Tim: Michiko hatte nach der Schwangerschafts- und Mutterschaftspause vor acht Jahren den sehr weisen Entscheid getroffen, pro Monat nur noch ein Konzert zu spielen. Und ich versuchte nach einem dreiviertel Jahr Pause wieder, Ideen aufzunehmen. Eine Idee war, etwas mit der Schwangerschaftsvertretung aufzunehmen – wir hatten damals eine Ersatzsängerin, die Michiko unterstützt hat, mit ihr habe ich ein Lied gemacht, und mich hat interessiert, das als Aufnahme zu verwenden. Das war der erste Song. Dann wurde es immer schwieriger. Ich reservierte mir zwar den Freitag zum Musik machen, aber der Freitag bedeutete dann: Kinderarztbesuch oder einkaufen, Wäsche sowieso… So kam ich nur etwa jeden zweiten Freitag dazu, ein wenig Musik zu machen. Du nimmst etwas auf, lässt es liegen, und zwei drei Wochen später hörst du es und dann weisst du überhaupt nicht, welche Spur du eigentlich nehmen möchtest.
Zwei Jahre lang ging das so, etwa jedes halbe Jahr hatte ich eine Idee, von der ich dachte: das könnte vielleicht einmal ein Song werden. Jedes Jahr dachte ich: Okay, das kleine Kind ist jetzt vier, jetzt sollte es gehen. Im nächsten Jahr: Okay, jetzt kommt es in den Kindergarten, doch das ging doch noch nicht. Ab der ersten Klasse wurde es dann besser. Ab dann dachte ich: Jetzt mache ich mehr, und dann kam Corona. Diese Zeit war sehr schwierig für uns, die Grosseltern konnten nicht mehr zum Babysitten kommen, die Kita hatten wir nicht mehr, eine Person musste für die Kinder da sein und die andere konnte Musik machen.
Ich arbeite 30 Prozent als BG-Lehrer, es gab dann eine Umstellung in der Schule, ich hatte auf einmal nur noch eine Klasse, und das hat mich gestresst, da Geld fehlte. Ich fragte mich, ob ich noch einen zweiten Job finden müsste, aber ich wusste, dass ich eigentlich Musik machen wollte. So schrieb ich Eingaben, nach einer ersten frustrierenden Absage der Stadt Zürich klappte es beim zweiten Mal. Ich nahm zwei Monate Urlaub von der Schule, und um diese ganze Zeit hinter mir zu lassen, mich zu erden, habe ich mir gewünscht, eine Küstenwanderung zu machen. Ich wusste, dass dies in Menorca möglich war, denn als wir vor zehn Jahren schon einmal auf der Insel gewesen sind, sagte uns ein Bauer, dass es an der Küste Höhlen gebe, die früher Grabstätten waren. In den 70er-Jahren wohnten Hippies dort und jetzt seien sie leer. Das blieb mir im Kopf.
Ich entschied mich, diese Wanderung zu machen mit Übernachtungen in diesen Höhlen. Diese zehn Tage wandern waren super, obwohl mir die Füsse danach so weh getan haben. Daraufhin ging ich zwei Wochen ins Onsernonetal in ein Häuschen und dort arbeitete ich wirklich nur an der Musik. Ich editierte bis Mitternacht an der Musik, hörte das, was ich gemacht hatte, als erstes am Morgen und konnte dann so die bereits entstandenen Skizzen zusammenbauen. Nach der Zeit im Onsernone-Tal ging ich noch in ein Ferienhaus bei Schaffhausen, dort wurde ich zwar krank, aber ich konnte dennoch ein wenig weiterarbeiten. Es sah so aus, als ob alles im Herbst fertig werden würde, doch dann starb meine Mutter, was sehr heftig gewesen war. Das hat mich dann verständlicherweise drei, vier Monate lang absorbiert, und kurz daraufhin starb Michikos Vater und sie musste nach Japan.
Aber wir haben uns wieder gefangen, und dachten uns: Vielleicht ist es auch gut, noch etwas neben diesen traurigen Geschichten zu haben. Die Insel-Wanderung, das Tessin, diese Abgeschiedenheit vom Alltagsleben, das war das Entscheidende. Sonst hätte ich das Album nicht geschafft.
Mimi: Das waren deine acht Jahre. Meine Seite? I lived every day. Ich habe jeden Tag nur ans Heute gedacht. Es war alles noisy und ich bin nicht gut im Multitasking. Zwei Kinder zu haben ist bereits Multitasking, und durch den Altersunterschied haben sie andere Bedürfnisse. Und so hatte ich wenig Energie übrig für die Musik. Ehrlich gesagt habe ich kaum Erinnerungen, haha.
