Beginnen wir mit «Quings». Q U I N G S. Als ich Quings kennengelernt habe, merkte ich schnell, dass das eben nicht ganz so einfach ist mit diesen Bezeichnungen.
Auf ihrer Webseite beschreibt sich Quings als «Netzwerk-Akademie, in der Studierende selbstbestimmt arbeiten, lernen und lehren. Alle Studierende sind ermächtigt, ihre Studieninhalte selbst zu wählen, Lehrveranstaltungen nach ihren Interessen zu organisieren und mit ihrem Mitwirken zur Weiterentwicklung der Akademie beizutragen. Die transdisziplinäre Praxis steht dabei im Zentrum.» Es geht also ums gemeinschaftliche Ergründen, Forschen, Entwickeln, Umsetzen und Teilen. Und es geht darum, den bedeutungsschwangeren Begriff der Autor:innenschaft nicht nur zu hinterfragen, sondern ihn zu entmystifizieren und dabei zu kollektivieren. Und es geht um das gemeinsame Gestalten von etwas Neuem.
Dafür bilden Quings zum Beispiel Arbeitsgruppen zu Themen wie Natur und Umwelt, Macht oder Mode. Im Benzeholz Raum für zeitgenössische Kunst haben sie 2022 im Rahmen der Ausstellung «Pilz. Versuchslabor und Heilsversprechen» eine installative Arbeit erstellt, die unter anderem aus Mycel hergestellte Bodenplatten beinhaltete und damit zwischen Kunst und Wissenschaft mäanderte. Die Platten waren nämlich sowohl ästhetische Wandobjekte als auch Auszüge einer faszinierenden, langjährigen Kollektiv-Recherche zu nachhaltigem, CO₂-freiem Bauen.
Haus
Expo
Pool
Ur-
Werk
Das ist der Titel des Gemeinschaftswerks in der akku Kunstplattform.
Ein Haus bezeichnet laut Wikipedia ein Gebäude, dem in der Regel ein Zweck vorangeht. Ein Haus ist eine Unterkunft, die von Menschen regelmässig als Wohn- oder Arbeitsort genutzt wird sowie als Raum für Zusammenkünfte dient. Dies sind Bedürfnisse, welche die akku Kunstplattform Quings bereitstellen möchte. Und damit bietet sie das besagte Fass, bestimmt den Boden – aber was ist der Inhalt?
Expo ist das Kurzwort für Exposition, für Ausstellung – insbesondere für Weltausstellung, lass ich mir erneut von Wikipedia erklären (ich rede mir ein, dass es in diesem Kontext legitim ist, aus einer Opensource-Quelle wie Wikipedia zu zitieren). Expo ist ein Gefäss, mit dem der Öffentlichkeit etwas präsentiert wird. Kunst, Objekte, Sammlungswerke oder eben Quings. Während eines Gesprächs erfahre ich mehr über das Konzept. In Emmenbrücke soll Quings als Gefäss selbst öffentlich präsentiert werden. Ganz im Sinne einer Rekapitulation der vorangegangenen fünf Jahre – denn solange gibt es Quings bereits – soll die Ausstellung sowohl End- wie Anfangspunkt einer Entwicklungsreise darstellen.
Doch was ist das sicht- respektive ausstellbare an Quings? Quings besteht in erster Linie aus Menschen. Und diese gilt es vorerst zu informieren und zu aktivieren, um möglichst viele Beteiligte ins Boot zu holen. Dafür wurden unterschiedliche Informationsstränge bedient sowie Aufgaben und klare Rollenverteilungen vergeben. Schnell, so wurde mir gesagt, gingen nicht mehr nur Anfragen raus, sondern es kamen auch Interessensbekundungen rein – und im Nu, quasi in quingscher Manier, mobilisierte sich ein Pool von Menschen. Diese Menschen erklärten sich bereit, sich wild und eigen dem Projekt anzuschliessen.
Wir haben also ein Netzwerk aus unterschiedlichen Menschen. Doch was hält diesen Pool zusammen?
