. Wegen diesem Bandraum-Vibe, der uns so sehr an unsere Teens erinnert hat, als wir gejammt und Zeit ohne Ende zur Verfügung hatten.

Daniela: Das ist auch das Schöne daran. Wir waren halt auch in deinem Keller hier an der Ankerstrasse, und ich habe mich so gefühlt, als ob ich in einem Kifferrüümli hängen würde. Das fand ich extrem schön, weil wir über diese Erinnerungen auch darüber verhandelt haben, wieso wir das überhaupt machen. Was sind die formativen Erlebnisse, die uns zur Musik geführt haben? Es war auch gut, dass wir festgelegt haben, dass wir auf Schweizerdeutsch erzählen. Denn das ist unsere Alltags- und Umgangssprache. Wenn ich an Mundartsachen denke, denke ich zuerst nicht an Bands wie Dachs, sondern an Züri West, an die alten Sachen. Und das wiederum erinnert mich an die Chorproben, von denen ich erzähle, dort haben wir diese Songs gesungen. Das ist halt das Gegenteil von cool – und alles, was man im Teenageralter sein möchte, ist cool. Die Geschichten handeln auch vom Gefühl, dass es irgendwo coole Menschen gibt, irgendwo in London, aber ich bin leider in Buttisholz und in Dietikon, und ich muss mit dem Velo nach Spreitenbach fahren und dort hats einen McDonalds und dort fühle ich mich ein bisschen wie in Amerika. Es geht wohl auch um dieses vollbescheuerte komplizierte Verhältnis zur Heimat. Für mich hat das Schweizerdeutsche auch das getriggert. Du merkst einfach: dieses Angebot von wegen Daheimsein und Heimat fühlt sich irgendwie blöd an. Dietikon fühlte sich eher an wie ein Lagerhaus für Menschen, die dort neben der Fabrik in ihren generischen Wohnblöcken leben. Und dort hatten wir unseren Bandraum.

Ich habe einfach von meiner Jugend erzählt. Ich habe einen Take gemacht, und du hast auf meinen Take geantwortet.

Simon: Ich habe meine Lifestory – dramaturgisch deiner Geschichte folgend – eingesprochen, und wir editierten den Track. Es wurde immer ein wenig kürzer. Wir hatten bei der Aufnahme auch bereits den Plan unseres Podcasts, und vielleicht war dieses Stück unbewusst der erste Stein auf dem Weg zum Podcast.

Daniela: Wir wollten den Take beim Produktionsprozess mit einem guten Mikrofon nochmals einsprechen. Ich hatte am Anfang mühe damit, dass meine Sprechstimme ganz anders ist als meine Singstimme. Damit wurde ich auch konfrontiert beim Machen der EP. Ich nahm noch einen Anlauf, die Sprechstimme irgendwie anzupassen an die Singstimme, doch dann beliessen wir es aber weitgehend beim ersten Take…

Simon: …mit allen Cringe-Momenten…

Daniela: … wir mussten uns immer bestärken und uns sagen: diese Confessional-Momente, wie beispielsweise die Tochter vom Mathe-Lehrer, die bleiben drin.

...

Daniela: Ich habe schon sehr Angst.

Simon: Was könnte denn passieren?

Daniela: Du kannst das viel besser, einfach zu dir selbst zu stehen. Das habe ich fast am meisten mitgenommen aus dieser Collab. Du hast da so ein Gefühl der künstlerischen Selbstliebe, das sagt: «Böh, das ist jetzt einfach so». Das kann ich nicht gut, ich bin sehr kritisch, wenn ich etwas veröffentliche. Ich musste deine Haltung wie übernehmen, jetzt machen wir das einfach. Für mich ist es schon: Woah…

Wir lehnen uns weit aus dem Fenster, denn schliesslich haben wir einen Podcast über Songwriting gemacht. Und wenn wir dann auch noch eigene Songs veröffentlichen, denken doch alle: Jetzt müssen die aber einen mega krassen Song veröffentlichen.

Simon: Das stimmt, das hast du oft gesagt.

Daniela: Ich finde nicht, dass unsere Songs…

Simon: … Paradebeispiele sein müssen…

Daniela: …ja, genau. Man kann es so betrachten wie du, der sagt: Dieser Release ist mega low-stakes. Aber man kann auch sagen: die EP ist mega high-stakes. Denn ich habe mich darauf eingelassen, ich habe mich zugemutet und habe dir und dem Publikum vertraut. Die Songs sind nicht smarter als ich bin, sondern sie sind genauso smart, wie wir in jenem Moment eben waren, und keinen Zentimeter smarter. Es ist einfach, was es ist. Das kostet mich grossen Mut.

Was ich an dieser EP cool finde: Ich würde mir in der Schweiz mehr diesen Spirit wünschen – in the long run könnten so mega spannende Sachen entstehen, wenn mehr Songs aus der Freude am Prozess entstehen und nicht immer gleich hohe Ansprüche verfolgen. Zum Beispiel den Anspruch: «Achtung, jetzt haben wir eine neue ästhetische Nische herausgecarvt, hört diese Songs und dann wisst ihr, was zeitgenössisches Songwriting in der Schweiz ist». Das ist es nicht.

Simon: Die Verwertungslogik war bei diesem Projekt sehr weit aussen vor. Aber gerade hier merkte ich einmal mehr, wie schnell es geht, bis die Songs da sind – und wie lange es dauert, bis die Songs auch endlich fertig sind, mit der Produktion und dem Mixing, bis wir wirklich sagen konnten: yes.

Daniela: Da clashten aber auch unsere verschiedenen Herangehensweisen. So wie ich dich kennengelernt habe, arbeitest du auf Masse, du schreibst sehr schnell sehr viele Songs, und danach wählst du die guten aus. Ich dagegen schreibe sehr wenige Songs und arbeite an den einzelnen Songs sehr lange. Zusammen waren wir da wie stuck in between. Für mich dauerte der Prozess vielleicht gar nicht so lange, das war für mich normal.

Simon: Ich habe jeweils auch das Gefühl, ich arbeite lange an einem Song. Wahrscheinlich haben wir einen anderen Zeithorizont.

Odd Beholder & Long Tall Jefferson

«Lost in Communication» ist bei Mouthwatering Records erschienen.

Mehr über ihre Collab? Daniela und Simon übernehmen in der neuen Folge ihres Podcasts «Songs und so» für einmal die Rolle der Gäst:innen.

Wo es die Lieder live zu hören gibt? Diesen Sommer hier:

1. Juni, Helsinki, Zürich
18. Juni, Bongo Joe, Genf
12. Juli, Gugus Gurte, Wabern
19. Juli, Barfussbar, Zürich
20. Juli, Luzern live, Luzern
4. August, Polenta7000, Chur
26. August, Kammgarn Hoffest, Schaffhausen
27. August, Badenfahrt, Baden

Mehr von Daniela auf splatz.space: «träumen, starkes Verb»

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