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«Playfighting»

Still House Plants

Jessica Hickie-Kallenbach: How was your summer? It was ages ago, so long ago.

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Es war in den frühen Tagen des endlosen Sommers 2022, als Still House Plants an der Bad Bonn Kilbi eines jener Konzerte spielten, die den Moment bis heute überdauerten. Die Riffs von Gitarrist Finlay Clark blitzten in jenem fernen Jetzt auf, die Free-Hard-Soft-Beats von David Kennedy schnitten und knallten und tanzten, und links und rechts und vorne und hinten bewegte die freie Singstimme von Jessica Hickie-Kallenbach. Neben dem Jetzt-Sound blieb gemäss dem Kilbi-Tagebuch aber vor allem eine Band in Erinnerung, die das macht, was man auch im Alltag öfters machen sollte: «genau aufeinander hören, sich anblicken, sich herausfordern, aber auch und vor allem, sich aneinander freuen.»

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Fast forward in den November 2022: Immer noch ist es viel zu warm, hier bei mir und auch in London, wo die drei aus verschiedenen Wohnungen zugeschaltet sind: «It’s still quite beautiful here, and super sunny», sagt Jessica Hickie-Kallenbach.

Die Zeitpläne an der Kilbi waren dann doch zu eng für ein direktes Gespräch, wir vereinbaren eine Online-Schaltung zum Mittwochmittag. Auch deshalb: kein reines Protokoll, sondern ein Wiederbeginn mit Schreiben auf splatz.space, mit Sprechen, mit Zuhören und möglichen Übersetzungen auch.

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«Messing around» ist eine Wendung, die Jessica Hickie-Kallenbach im Gespräch immer wieder benutzt. Es ist eine Wendung, die den Prozess der Band seit ihren Anfängen an der Kunstschule in Glasgow, wo sie sich 2014 kennengelernt haben, auf den Punkt bringt. Herumalbern, ausprobieren, ein Chaos anrichten, nach fast schon aufgeräumten Ordnungen suchen, um diese wieder über Bord zu werfen: all das steckt in der Musik von Still House Plants. Es ist eine Musik, die zunächst verunsichert, fast schon brutal wirkt. Denn wo kann man sich festhalten? An diesen sehr freudvollen, hellen Akkorden vielleicht. Ich versuche, mit «harsh and joyous» die Musik von Still House Plants zu beschreiben, die Drei helfen mir:

Jessica: Sehr viel crasht in unserer Musik ineinander. Manche Leute finden es schwer, herauszufinden, wo die Melodie oder der Beat liegen, und finden deshalb kaum Halt. Allenfalls liegt dort das Raue, das vielleicht gerade durch unsere Verspieltheit entsteht? Das ist bei uns superverlinkt, beides geht Hand in Hand. Ich habe jetzt zwar Verspieltheit gesagt, aber unsere Musik ist eigentlich playfighting. Da steckt auch beides drin: Meistens ist es Spass, aber vielleicht geht es auch mal schief und du schlägst jemandem unabsichtlich ins Gesicht.

Finlay Clark: Es ist eine Energie, a punk energy, making things happen. Die Musik kann monochrom wirken, da unsere Instrumentierung recht nackt ist. Für mich ist es wichtig, eine Balance zu finden, damit der Song oder das Album als Ganzes wirken: Es braucht die schönen Harmonien und Melodien, es braucht die beissenden Elemente. It’s not all just gorgeous soulful jazzyness.

David Kennedy: Wir spielen keine nostalgische Musik, es ist unmittelbare Musik.

Finlay: Vieles, das wir spielen, fühlt sich instinktiv an. Es geht auch darum, die Dinge und die Form einfach zu halten. Und dann kann man es in die verschiedensten Richtungen drehen.

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Die Unmittelbarkeit der Band wirkt nicht nur an den Konzerten, sie treibt auch die Aufnahmen von Still House Plants an – obwohl der Prozess bei ihrem aktuellen Album «Fast Edit» nicht auf dem Moment beruht, sondern weitere Wege geht und verschiedene Zeiten und Orte einkapselt.

Still House Plants erzählen von sehr strangen Gigs, die sie angesprungen haben. Sie flogen nach Hongkong, reisten weiter nach Santiago de Chile, um eine einmonatige Tour zu spielen, hingen wegen Bürgerprotesten in der chilenischen Hauptstadt aber fest, und statt auf Tour zu gehen, konnten sie ein Studio nutzen, übten jeden Tag, nahmen alles auf, so, wie sie das seit ihrer Gründung machen, mit Telefonen, mit Dictaphones, mit anderen Aufnahmegeräten. Zurück in London spielten sie das Album im Januar 2020 fertig ein, aber all die verschiedenen Soundqualitäten, das Teilen und Zerschneiden von Schnipsel, das die Songs informiert, das wurde bewahrt. Und es war, so sagen sie, das erste Mal, dass sie sich die Zeit gaben, über ein Album nachzudenken. Weil vorher ging es darum: «doing it as raw as possible».

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Auf «Fast Edit» sind verschiedene Soundtexturen im Spiel, die die Spuren des Aufnahmeprozesses mitdokumentieren. Das Album beginnt mit Jessica Hickie-Kallenbachs «Pleasures»-Ausrufen, Finlay Clarks Gitarre hängt sich rein, nicht begleitend, aber auch nicht zerstörerisch, mit fragmentarisch angespielten Akkorden, und aus irgendeiner sehr schlechten Laptopaufnahme nähern sich die Drums von David Kennedy. Sie verlieren im unmittelbar angehängten «Blink 2wice» das überschlagende und verzerrte, hinken rasend nach vorne, weil bei Still House Plants beides gleichzeitig geht. Und, wenn ich die Stimme der Free-Sängerin richtig verstehe, singt sie «I’m looking forward», wie in einem zartestmöglichen Liebeslied, das es wohl auch ist. Hat hier jemand widerspenstig oder «harsh» gesagt? Besser zuhören, so, wie das die Band vorlebt, damit ihr Zusammenspiel überhaupt möglich ist.