Ich begann, Comics zu zeichnen, hauptsächlich um meinen Alltag mit den kleinen Kindern zu verarbeiten. Es gab viele lustige Momente und ich dachte mir: Warum nicht zeichnen? Ich trug mein schlafendes Baby bei mir, und dann fing ich an, auf dem Küchentisch zu scrabblen.
Comics sind jetzt Teil meines Alltags. Aber momentan zeichne ich gerade weniger, mit der Band und der Familie und der Arbeit – ich arbeite auch noch zwei Tage pro Woche in einem Laden – kann ich nicht so gut zum Zeichnen wechseln. Eigentlich möchte ich die Geschichte schreiben, wie ich mich entschieden habe, meinen Job in Japan zu kündigen und Musikerin zu werden und in die Schweiz zu ziehen. Mein Ziel ist, das im Winter fertig zu haben, nach dem Release habe ich wieder mehr Zeit zum Zeichnen.
Aber mit dem Musikprojekt haben wir in den acht Jahren nie aufgehört. Ich habe das Gefühl, dass ich nie aufgehört habe, es ist nur ein wenig langsamer geworden. Aber da Tim & Puma Mimi so etwas wie unser Lebensprojekt ist, gibt es so viele unterschiedliche Momente. Und es ist auch ein Familienprojekt, weil Christian und ich ein Ehepaar sind – die heranwachsenden Kinder könnten auch ein Teil des Projekts sein. Aber es war wirklich schwierig, eine Zeit zu finden, in der man vor allem kreativ sein konnte. Um kreativ zu sein, braucht man Zeit. Zeit, sich zu konzentrieren, Inspiration zu finden oder auch nichts zu tun, beispielsweise einfach nur die Natur zu geniessen. Dieses Mal waren wir zu erschöpft, um über etwas eine längere Zeit nachdenken zu können. Es war wirklich notwendig, dass wir beschlossen haben, dir diese Zeit zu geben, damit du all die Ideen zu Ende zu führen konntest, die wir in ein paar Jahren hatten. Und in der Zwischenzeit, als er in der Natur herumlief oder in den Bergen an Songs feilte, blieb ich zu Hause mit den Kindern.
Ich war zum ersten Mal alleine mit den Kindern, weil wir wirklich immer alles aufgeteilt haben. Das war und ist toll. Diese zwei Monate waren eine Herausforderung, aber die Kinder haben sich auch auf eine Art verantwortlich gefühlt. Sie wussten: Papa macht Musik, und es ist wichtig, dass wir diese Musik machen. Das haben sie schon ganz gut verstanden, so waren sie weniger troublesome, ha.
Tim: Als ich dich gefragt habe, ob es möglich wäre, für zwei Monate wegzugehen, hast du etwas lustiges gesagt. Nämlich, dass du diesen japanischen Lebensstil sowieso einmal erleben wolltest. In Japan werden oft Väter von der Arbeit in eine andere Stadt versetzt, und die Mutter ist plötzlich allein mit den Kindern im gekauften Haus und der Mann ist zwei Stunden mit dem Flugzeug entfernt oder so ähnlich. Deine Reaktion hätte ich nicht erwartet.
Mimi: Ich bin eher die Köchin, aber du bist besser im Putzen, und so teilen wir uns wirklich den Haushalt 50/50. Im Gespräch mit anderen Müttern merkte ich, dass sie alles machen. Und ich dachte mir: Vielleicht muss ich auch einmal erleben, wie das ist. Diese zwei Monate waren eine gute Erfahrung, aber zwei Monate sind genug. Und ich war glücklich, als du wirklich tolle Ergebnisse mit nach Hause gebracht hast.
Tim: Das stimmt. So konnten wir endlich ein neues Album machen – damit wir wieder mehr Konzerte spielen können.
Mimi: Weil ja, Konzerte sind mein Job und ein Teil meines Einkommens. Und ein neues Album gibt mir die Möglichkeit für Performances.
Tim: Wenn ich nur mein eigenes Projekt gemacht hätte, wäre das etwas anderes.
Mimi: Dann hätte ich mich beschwert oder mehr finanzielle Unterstützung gefordert, vielleicht.
Tim: Oft ist es bei Künstler:innen ja so, dass sie mit einer Person verheiratet sind, die nichts mit der Kunst zu tun hat. Dann ist es schwer zu verstehen, warum diese Person jetzt zwei Monate lang Alleinsein muss.
