Noah: Lange sah es chaotisch aus in unserem Bandraum. Wir stellten immer neue Sachen auf, räumten aber selten etwas weg, mittlerweile haben wir aber eine gewisse Ordnung, auch dank Technikmenschen, die uns helfen. Jetzt ist es wieder sehr gemütlich – und die Instrumente sind spielbar.
In den letzten drei Monaten hatte ich das Gefühl, dass wir sicherer geworden sind in dem, was wir in den Proben machen wollen. Zu Beginn hatten wir Proben, bei denen wir noch gar nicht gewusst haben, wer welches Instrument spielt. Wir machten da chli irgendöppis, wir kamen nicht sehr weit, und es war auch relativ anstrengend. Nun wissen wir, wie wir diese Zeit sinnvoll gestalten können.
Candid: Viele Tracks und Ideen von uns entstehen nicht im Probenkontext, sondern irgendwann, und wir schmeissen diese dann vielleicht in irgendeinen Ordner oder Chat. Der Challenge in den Proben ist, diese Ideen auf die Band zu übersetzen. So im Sinne von: wie bringen wir den Mensch in die Musik rein. Wir wollen nicht auf den vorproduzierten Tracks rumsitzen, sondern andere Komponenten reinbringen. Damit verbringen wir viel Zeit. Und an den Proben sind wir gewissermassen eine Instrumentalband.
Maxi: Wir wollen ziemlich elektronisch sein, aber trotzdem noch selber spielen.
Maxi: Ich und Noah waren zusammen im Vorkurs in Biel. Noah hat schon Musik gemacht, du hast doch damals diese Instrumente gebaut? Wir haben auch zusammen gewohnt, wir haben eine ziemlich intensive Beziehung und wir beschlossen, dass wir auch eine Band wollen. Denn ich habe geschrieben, Noah hat geschrieben, wir machten ein bisschen Musik. Dann kam Kevin dazu und wir wollten Noah entlasten mit den Drums, du hast die immer getriggert mit dem Synthesizer, dann kam Milena dazu, wir machten das Album und brauchten jemand, der uns hilft, und so kam Candid dazu. Etwa so. Das Album kam dann so gut an, dass wir beschlossen, weiterzumachen, und bis jetzt sind alle dabei geblieben, zum Glück.
Noah: Das, was uns verbindet, ist, dass wir alle aus verschiedenen Ecken herkommen. Ich könnte mir nicht vorstellen, ein solches Projekt mit jemandem zu machen, den ich seit 10 oder 15 Jahren kenne. Unsere Dynamik rührt genau daher, dass wir verschiedene Inputs bringen. Deshalb macht es so viel Spass.
Candid: Was die Band ausmacht, ist, dass die Musik nicht immer im Fokus steht. Die Texte gehören zwar auch zur Musik, aber von Anfang zählte das Drumherum, etwa das Visuelle, auch zu Prix Garanti. Und mittlerweile sind wir mehr als nur wir fünf.
Maxi: Bei Prix Garanti sind sehr viele Menschen involviert, das ist eigentlich das Schöne. Und es werden immer mehr. Wir sind schon eine Art Gesamtkunstwerk, würde ich sagen. Gesamtkunstwerk finde ich zwar einen schwierigen Begriff, der klingt fast ein wenig faschistisch, aber bei uns ist das Drum und Dran so wichtig. Dazu zählt die Wahl der Merchartikel, die Instagram-Ästhetik, die Art, wie wir auf der Bühne auftreten. Mir ist die Musik genauso wichtig wie die Ästhetik. Es ist nicht so, dass zuerst die Musik und erst dann das Bühnenbild kommt, es muss alles zusammenpassen. Ich bin halt einfach Künstler.
Wie würdet ihr eure Ästhetik beschreiben?