Hierfür dient das Ur-Werk. Dieses Ur-Werk wird als Startschuss des siebenwöchigen Aufenthalts in der akku Kunstplattform vorgestellt. Es besteht aus gemeinsam erarbeiteten Leitlinien und Prinzipien. Dabei hält es nicht nur das Netzwerk am Leben, es macht Quings gleichzeitig auch zu einer Art Modell, welches dezentral und überall passieren kann. Quings oder Teile von Quings können sich damit punktuell an unterschiedlichsten Orten niederlassen, sich entwickeln und wieder auflösen. Um diesen Prozess zu initiieren und voranzutreiben, dient die Offenlegung eben jenes Ur-Werks.
Was bringt Menschen zusammen?
Wie kann mensch sich organisieren, aktivieren und analysieren, ohne in Administrationsfallen zu gelangen?
Wie passiert Empowerment aller beteiligten Personen?
Mit dem Ur-Werk möchte Quings Prinzipien des Miteinanders und eine damit einhergehende Lebenshaltung teilen, die gewillt ist, ebenjene Prinzipien auch immer wieder über den Haufen zu werfen, Unsicherheiten nicht nur auszuhalten, sondern sie bewusst auch zu schaffen, Konfliktpotential zu akzeptieren und aktiv anzugehen, auferlegte Systeme zu hinterfragen, neugierig auf Neuland zu blicken, über den Horizont des Bekannten hinauszudenken und Andersartigkeit zuzulassen.
Und was hat das Sauerkraut mit uns zu tun?
Sauerkraut ist das Produkt einer Fermentation von Weisskohl mit Hilfe von Milchsäurebakterien. Stimmen die Bedingungen, beginnen diese den Kohl zu Sauerkraut zu verarbeiten. Der Kohl selbst wird dadurch nicht nur länger haltbar, sondern enthält als Sauerkraut eine Unmenge an Vitamin C, Vitamin K sowie Beta-Carotin und Folsäure. Ein gesunder Topf also, dieser Sauerkrauttopf. Wie aber lässt sich ein solches Gefäss kreieren, in dem sich mit der Zeit eine gemeinsame Kultur entwickelt?
Dafür lohnt sich ein Blick in die Entstehungsgeschichte des Sauerkrauts. Der Ursprung dieses Nahrungsmittel soll nämlich nicht, wie mensch meinen könnte, im Elsass liegen, sondern in Asien. Gemunkelt wird, dass das Gericht im 3. Jahrhundert vor Christus während des Baus der Chinesischen Mauer entstanden ist. Als sich eines Tages der Winter von seiner besonders rauen Seite zeigte, mussten die Mauerarbeiter:innen aufbrechen und Zuflucht suchen. In der Eile liessen sie dabei auch ihr Essen zurück. Als sie mehrere Monate später wieder zur Baustelle zurückkamen, fanden sie ihre Kohlköpfe unter dem Schnee fermentiert wieder vor. Dies ist eine von vielen Geschichten. Doch was allen gemeinsam ist – und dies haftet vielen grossen Erfindungen der Menschheit an – ist der Aspekt des Zufalls.
Auch Quings hat in diesem Sinne nichts neu erfunden, sondern durch Zufall gefunden, was ihnen heute von grossem Nutzen ist. Je mehr Erfahrungen und Überlegungen wir einander zur Verfügung stellen, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass bahnbrechende Zufälle entstehen.