Mimi: In einem solchen Fall wäre ich vielleicht auch irgendwo zwei Monate für mein eigenes Projekt gegangen, so dass es ein Geben und Nehmen gewesen wäre. Das wäre auch fair. In unserem Fall, wenn du zwei Monate weg bist und dafür Tim-&-Puma-Mimi-Song fertig machst, war das auch für mich. Tim & Puma Mimi ist auch meine Arbeit, also war das wirklich eine gute Lösung.
Tim: Es war ein Glück, dass es gut zusammengepasst hat.
Mimi: Ich war so erleichtert, dass du wirklich gute Ergebnisse heimgebracht hast. Ich war ein bisschen besorgt, dass du in diesem Monat vielleicht noch verwirrt bist und keine Songs fertig bringst. Aber ja, du hast das zurückgebracht, was nun mehr oder weniger auf dem Album zu hören ist.
Vor dem Komponieren: Diskutiert ihr über die Richtung der Songs?
Mimi: Normalerweise ist unser Kompositionsprozess so, dass mir Christian eine Idee zeigt, die sehr grundlegend ist. Das kann eine Bassline oder ein Beat sein, es sind wie Skizzen. Dann beginne ich, über den Text und die Melodie nachzudenken. Wir diskutieren oft über die Richtung des Songs, wenn ich die Stimme aufnehme – also ein wenig nach der Aufnahme, oder?
Tim: Diskutieren wir das? Ich würde sagen: Wir machen das nicht. Wir arbeiten recht intuitiv, nicht?
Mimi: Das stimmt.
Tim: Ich nehme oft nur Ideen auf, und die meisten davon führen zu nichts. Wenn ich dann weiss, dass ich das Album fertigstellen möchte, dann fange ich an, härter daran zu arbeiten. Ich glaube, das einzige Konzept, das wir haben, ist, dass wir uns gegenseitig Musiker:innen zeigen wie etwa Doechii, Sault oder eine andere Band und ich sage: «Oh cool».
Mimi: Es geht um Inspirationen…
Tim: …nicht ums Kopieren…
Mimi: … um den Mood. Wenn wir dann das Demotape hören, ist unser Kriterium und unsere Frage oft: Is this Tim & Puma Mimi or not? Es gibt so viele Stile, die wir mögen und die wir in unserer Musik zusammenbringen. Aber ob es dann aufs Album kommt oder nicht, hängt immer von der Frage ab, ob das noch Tim & Puma Mimi ist oder nicht. Darüber diskutieren wir oft.
Tim: Schmissen wir je etwas raus, weil es nicht Tim & Puma Mimi war?
Mimi: Wir versuchten einmal, «Campari Soda» zu covern.
Tim: Das ist schon lange her.
Mimi: Ich übersetzte den Text ins Japanische, in der Durchsage sprach ich vom Mount Fuji und diesen Orten, aber du sagtest, es sei zu süss für Tim & Puma Mimi.
Tim: Ah wirklich? Ich kann mich nicht genau erinnern, das war sicher acht Jahre her.
Mimi: Ich glaube, es war zur Corona-Zeiten, ich bin mir nicht sicher. Aber ja: Das ist unser Kriterium. Für deinen zweimonatigen Kreativ-Urlaub wählten wir bereits Tim-&-Puma-Mimi-Songs aus, und du hast dann diese Songs fertiggestellt. Das waren fünf bis sechs Lieder, bei denen wir uns einig waren, dass wir sie wollten. Und du hast dich einfach auf diese Songs konzentriert und nicht versucht, einen neuen Song zu machen. Und ich glaube, das war der Zeitpunkt, an dem ich auch zugestimmt habe, dass das Tim-&-Puma-Mimi-Songs sind.
Tim: Dieses Mal hatten wir keine grosse Auswahl. Wir hatten auch nicht die Zeit dazu, um 30 Ideen zu sammeln und dann nur die Besten zu verwenden. Ich habe mich nach der ersten nicht erfolgreichen Eingabe mit Ziska Staubli getroffen und ich wollte sie fragen: In welche Richtung sollen wir gehen? Was ist gut? Ich war damals ein bisschen niedergeschlagen, und ich dachte, ich sollte vielleicht aufhören mit der Musik. Ich kann mich zwar nicht genau erinnern, was sie gesagt hat – sie hat viele gute Sachen gesagt. Aber das Beste, was ich von ihr erhalten habe, war ihre positive Ausstrahlung. Sie hat einfach gesagt: «Hey, du machst Musik, und es ist super schön, dass du das machen kannst.» Ziska hat auch ein paar Songs von sich gezeigt, hatte wirklich diesen positiven Vibe. Und ich dachte: «Oh, stimmt. So sollte es sein. Man macht Musik und es macht Spass.» Damals schmiss ich ein paar Ideen raus, weil es nicht passte.