Maxi: Vielleicht weiss ich in zehn Jahren, was wir genau machten wollten. Aber im Moment ist es gar nicht so wichtig, dass wir mega wissen müssten, was wir im Sinn haben. Wir machen momentan keine Sachen, die wir nicht machen sollten, das würden wir doch merken. Deshalb habe ich das Gefühl, dass wir Prix Garanti einfach am Laufen halten können – und erst später blicken wir dann mal zurück. Ich habe das oft mit meinen eigenen Arbeiten, meinen Bildern, die ich male. Ich will bei diesen gar nicht genau wissen, wieso ich das und jenes nun mache, weil das würde etwas kaputtmachen. Ungefähr drei Jahre später denke ich dann, «ah ja, logisch, wegen dem habe ich das gemacht, das ergab also schon Sinn», und was ich jetzt mache, ergibt auch Sinn…
Candid: Unsere Ästhetik zu beschreiben wäre fast nicht möglich, da wir als Kollektiv unterwegs sind, aber alle wirken wie Individuen. Und alle verbindet ein gewisser Prozess mit dieser Band, und jede:r pflegt einen eigenen Zugang zur Prix-Garanti-Ästhetik. Ich kam beispielsweise erst dazu, als der Grundstein bereits gelegt wurde. Als ich das Video zur ersten Single gesehen habe, spürte ich, dass es eine enorme Konsistenz hat – und dass etwas ganz klar ausgesagt wird. Als ich dann Teil von Prix Garanti wurde, war dann klar, dass es kein Kalkül ist, sondern aus einer bestimmten Kombination von Menschen und Geschichten, die genau das ergibt, hervorgeht. Ich finde das eine schöne Vorstellung, denn ich kann sagen: jetzt beschäftigt mich gerade das im Leben sehr stark, diese Art von Musik, diese Art zu Produzieren, und wenn ich das Material dann einbringe, kann ich schauen, was hier für ein Austausch entsteht, wenn ich das Kollektiv mit dem konfrontiere. Deshalb habe ich das Gefühl, dass es nicht die Ästhetik ist, die wir beschreiben können, sondern vielmehr der Prozess.
Noah: Der Austausch macht sehr viel aus bei uns. Wir schicken uns sehr oft Ideen hin und her, haben die verschiedensten Chats und sind auch ausserhalb der Band zusammen unterwegs. Aus dem heraus entsteht vielleicht das, was man Ästhetik nennen könnte. Aber das passiert einfach.
Maxi: In der Mitte all dieser Kanäle ist die Spinne Prix Garanti. Oh mein Gott, Metaphern… Aber Spinnen sind immer gut, Meret Oppenheim und Louise Bourgeois sind voll auf Spinnen abgefahren und ich liebe beide, von dem her muss das passen.
Wie hast du deine Singstimme gefunden, Maxi?
Maxi: Ich begann mit Singen, weil ich kein Instrument spielen konnte. Und Noah und Kevin konnten spielen. Ich hatte lange ein Problem mit meiner Stimme, ich hielt es nicht aus, diese zu hören. Deshalb musste ich eine andere Stimme erschaffen, zu der ich eine Distanz habe. Und dann habe ich mir gar nicht so viel überlegt. Aber ich würde eigentlich gerne singen lernen, das ist ein Traum von mir.
Wie schreibt ihr die Texte?
Noah: Die ersten Texte haben wir geschrieben, als Maxi noch in Bern lebte, vor zwei Jahren in den Sommerferien. Ich las dann ein bisschen in deinem Büchlein, Maxi, in dem du bereits ein paar Sachen geschrieben hast, und an einem Nachmittag sass ich hin und schrieb Anfänge. Dann schickten wir Texte hin und her, wir ergänzten oder liessen diese so stehen oder schrieben alles total um – einiges haben wir auch verworfen. Es war ein Hin-und-Her-Spiel. Am Schluss muss Maxi aber den Text so weit «fühlen», dass er diesen auch performen kann.
Maxi: Es ist schlicht ein Prozess. Wir haben gemerkt, dass es einfacher ist, wenn ich den Text mega gut finde. Deshalb bin ich vielleicht am stärksten involviert, aber vielleicht seid ihr da nicht gleicher Meinung. Wenn ich einen Text fertig habe, dann schicke ich ihn an Noah, und er schaut diesen nochmals durch und sagt, ob er ihn gut findet. Wir haben auch damit begonnen, dass Candid und Noah mehr Instrumentals schicken, und bereits eine Vorstellung haben von der Art, wie ich singen oder sprechen soll. Und dann kann ich mir etwas dazu überlegen.