Jessica: Das Hören, das Zuhören ist ein so wichtiger Bestandteil für uns und wie wir die Dinge angehen – selbst wenn vieles eingeübt und strukturiert ist und jede:r von uns weiss, auf was in unserer Musik zu hören ist. Denn wir lassen uns immer noch viel und grosszügigen Raum, auch in den kleinsten Teilen. It’s like a real kindness. Und wir treffen uns so oft wir können zum Üben. Manchmal ist es dreimal pro Woche, manchmal nur einmal, zuweilen auch über Wochen gar nicht, wenn wir mal eine Pause brauchen. Aber wir versuchen, uns wenigstens zweimal pro Woche zu treffen. Wir haben alle sehr komische Arbeitspläne, it’s a lot to work around. Es ist sicherlich besser, wenn wir uns öfters treffen, denn wir reden sehr viel, und je mehr Zeit wir haben, desto mehr Zeit können wir mit Erzählen verbringen.

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David: Wir haben dieses unglaublich grosse Archiv mit Aufnahmen, wir nahmen wirklich fast alles auf. Bei diesen Aufnahmen geht es auch darum, sich an Dinge, die wir gespielt haben – beispielsweise einen Drumbeat, zu erinnern. Aber ich habe wohl sehr viele verloren, denn meine Festplatte wurde beschädigt, vielleicht ist einiges noch zu retten, aber ich habe immer noch Angst, diese zu berühren.

Jessica: Es ist eine Art Archiv, aber wir sind keine Archivar:innen. It’s a reference point of messing around.

David: Auf vielen von diesen Aufnahmen sprechen wir auch einfach über irgendwas. Und sehr vieles ist wohl einfach sehr ähnlich. Aber ich muss jetzt mal schauen, was sich retten lässt.

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Im Sommer, kurz nach ihrem Konzert an der Bad Bonn Kilbi, waren Still House Plants auf «Highgrade» – einem Album mit Neubearbeitungen von Tirzahs «Colourgrade» – vertreten. Sie spielten die Single «Send Me» unter dem Titel «22222» gänzlich neu ein, und wer immer noch einen Zugang zur Band suchen sollte, hört sich diese Neuübersetzung an.

Jessica: Es war ein ganz neuer Prozess für uns.

Finlay: Das Original hat ein grungy Ende. Und wir dachten uns: vielleicht können wir dieses Ende an den Anfang stellen, den Song umdrehen. Das war unser gemeinsamer Startpunkt.

Jessica: Ich liebe «Send Me». Doch auch wenn ich den Song liebe, war ich mir nicht sicher, ob ich die Lyrics richtig verstehe und diese Schwierigkeit musste ich überwinden. In meiner Wahrnehmung dreht sich der Text um mütterliche Liebe, aber ich weiss nicht, ob das stimmt. So begann ich mit der Rekonstruktion, wechselte die Phrasierungen, entfernte auch den Kontext. Denn es ist herausfordernd, die Worte von anderen zu singen.

David: Alles ging recht schnell. Doch gleichzeitig fühlte es sich auch an, als ob es sehr lange gedauert hat, mit dem Aufnehmen, dem Mixen, dem Mastering. Es war ein interessanter Prozess, wir haben viel gelernt. Ich denke oft an diesen Teil mit dem Hi-Hat, es war unglaublich laut, das Mixing war fast unmöglich, man konnte das kaum gebrauchen.

Jessica: Du hast halt einfach ein lautes Hi-Hat.

David: Es war eine verrückte Zeit.

Jessica: Good fun though.

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Was steht nun an für Still House Plants?

Jessica: Wir haben nun keine Gigs bis im Februar, wir fokussieren uns auf ein nächstes Album.

David: Das ist ein schönes Zeitfenster, um sich aufs Schreiben zu konzentrieren, ein paar Entscheidungen zu treffen, weil danach spielen wir sicherlich wieder sehr viele Konzerte. Auf Tour kann man das nicht machen, die Tage beinhalten immer so viel mehr als nur die Show zu spielen. Nach einer Tour benötige ich jeweils einige Tage, um wieder ins normale Leben zurückzukehren. Wir müssen uns aber wohl noch neue Pässe besorgen, oder Jess? Die Konzerte werden wohl nicht ausserhalb des UK statfinden…

Jessica: Wir haben beide beschädigte Pässe, die Chips sind kaputt, und meiner läuft bald aus. So, see you next year, maybe?

Still House Plants

«Fast Edit»: Das aktuelle Album der Band, erschienen auf Bison Records im Sommer 2021

«More More Faster»: Eine atemraubende Single, danach erst mal wieder weniger machen, oder das zumindest bewusster

«22222 (Send Me Rework)»: Ein Höhepunkt auf Tirzahs Rework-Album «Highrade»

Still House Plants live: Wie sie live klingen? Hier zu hören auf dieser Liveaufnahme aus dem Café Oto in London

Still House Plants auf NTS: Wie hören Still House Plants Musik? Vielleicht gibt diese Chopped and Screwed-Stunde eine Idee davon.

Mehr über Still House Plants auch über Freundschaften und Musikhören gibts im Tone-Glow-Interview.

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Samuel Reinhard

«Ich kann diese Musik nicht erzwingen.
Ich muss sie einfach passieren lassen»

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