Mimi: Zu dieser Zeit wurdest du ein bisschen komplizierter. Nachdem du deinen Kopf frei gemacht hast, wurdest du wieder simpler. Du hast viele unnötige Sachen rausgelöscht – normalerweise bist du sehr gut darin.
Tim: Ja, ich hatte einen frühen Song, an dem ich schon zwei Jahre gearbeitet habe, diesen habe ich für die Popkredit-Eingabe komplett umgeschrieben. Dann habe ich gemerkt, nein, das ist es nicht. So bin ich wieder zur ersten Version zurückgekehrt. Solche Dinge passieren manchmal, beispielsweise irgendeine Dub-Version von einem Track, und dann merkst du: Nein, das ist es nicht.
Mimi: Aber man muss es ausprobieren. Ausprobieren ist auch etwas, das so viel Zeit braucht neben den Kindern…
Tim: Sich zu fokussieren, ist etwas vom Wichtigsten. Und ich bin nicht sicher, ob wir gut darin sind. Manche Leute sagen, dass unser Album immer noch zu viele verschiedene Stile enthält. Aber für mich und dich ist dies einfach unser Stil.
Mimi: Das ist Tim & Puma Mimi.
Tim: Es ist so offen.
Mimi: Offen ja, aber vom Charakter her komplett Tim & Puma Mimi.
Tim: Ja, aber es sollte auch für die Hörer:innen klar sein.
Mimi: Stimmt.
Tim: Denn auf «Der Die Das» waren wir ein bisschen zu weit weg, wir hatten zu viele Gäste drauf. Dieses Album wirkt für mich ein wenig verloren, denn es war nicht klar genug.
Mimi: Wir diskutierten zu wenig darüber, was das für ein Album sein soll. Wir machten Songs, die wir eigentlich mochten, aber diese zusammenzubringen, funktionierte nicht.
Tim: Als wir «Der Die Das» gemacht haben, habe ich gemerkt, dass man die Zeit verliert, wenn man Kinder hat. Natürlich kannst du eine Entscheidung sofort treffen, aber wenn das nicht geht, braucht man, ich weiss nicht, 15 Minuten, eine halbe Stunde, eine Stunde. Und trotzdem ist es mit Kindern anders, denn du hast nicht zwei Tage Zeit, um zu einer Entscheidung zu finden. Bevor ich Kinder hatte, hatte ich alle Zeit der Welt für mich. Ich sass in meinem Zimmer und arbeitete an meiner Musik, ging spazieren, besuchte Konzerte. Nun ist meine Zeit begrenzt, ich habe beim letzten Album unterschätzt, dass ich mehr Zeit für Entscheidungen brauche. Und wenn ich diese Zeit nicht haben, dann ist es gefährlich.
Mimi: Du brauchst genügend Zeit, um in dieses Denken einzutauchen. Doch zwei Tage lang nur Überlegen können wir uns nicht mehr leisten. Wir erlauben uns jetzt höchstens eine Stunde, um zu einer Entscheidung zu finden.
Mimi: Der Albumtitel entstand an einem Morgen, nachdem wir die Kinder in die Schule geschickt haben. Wir machen jeweils Tim-&-Puma-Mimi-Morgen mit Sitzungen, wir hatten heute auch eine solche. Ich bin kein Morgenmensch, also war es sicher schon Vormittag. An einem solchen Morgen sagten wir uns: Entscheiden wir uns doch für einen Albumtitel. Wir brainstormten, hatten eine Liste mit möglichen Titeln.
Tim: Einer war: «Two Bodys, One Brain».
Mimi: Ich habe das nicht verstanden, haha. Ich hatte auch ein paar lustige Ideen.
Tim: Aber wir hatten nicht allzu viele, so vier fünf. Ich mag das Wort «less» und das brachte ich ein.
Mimi: In einem gewissen Sinn sind wir schon minimal, aber andererseits sind wir es nicht, wir sagen uns nicht: «weniger, weniger». Also sage ich: «more or less».
Tim: Und dann merkten wir, dass wir auf Fragen wie «Ist dieser Song fertig?» immer irgendwann antworteten mit: «Ja, more or less.»
Mimi: Unsere Albumtitel sind ja oft leicht merkwürdig und funktionieren auch in anderen Zusammenhängen. Und «More or Less» ist auch gut für Witze oder als Wortspiel.