Es ist gut, mehr Text zu haben, als wir dann auch wirklich brauchen. Meistens schreibe ich ziemlich viel Text, dann lösche ich wieder raus, damit er zugespitzt und sharper wird, damit er auch «hittet». Den Text zu «Saisonabi» finde ich nicht mehr so gut, dort hats einfach viel zu viele Worte, und das ist auch darauf zurückzuführen, dass ich ihn ganz alleine geschrieben habe. Ich habe es gern, wenn jemand mitschreibt. Im Gegensatz dazu ist der Text zu «Hardlife Bern» sehr einfach und man kann auch mehr in diesen hineininterpretieren. Allein für mich hat der Text bereits drei Schichten. Von Bern wegzugehen, das steckt drin, und dass ich nicht mehr zurückkehren will: das steckt auch drin. Immer wenn ich in Bern bin, finde ich es nicht ganz so einfach. Und für mich ist es auch ein Breakup-Song.
Die Texte drehen sich auf eurer EP um Bern, ihr beschreibt eine Art Hassliebe.
Maxi: Ich bin im Breitsch aufgewachsen, bin jetzt weg und wohne in Amsterdam, und ich möchte nicht mehr zurückkommen. Vielleicht kehre ich ja dann auch mal wieder zurück. Aber mir ist die Stadt zu klein, um Kunst zu machen. Ich sehe Bern mit Distanz.
Noah: Die meisten Prix-Garanti-Hörer:innen leben in Zürich, dreimal so viel wie Bern.
Maxi: Wir sind einfach in Bern gehockt, es war Corona, uns war es langweilig. Wir mussten irgendwas machen, und Bern wurde auch langweilig. Ich weiss nicht, wie die nächsten Texte werden, aber sie werden schon sehr viel weniger Bern basiert werden.
Noah: Vielleicht war die Stadt der erste Impuls, um mit Schreiben zu beginnen. Wir waren damals oft zu zweit in der Stadt unterwegs, das war also ein logischer Schritt, die Texte in diese Richtung zu schreiben. Aber diese Texte sind jetzt geschrieben, und jetzt sind wir mehr interessiert über andere Themen, die uns beschäftigen, zu schreiben. Themen, die aktueller sind und die vielleicht auch über die Stadt hinausgehen.
Maxi: Ich will keine Texte wie «Ungerhautig» mehr schreiben, aber ich finde gut, dass er geschrieben wurde. Gleichzeitig hat beispielsweise «Hardlife Bern» gar nicht so viel mit Bern zu tun hat, es könnte gerade so gut Zürich sein, man muss nur das Wort austauschen. Doch klar, Berndeutsch bleibt halt unsere Sprache.
Candid: Die Beziehung zu Bern ist für jede Person, die bei Prix Garanti beteiligt ist, eine andere. Ich habe beispielsweise ursprünglich keinen Bern-Hintergrund. Für mich war die Band auch eine Art, Bern zu erfahren. Die Texte reflektieren das Geschehen in Bern, spiegeln ist vielleicht ein wenig zu gross, aber man hält Bern mit diesen Liedern musikalisch etwas entgegen. Das Wegkommen von dieser Thematik hat vor allem damit zu tun, dass andere Bereiche, in die wir nun musikalisch vordringen, weniger mit einer Stadt, sondern mehr mit uns als Mensch zu tun haben. Und sie werden sich um das drehen, was uns nun beschäftigt.
Maxi: Es gibt die Musik auf den Streamingportalen, und es gibt die Live-Konzerte. Diese beiden Sachen müssen sich unterscheiden. Durch die Live-Auftritte erhält alles eine Form, einen Charakter, ein Gesicht, es wird anders belebt, so, wie wir es wollen. Und wir können entscheiden, wie ein Song gelesen werden soll. Wie wir die Konzerte angehen? Immer professioneller.
