Zu Beginn des letzten Jahres arbeitete ich an einem spezifischen Code – und hielt mich zu dieser Zeit an vielen verschiedenen Orten auf. Ich hatte meinen Zoom-Recorder dabei und machte immer wieder Aufnahmen. Zu dieser Zeit begann ich ein Live-Set zusammenzustellen. Für dieses wollte ich den Code mit den Field Recordings kombinieren. Ich versuchte, zwischen dem Code und den Aufnahmen einen gemeinsamen Nenner zu finden. Das war mein Ziel.
Ich merkte, dass es sehr viele Gemeinsamkeiten zwischen den Recordings gibt: Ich war an den verschiedenen Orten alleine unterwegs, habe sehr bewusst die Recordings gemacht. So entstand ein Bezug zwischen den Aufnahmen und den Orten. Ich wollte dem Code eine Emotionalität geben.
In Finnland, wo ich eine Zeitlang gelebt habe, lief ich etwa durch einen Birkenwald. Vom Wind, der durch die Birkenblätter weht, habe ich mehrere Aufnahmen. Ein weiterer Ort war beim Kloster Saint-Marie de la Tourette von Xenakis und Le Corbusier, dort waren wir mit dem Studiengang in einer Art Residenz, und jede:r Studierende machte für sich ein paar Aufnahmen – meine Recordings entstanden wiederum im Wald.
Ich arbeitete für diese EP extrem viel mit Resonanzen und spezifischen Frequenzen, und suchte nach Gemeinsamkeiten zwischen dem synthetischen Ton und den Field Recordings.
Aber du hast gefragt, wie man sich so einen Code vorstellen kann: Supercollider – der Coding-Sprache, mit der ich hauptsächlich arbeite – ist eine objektorientierte Programmiersprache, in der man eigene Synth-Stimmen von Null auf programmieren kann. Diese Synth-Stimmen kann man dann basierend auf Algorithmen oder nach spezifischen Mustern abspielen. Zusätzlich kann man den Klang der Synth-Stimme filtern und Effekte hinzufügen. Für diesen spezifischen Code habe ich verschiedene Filter hinzugefügt oder weggenommen. Für dieses Liveset wollte ich einen Code, wo ich die verschiedenen Parameter live tweaken kann. Für eine reine Komposition kann der Code aber auch fix abgespielt werden.
Mit Supercollider ist man sehr flexibel, ob man es live spielen will oder ob man es lieber im Vornherein komponiert und dann aufnimmt. Je nachdem, was du lieber hast.
Ich arbeite sehr intuitiv und nach Gehör, gerade bei dieser EP haben Resonanzen eine grosse Rolle gespielt. Der Aufbau von «Juni» folgt dabei dem Live-Set: die Bewegung ist fliessend, führt vom einen Zustand in etwas Anderes sowie an die verschiedenen Orte, an denen ich die Aufnahmen gemacht habe. Das sind für mich auch emotionale Orte – und das ist auch sehr persönlich. So höre zumindest ich die EP, für die Zuhörer:innen kann es etwas ganz anderes sein. Das Tape sollte als Produkt eher etwas Abstraktes bleiben, um Platz zu lassen für eigene Interpretationen der Hörer:innen. Denn es ist eine komplexe Soundscape mit vielen Details.
Das erste Lied wirkt beispielsweise sehr präsent: Es gibt diesen Feedback-Loop, der sich wiederholt und übereinander schichtet. Beim zweiten Track wirds ruhiger, was nicht bedeutet, dass die Soundscape reduzierter ist. Es passiert immer noch sehr viel. In diesem Stück hört man auch meine Stimme…
Eigentlich hätte ich noch einen fünften Track gehabt, aber so, wie es jetzt ist, mit den vier Stücken, wirkt das Tape in sich geschlossen.
Ich kann Töne meist nicht als etwas isoliertes betrachten. Ob mir ein Ton gefällt oder nicht, hängt sehr vom Kontext ab. Programmiere ich einen Ton von Null auf, merke ich jedoch, dass ich eine Vorliebe für das Akzentuieren von Obertönen und gewissen Harmonien habe – sowie auch für das Verzerren von Tönen.
Ich wollte unbedingt elektronische Musik studieren und mehr über Klangsynthese und das Programmieren von Klängen lernen. Ich suchte via Google nach Studiengängen, schrieb mir monatelang Infos und Bedingungen raus. Ich bewarb mich neben Den Haag auch in Basel und Bern. Hier, in Den Haag, habe ich auch ein paar Leute angeschrieben, und was sie erzählt haben, hat mich sehr angesprochen. Es ist ein sehr internationales Umfeld.
Zu Beginn dreht sich das «Sonology»-Studium um Grundlagen des Programmierens, etwa in Supercollider. Man vertieft sich jedoch nicht nur in die digitale, sondern auch in die analoge Klangsynthese, etwa im Analog Studio unseres Institutes – ein Studio mit vielen alten analogen Anlagen und grossen Knöpfen und langen Kabeln. Ein weiterer Teil des Studiums ist «Physical Modelling» – eine weitere Art der digitalen Klangsynthese –, wo wir anhand mathematischer Modelle die physikalischen Eigenschaften eines Musikinstruments zu rekonstruieren versuchen.
Bei mir, am Ende des Studiums, steht nun die künstlerische Praxis im Fokus. Ich fokussiere mich derzeit darauf, Live Coding Performances mit dem Laptop transparenter zu machen und eine Art der Virtuosität mit dem Laptop als Instrument zu finden. Zusätzlich zu meiner kreativen Praxis mache ich aber auch Projekte mit technischem Fokus, so wie etwa Sounddesign für Videoinstallationen und Setton für Film.
Wegen dem Studium habe ich mich quasi von der Schweiz fortbewegt, bevor ich überhaupt gesehen habe, was es hier eigentlich alles gibt. Mittlerweile komme ich aber immer öfter wieder zurück – und merke, dass hier gerade so viel Spannendes passiert.
Ich arbeite meist digital, ausser wenn ich draussen bin und Field Recordings mache. Es hat mich gereizt, meine Musik als physisches Produkt zu veröffentlichen. Vinyl hätte nicht gepasst, das Tape wirkt ein bisschen bescheidener und ist für mich das richtige Format.
Generell will ich versuchen, mehr Live-Sets zu spielen und das Digitale und das Analoge miteinander zu verknüpfen. Damit wird meine Musik auch zugänglicher für Leute, die mit Coding-Sprachen nicht vertraut sind.
Was ich mag
«Juni» von Seina ist via Präsens Editionen erschienen.
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