Tim: Das Lustige ist, dass das Label uns kurz vor der Veröffentlichung angerufen und fragte: «Heisst das Album eigentlich «More or Less Tim & Puma Mimi», oder ist es nur «More or Less»?» Wir haben gesagt: «Wir wissen es nicht.» Wir haben festgestellt, dass wir oft diesen Typ Titel haben: «Don’t Mess Around with Tim & Puma Mimi», oder «The Stone Collection of Tim & Puma». Und dann ist da noch die Frage: Kann man diesen langen Titel in Spotify einfügen? Macht das Sinn? Ich weiss immer noch nicht, ob es «More or Less Tim & Puma Mimi», oder «More or Less» heisst.
Mimi: Für mich ist es «More or Less Tim & Puma Mimi». Aber in einem Katalog wäre es dann: «More or Less Tim & Puma Mimi» von Tim & Puma Mimi.
Tim: Um diese Entscheidung zu treffen, müsste ich jetzt auf eine zweitätige Wanderung…
Mimi: Usually, haha. Für mich erklärt der Titel alles über das Album. Für mich sind alle Songs mehr oder weniger Tim & Puma Mimi, richtig?
Was ist auf dem neuen Album mehr Tim & Puma Mimi – und weniger Tim & Puma Mimi?
Tim: In der Produktionsphase las ich ein Buch von Rick Rubin. Er sagt ja immer, nimm alles raus, was du nicht brauchst. Ich habe wirklich gedacht, ich mixe die Songs und er liegt im Raum auf dem Rücken und sagt: «Warum nimmst du das nicht raus? Nimm das auch raus.» Ich hatte einen Song, mit dem wusste ich nicht, was ich machen sollte, und ich habe einfach Klarinette, Glockenspiel, Steeldrum und Flöte aufgenommen. Es war wirklich ein Orchester-Ding. Natürlich kein volles Orchester, eher grümschelig…
Mimi: …noisy.
Tim: Und dann habe ich das eine Instrument rausgenommen, ein weiteres entfernt. Und es war wie: «Okay, es braucht nicht 12 Instrumente, drei genügen. Für mich ist das der «less»-Part, ganz klar. Der andere «less»-Teil ist, dass wir mit Kindern und mit der Zeit und der Energie, die wir im Alter weniger haben, eingeschränkt sind. Wie gehen wir mit diesr geringeren Energie um?
Mimi: Und die Beats.
Tim: Bei einem oder zwei Songs nahm ich die Beats raus. Das war neu für uns.
Mimi: Wir dachten zunächst, das sei nicht Tim & Puma Mimi. Aber es funktionierte recht gut – das war eine grossartige Entscheidung.
Tim: Bei der anderen Version von «Blanket Otaru» hatte ich wirklich kräftige Beats drin. Aber dann, so bei einer Minute des Stücks, war ich wie: Was soll ich nun machen mit diesem powerful Beat? Also nahm ich ihn einfach raus. Das war besser.
Mimi: Du hast mir dann die Version ohne Beat gezeigt, und die war toll. Und wir waren uns einig, dass das immer noch Tim & Puma Mimi ist. Es war eine grosse Herausforderung. Denn ich glaube, dass du sehr mit der Entscheidung gekämpft hast, die Beats wegzulassen – Beats sind für uns ziemlich charakteristisch. Manchmal sind es schwere Beats, manchmal sind es funky Beats, manchmal sind es 8-Bit-Beats, aber es hat eigentlich immer einen Beat drin. Es sind nun immer noch einige Beats drin, aber es hat viel weniger und sie sind nun weniger offensichtlich als früher. Aber es hat funktioniert, ich mag es. Das ist der «Less»-Part.
Der «More»-Part? Das KoTaMo!
Tim: Das Instrument ist sehr gross, aber wir nehmen immer den ÖV und das ist immer recht prekär. Denn du kannst es nirgends hinstellen, es fällt immer um. Wir nehmen es immer an die Konzerte mit.
Mimi: Es ist superleicht.
Tim: Aber die Tasche ist sehr gross, man sieht dich hinter dieser Tasche nicht mehr.
Mimi: Alle fragen mich dann, ob ich in die Skiferien fahre.
Es hat auch mehr Effekte auf der Stimme…
Mimi: Meine Stimme ist in den letzten 20 Jahren immer ein bisschen tiefer geworden. Und wenn ich die Töne von früher treffen will, brauche ich etwas Hilfe. Die Stimme war von Anfang an Soundmaterial für unsere Songs, mein Japanisch ist wie ein Instrument, und wenn meine Stimme mit Effekten wie dem Vocoder Gelegenheiten hat, noch mehr verschiedene Klänge einzubringen, dann hilft uns das auch. Ich begann vor acht Jahren auch, dass Kaos Pad einzusetzen, damit kann ich meine Stimme selbst manipulieren und lustige Voices machen.