Noah: Bis jetzt haben wir die Konzerte immer ein wenig anders gemacht. Wir haben immer mal wieder die Setups verändert, Dinge ausprobiert, mit irgendwelchen Gerätchen experimentiert, ob das dann funktioniert oder nicht. Jetzt haben wir ein wenig Klarheit, wie es laufen könnte.
Maxi: Wir wurden schnell sehr gross, und das hat auch einen Einfluss. Die ersten Konzerte waren komplett improvisiert, und das wollen wir nun nicht mehr. Wir wollen nun für eine grosse Masse spielen und Fun haben. Wir haben sehr viel gelernt.
Noah: Bei jedem Konzert waren wir auch überfordert. Für den ersten Auftritt hatten wir erst einmal geprobt und einfach gespielt – vielleicht ist Überforderung das falsche Wort – auf jeden Fall waren wir nicht ganz parat. Für die Plattentaufe im Gaskessel haben wir auch alles ziemlich schnell auf die Beine gestellt, Milena hat das Drum eingespielt, das wir vorher noch nicht gehabt haben. Es wurde eine Nummer grösser, und wir wussten auch dann nicht, ob alles funktioniert, aber das war auch gut so, jedes Mal ins kalte Wasser zu springen.
Ihr habt gesagt, dass ihr nun professioneller seid. Läuft ihr da nicht Gefahr, das Anarchische, das Stuntmässige, das euch auch prägt, zu verlieren?
Maxi: Wenn man mehr Geld zur Verfügung hat und uns mehr Leute hören, hat man doch mehr Möglichkeiten, das macht schon vieles einfacher.
Candid: Was wir nicht wollen, ist dieses «Anarchische» bewusst zu reproduzieren, im Sinne von: das gehört zu unserer Marke, das müssen wir wieder machen. Und ich weiss nicht, ob «anarchisch» überhaupt das passende Wort ist. Es geht doch darum, immer wieder den eigenen Ausdruck grundlegend zu dekonstruieren, diesen zu hinterfragen. Ich würde nie etwas machen, weil es zur Marke passt. Dann nehme ich lieber in Kauf, dass wir uns mehr Gedanken machen, besser strukturiert sind – und dafür stellen wir etwas auf die Beine, das voll aus uns herauskommt.
Maxi: Als Ton Steine Scherben aufgehört haben und Rio Reiser danach Liebeslieder gesungen hat, war das doch genau so anarchisch wie vorher. Es war vielleicht nicht mehr so plakativ, aber es ist schlicht alles politisch. Und überall wird alles miteinander verwoben. Ein Mega-Pop-Album zu machen, eines, auf dem wir alle Regeln, die es gibt, befolgen, fände ich auch geil, aber es muss einfach für uns alle stimmen.
Wie gehts denn weiter?
Noah: Du hast doch mal gesagt, Candid, dass du das Gefühl hattest, dass die Songs der EP wie aus einem Momentum entstanden sind. Und so machen wir es nun auch wieder. Wir schauen lieber, dass es wirklich passt – und haben nicht das Gefühl, dass wir nun so schnell wie möglich wieder neue Songs machen müssen.
Candid: Der Druck, etwas herauszugeben, kann auch ein Momentum sein, das spüren wir dann glaub ich einfach. Bis jetzt haben wir es recht gespürt. Und das Projekt Prix Garanti lebt auch davon, dass wir alle unsere individuellen Projekte neben der Band haben. Vielleicht haben wir dann halt mal keine Zeit für die Band, aber danach ist es umso frischer.
Maxi: Wir machen uns keinen Stress. Wir nehmen uns die Zeit, und wir machens dann, wenn wir können.
Was wir mögen
Prix Garanti spielen am Samstag, 16.7., am Gurtenfestival. Weitere Konzerte: 29.7., Out in the Green Garden, Frauenfeld; 30.7., Mokka, Thun.
Support splatz.space!
Wer mag, was wir machen: Hier kann gespendet werden. Neu gibt es das splatz.space-Papier-Abo. Und Fanartikel haben wir auch.
Vielen Dank für das.