Kollektive Produktionen in der Kunst sind kein neues Phänomen. Historisch erst mit Ideen des Sozialismus oder Anarchismus verbunden, kommt die Frage der Urheber:innenschaft– und damit der bewusste Verzicht jedes Einzelnen darauf – erst später dazu. Die Idee einer Künstler:innengruppe als imaginäres Projekt und als Utopie ist präsent, konkrete Einlösungen und Umsetzungen spärlich. Die Zusammenführung von Kunst und Kollektiv war medial insbesondere im Jahr 2022 aufgrund der Documenta 15 in Kassel stark präsent – erstmals wurde ein Künstler:innen-Kollektiv für die Kuration dieser Grossveranstaltung eingeladen. «Sie [Kunst] bringt kooperative Forschung hervor, setzt soziale und ökologische Projekte um und initiiert globale Netzwerke für eine bessere Zukunft», schreibt Judith Elisabeth Weiss im «Kunstforum international». Und weiter: «Angesichts von Pandemie und Klimawandel, angesichts des verheerenden Krieges in der Ukraine und seiner weitreichenden Folgen für die Zukunft stellt sich für die Kunst mehr denn je die Frage nach ihrer Erlösung von der Last der Utopie. Gefragt sind konkrete Handlungsoptionen und neue Kulturkonzepte.»
Kunst habe als Hüterin der Fantasie dabei schon immer surreale Hybridisierungen, provokative Wechselwirkungen oder undenkbare Verflechtungen und Verschränkungen in Szene gesetzt. Gerade der Symbiose-Begriff taucht im Ringen um neue Lebensmodelle in der Kunst immer wieder auf. Die Frage, welche Rolle Kunst bei der Suche nach neuen Zugängen zur Welt einnehmen kann, bleibt offen. Weiss nennt in diesem Kontext «Reworlding» als Schlagwort einer Sehnsucht nach Mitgestaltung und der Frage, was uns Menschen verbindet und überlebensfähig macht. Doch noch immer stehe zur Disposition, inwiefern Kunst dazu beitragen kann, unsere Lebenswelt – oder «Welt» – selbst neu zu entwerfen.
Weder die Verharrung im ästhetischen Rahmen noch die Funktion als Instrument der Kritik sieht die Autorin dabei als förderlich an. Vielmehr betont sie, dass Kunst ihre eigenen Produktionsprinzipien und Verfasstheiten grundlegend anders definieren müsste.
Darf ich als Besucher:in einfach nur zuschauen?
Darf ich als Besucher:in aktiv teilnehmen?
Darf ich etwas tun, machen, versuchen und scheitern?
Darf ich mein Leben selbst in die Hand nehmen?
Vielleicht leistet Quings mit ihrem Vorhaben hierfür eine Form von Basisarbeitet. Quings ist weder perfekt noch vollständig und ausgereift. Aber darum scheint es auch nicht zu gehen. Was ihre Arbeit auszeichnet, ist der Mut, Potenzial als solches wahrzunehmen und damit über die Frage des Dürfens hinauszugehen. Quings hat ihren eigenen Fundus unter die Lupe genommen, hat neue Kenntnisse daraus geschlossen und sich alten verschlossen. Ja, hat angefangen mit Rollen, Prinzipien, Definitionen, mit Gefässen und mit biotischen Faktoren zu spielen. Damit setzt Quings bewusst auf Empowerment innerhalb einer kollektiven Erfahrung. Sie fragt danach, wie wir der Welt begegnen, wo wir Gemeinsamkeiten finden und uns gegenseitig unterstützen können.
Quings will aufhören krampfhaft nach Lösungen zu suchen und in Konfrontation mit der eigenen Ohnmacht Verantwortung abzugeben. Quings will nicht Entdecker:in sein, sondern auf Entdeckungsreise gehen. Quings will Selbstläufer sein. Quings will die Menschlichkeit stets mitumarmen, denn wo Menschen zusammenkommen, da menschelt es. Quings will unangenehme Fragen stellen. Quings will keine absoluten Antworten. Quings will zurücklachen. Quings will wieder etwas mehr Freak sein.
Was wird in der akku Kunstplattform in Emmenbrücke zu sehen sein?
Ich habe keine Ahnung.
HAUS
HAUS – kuratiert von Claudia Waldner – dauert vom 1. April bis am 21. Mai 2023.
Ort: akku Kunstplattform, Emmen
Vernissage: Freitag, 31. März
Am 1. April findet in der akku Kunstplattform die Performance mit dem Titel «Der Mythos des Sauerkrauttopfs» statt.
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