Tim: Ich habe noch zwei andere Erklärungen. Eine war, dass ich nach 15 Jahren Arbeit mit der gleichen Person, nun frage: Was kann ich mit dieser Stimme noch machen?
Mimi: Ich sage, je mehr Gelegenheiten, desto besser, haha.
Tim: Ein Freund hat mir den Rat gegeben, es vielleicht mit mehr Effekten zu versuchen. Das war die eine Sache. Die andere Erklärung ist diese: Während Corona habe ich eine Idee aufgenommen, die später zum Song «Blanket» führte. Ich habe eine Melodie eingesungen, bereits mit Vocoder, und ich gab sie dir. Aber du mochtest sie nicht. Das ging etwa ein halbes Jahr hin und her, du sagtest: «Nein, das kann ich nicht singen».
Mimi: Habe ich das gesagt?
Tim: Ja, aber ich wollte diesen Song wirklich machen. Und irgendwann hast du etwas gesungen, das zwar nicht meine Melodie war – aber ich habe dann den Vocoder-Preset in Ableton gefunden, und diesen über die Aufnahme gelegt. Ich habe danach die Melodie mit dem Vocoder komplett geändert, es war nicht mehr deine Melodie, aber ich verliebte mich in diesen Song und diese Vocoder-Voice und es führte dann zu drei Versionen des Songs – zwei sind auf dem Album, die dritte ist noch unveröffentlicht. Das waren für mich die Gründe für mehr Effekte: Um mit einer anderen Stimme und mit meinen eigenen Melodien zu arbeiten, ha.
Mimi: Normalerweise entscheide ich ja über die Melodie, wenn er mir den Bass vorgibt… Klar, es ist ein schöner Song jetzt, aber jetzt jetzt erinnere ich mich, dass du mir eine Menge «nos and nos and nos and nos» gegeben hast. Diese ganze Diskussion habe ich vergessen, sie war heftig, haha.
Vocoder bei einem Konzert zu benutzen fühlt sich immer noch ein bisschen strange an. In «Blanket» ist es grossartig, denn ich würde diese hohe Note nicht ohne Effekte erreichen. Mittlerweile habe ich es besser synchronisiert: die Vocoder-Stimme fühlt sich nun wirklich so an, als komme sie aus meinem Körper – und nicht mehr so, als sänge da eine andere Person. Auf dem Keyboard will ich den Vocoder nicht benutzen, denn ich bin keine Instrumentalistin, dann könnte ich wirklich nicht mehr singen. Ich bin eine Performerin, die sich viel bewegt auf der Bühne. Aber jede Möglichkeit, mit meiner Stimme zu spielen, ist eine gute Möglichkeit.
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Tim: Du hast mir auch die Frage gestellt, ob wir wieder mehr Konzerte spielen sollen, oder ob wir es locker halten möchten? Wir brechen jetzt diese 1-Konzert-pro-Monat-Regel nach sieben, acht Jahren. Und das ist auch gefährlich. Wir hatten ein Konzert an Ostern in Lützelflüh. Es war easy, aber trotzdem waren wir danach super müde. Ich meine, wir könnten nicht eine Tournee mit einem täglichen Konzert spielen. Vielleicht könnten wir das schon, aber dann würde ich aufhören zu unterrichten, wir bräuchten auch einen Babysitter.
Mimi: Oder die Kinder dürften uns zumindest nicht aufwecken. Der Mood von Tim & Puma Mimi passt auch nicht richtig in den frühen Nachmittag. Wir passen immer noch besser in den Abend.
Tim: Wir spielen zwar schon auch Nachmittagsshows, gaben etwa ein Kinderkonzert in der Waxy Bar, wir assen noch auf dem Weg zurück in einem chinesischen Restaurant und waren dann um halb acht zurück, das war perfekt.
Mimi: Und unsere Kinder kamen auch.
Tim: Sie halfen uns, alles zu schleppen, das war wirklich eines der entspanntesten Konzerte überhaupt.
Mimi: Seit wir Eltern sind, erhalten wir mehr Anfragen für Kinderkonzerte.
Tim: Ich versuche nun zu sagen, dass wir späte Kinderkonzerte geben. In Biel am Pod’Ring spielen wir um sieben Uhr, das ist dann der Übergang zwischen dem Nachmittags- und Abendprogramm. Und das mag ich.
Mimi: Das ist ein perfekter Slot für uns.
Tim: Zum Nachtessen ist unsere Musik mit allen Verrücktheiten immer noch etwas zu viel, ich bin nicht sicher, ob es passt.
Mimi: Aber 19:00 Uhr ist okay. Ich war ein bisschen deprimiert und fragte mich, ob wir nun einfach eine Kinderkonzertband werden. Einmal kam aber ein Vater zu uns, sagte uns, dass es wirklich toll gewesen sei. Denn: «Ihr habt gespielt, als wäre es eine Mitternachtsshow.» Das war ein ziemlich gutes Kompliment.
Auf dem neuen Album covert ihr auch «Little Big City» von Knarf Rellöm und DJ Patex, und statt Zürcher Strassennamen wie im Original baut ihr Namen von ehemals besetzen Häusern ein, die mittlerweile aus der Stadt verschwunden sind.
Tim: Michiko kam Anfang 2004 in die Schweiz. Zuvor hast du in Amsterdam studiert, lebtest in Amsterdam, du warst also an grosse Städte gewöhnt. Ich habe mich ein bisschen für Zürich geschämt, weil es eine kleine Stadt war im Vergleich.
Mimi: Wirklich?
Tim: Wenn man jemanden aus einer grossen Stadt trifft, dann hat man vielleicht einen Komplex.
Mimi: Ist das so?
Tim: Wie auch immer. Du kamst nach Zürich und Knarf Rellöm lebte damals in Zürich. Ich bin manchmal zu seinen Konzerten gegangen.
Mimi: Und Saalschutz.
Tim: Das sind auch Freunde von mir. Und die hatten diese Split-Single mit Knarf mit diesem Song, die wir oft gehört haben. Wir haben diese Witze gemacht, sagten: «Ja, es ist diese little big city». Dieser Song erinnert an den Anfang unserer Beziehung und ist also recht wichtig für uns. Wie bin ich darauf gekommen, es zu covern?
Mimi: Wir haben über die Gentrifizierung diskutiert, das ist ein tägliches Thema für uns. Wir wohnen mitten im gentrifizierten Gebiet Zürichs.
Tim: War das der wirklich der Ursprung? Knarf, das hat er mir mal erzählt, hat für das Original ja einfach nur zufällige Strassennamen ausgewählt.
Mimi: Also die Version von 2004 war schon ein grosser Protestsong gegen die Kommerzialisierung in Zürich. Ich habe das jedenfalls so verstanden.
Tim: Ich schätze die letzten 25 Jahre in Zürich sehr. Als ich 1999 hierher kam, ging ich jede Woche in Squats oder illegale Bars zu Konzerten. Ich schätze die Leute, die das machen, den Effort, den sie reinstecken. Ich schätze die offene Kunstszene, die sich auf diese Weise entwickeln konnte. Das Cabaret Voltaire war damals beispielsweise besetzt. Was ich dort gesehen habe, war so umwerfend und mind opening für mich.
Mimi: Wir spielten auch dort.
Tim: Ja, ein bisschen später – am Anfang waren sie nicht so offen.
Mimi: Waren wir zu poppig?
Tim: Nein, ich hatte damals noch eine andere Band, die sie nicht so überzeugte. Aber ich muss sagen: Für meine Jugend in dieser grossen Stadt waren Squats die Hauptinspiration, meine eigene Musik zu machen. Natürlich ging ich auch in die Rote Fabrik für Konzerte, aber dort ist die Bühne für mich zu weit weg. Aber im Cabaret Voltaire, mit all den verrückten Performances, da ist alles so nah, dort habe ich mich wirklich wie ein Dadaist gefühlt. Diese Nähe zur Szene und den Leuten ist eher das, was ich mag.
Mimi: Zu Beginn unserer Karriere spielten wir oft in besetzten Häusern, man kann auch als Musiker:in und Performer:in viel experimentellere Sachen machen.
Tim: Ein Cover zu machen, half uns für das Album. Wir hatten diese drei, vier halbfertigen Songs. Und um einen nächsten Schritt zu machen oder auch um von anderen Kompositionen zu lernen, dachte ich, es wäre gut für uns, etwas Fertiges zu haben.
Mimi: Wir lernten vom bereits fertigen Coversong, wie man ein Lied fertigstellt.
Wann habt ihr euch gesagt, jetzt ist das Album fertig?
Tim: Das letzte halbe Jahr haben wir uns ein bisschen abgemüht. Die letzten Details sind für mich immer schwierig.
Mimi: Wir fragen uns dann, ob das wirklich fertig ist.
Tim: Oder gut genug. Ich produziere ziemlich roh, ich mag diese Super-Hi-Fi-Produktionen nicht. Natürlich wäre ich froh, wenn ich das überhaupt könnte, aber ich kann es nicht. Aber am Ende fange ich immer an, gegen mich selbst zu kämpfen, weil ich mich frage: Ist es in Ordnung, LoFi zu machen? Sollte ich versuchen, es fetter und eindrucksvoller zu machen?
Mimi: Man kann das Vertrauen verlieren. Es ist wirklich wie: Nein, es ist nicht gut genug. Und auf Spotify gibts jeden Tag neue Veröffentlichungen, die so gut produziert sind. Können wir da überhaupt reingehen mit unserem Stoff?
Tim: DJ Koze erzählte in einem Interview über die Produktion des Albums von Róisín Murphy: Ein Album fertigzumachen sei wie gleichzeitig 12 Häuser zu bauen. Du arbeitest in diesem Haus, und dann gehst du nächste Woche in ein anderes Haus und hast vergessen, wo diese Kabel sind, und sie liegen herum. Ich dachte mir: Genau so ist es. Du hast 12 Songs, und du arbeitest an drei, und dann an drei anderen, und dann an weiteren drei. Das ist das Schwierige daran.
Mimi: Und alle Häuser sollten sauber sein.
Tim: Ja, so sauber wie möglich. Ab einem gewissen Punkt muss man sagen: Okay, jetzt wird es nicht besser. Rick Rubin hat auch etwas Schönes gesagt. Es ist immer ein Schritt. Man erreicht nicht den Gipfel. Man macht immer einen Schritt, aber man muss diesen Schritt machen, sonst kann es nicht weitergehen. Dieses Album ist ein nächster Schritt. Es ist nicht das endgültige Beste, aber es ist ein Schritt. More or less.
Mimi: Es ist nicht so schlecht, more or less, haha. And we step on, das ist das Wichtigste.
Tim: Ich schätze es auch sehr, dass wir die Möglichkeit haben, dies zu tun, zeitlich und auch finanziell.
Mimi: Es ist aber auch unsere Wahl, denke ich.
Tim: Ja, es ist unsere Wahl und Entscheidung, aber wir müssen auch dankbar dafür sein, dass wir es überhaupt tun können.
Mimi: Wir stecken aber auch viel rein, damit dies klappt.
Tim: Das war die Entscheidung: Soll ich mir einen zweiten Job suchen oder soll ich ein Album produzieren? Ich wusste, dass es mir finanziell nicht viel bringen würde. Ich denke, wenn ich ein Album produzieren kann, ist das der beste Weg, meine Kreativität zu nutzen. Wenn ich bloss einen Job mache, verbringe ich meine Zeit für eine andere Person. Und zu 99 % kann man die eigene Kreativität nicht wirklich ausleben. Das ist nun vielleicht ein bisschen negativ.
Mimi: Bei der Musikkomposition kann man seine Kreativität ganz gut einsetzen. Du hast natürlich viele Struggles, aber es ist dennoch gut, dass wir das gewählt haben. Wir machen das ja jetzt 20 Jahre lang.
Mimi: Wenn wir die Zeit zum Musik machen finden, und nach neuen Sounds suchen, dann sind wir oft wie Kinder: «Dieser Sound, der macht wirklich Spass. Lasst uns etwas damit machen.»
Tim: Ja, das macht mich froh. Jemand hat mir gesagt, dass die Leute, die grosse Erfindungen machen, oft zwischen 25 und 35 alt sind. Und ich war wie: Ja, stimmt. Das Skype-Konzert und die klingende Gurke, das machte ich in diesem Alter, und diese beiden Sachen waren für mich und auch für ein paar andere Leute recht gross.
Ich hatte ein bisschen Angst, nach 40, diese Kraft, Sachen zu erfinden, zu verlieren. Aber ich würde sagen, musikalisch sind wir immer noch neugierig.
Mimi: Wenn wir keine Neugierde mehr hätten, dann wäre es nicht mehr Tim & Puma Mimi. Das ist vielleicht eine gute Definition für unsere Songs.
Tim: Was würde passieren, wenn man nicht mehr neugierig ist? Es würde sich einfach alles wiederholen.
Mimi: Das wären dann nicht wir.
Tim: Vielleicht machen wir ja mit 60 ein akustisches Album.
Mimi: Warum nicht? Das ist auch Neugierde, wir waren ja noch nie eine Akustikband…
Was wir mögen:
Tim:
Mimi:
«More or Less Tim & Puma Mimi» ist via A Tree in a Field erschienen.
Zur Website und zum Instagram-Account von Tim & Puma Mimi.
Tim & Puma Mimi live: 28.5., Café Kairo, Bern; 14.6., Sternen, Rüti; 21.6., K’Werk, Basel; 10.7., Pod’Ring, Biel; 12.7., Tschingelhell Festival; 8.8., Rock’R Sauvage, Porrentruy
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