Elaine: Wir sind hier für drei Monate im Homeoffice, sozusagen, was grossartig ist.
Jack: Ich kann mich hier grösstenteils von meinem Day-Job abkoppeln – das ist etwas ganz Besonderes. Im Moment befinden wir uns gerade in einer Forschungsphase für das Projekt, das wir hier durchführen.
Elaine: Ich recherchiere über die frühe Geschichte des Radios.
Jack: Ich arbeite gerade an Musikprojekten. Wir machen eine Reihe von Mixtapes, während wir hier sind. Und wir versuchen, uns immer mehr in Richtung Musikmachen zu bewegen – und uns davon zu entfernen, bloss die Musik anderer Leute zu benutzen. Wir versuchen einfach, einen neuen Weg zu finden, wie wir Time Is Away machen.
Elaine: Just using the opportunity that’s offered by being here, which has been good.
Elaine: Beim Projekt, mit dem wir uns beworben haben, geht es um diese Technologie namens «Crystal Radio». Dabei handelt es sich um eine sehr frühe Form von Funkempfängern. Einen Teil der Entwicklung können wir dem indischen Universalgelehrten Jagadish Chandra Bose zuschreiben.
Jack: Als man bereits wusste, dass Radiowellen existieren, war noch nicht klar, ob daraus ein Kommunikationsmittel entstehen – oder ob es etwas anderes werden sollte. Detektorempfänger sind eine der einfachsten Formen.
Elaine: Crystal Radio (deutsche Übersetzung: Detektorempfänger, BS) ist dieses Ding, das Kinder bauen, wenn sie erste Experimente mit Elektronik durchführen. Wir sind auch an der Art und Weise interessiert, wie diese Detektorenempfänger aus der Fortschrittsgeschichte der Technologie herausgeschrieben wurden. Sie erzeugen diesen sehr sehr schwachen Klang – hier liegt wohl der Hauptgrund dafür, dass sie als «gescheiterte» Technologie angesehen werden. So dachten wir uns: Wir drehen das um und nutzen diese Schwäche als Chance für ein starkes Hörerlebnis. Ein weiteres positives Merkmal ist, dass es kostenlos funktioniert.
Jack: Das Signal selbst versorgt den Empfänger mit Energie. Das ist ein interessantes Konzept und eine interessante Form einer obsoleten Technologie.
Elaine: Nun, sie ist veraltet und obsolet, und sie ist es auch nicht, weil sie weiterhin im Rahmen der Spionage eingesetzt wird. «Foxhole Radios» (deutsche Übersetzung: Schützenlochradios, BS) sind eigentlich Crystal Radios. Diese wurden während des Kalten Krieges immer noch an verschiedenen Stellen eingesetzt, und zwar noch stärker als im Zweiten Weltkrieg. Aber der Grund, warum wir dachten, dass es eine nette Sache wäre, hier etwas zu tun – wir werden ein paar Detektorenempfänger herstellen und sie draussen im Garten hinstellen – ist, dass wir zeigen wollen, wie technologisch gesättigt die scheinbar unberührte natürliche Umgebung hier ist. Als wir das Projekt vorschlugen, waren wir zuvor noch nie hier gewesen. Nun ist es in La Becque noch schöner, geradezu «ridiculously beautiful». Auch wenn der Rundfunk in der Schweiz nicht mehr auf AM sendet, so sind es doch Wellen, die eine ziemlich grosse Entfernung zurücklegen können.
Wir haben hier vor, den Klang, den wir von aussen empfangen können, mit den Geräten einzufangen. Das wird die Grundlage für mindestens zwei Radiosendungen sein, die wir planen, aber auch für einige der anderen Experimente, die Jack erwähnte, denn wir haben bereits sehr viel in diesem einstündigen Format gearbeitet, insbesondere mit der NTS-Show. Hier zu sein, ist für uns eine Gelegenheit, das nicht zu tun. Oder das zu tun – und dann noch ein paar andere Dinge zu machen.
Jack: Wir machen die Radiosendung schon seit zehn Jahren. Wir wissen, wie das funktioniert. Und wir können die Sendung auf so viele Arten weiterführen. Es gibt unendlich viele Themen und Sounds… Aber wenn man drei Monate Zeit hat, ist das ein guter Moment, um zu experimentieren. Wir wissen nicht, ob das wirklich funktionieren wird. Aber das ist das Gute an La Becque: Es ist ein Ort, an dem man nichts produzieren muss, das am Ende monetarisiert werden muss.
Elaine: Das ist ein starker Kontrast zu britischen Förderprogrammen.
Jack: Unsere Radiosendung war der Anfang von Time Is Away. Ich habe in einem Plattenladen in Dalston gearbeitet, und du hast ganz in der Nähe der NTS-Büros gewohnt – zu diesem Zeitpunkt lebten wir bereits zusammen. Elaine war oft im Plattenladen, genau wie die Leute, die NTS betreiben. Sie kauften Platten und wir beide haben uns mit ihnen über Musik unterhalten. Ich beschloss aus verschiedenen Gründen den Laden zu verlassen. Zu diesem Zeitpunkt sagte Femi, der Gründer von NTS: «Warum machen du und Elaine nicht eine Show zusammen?» Wir haben kürzlich über diesen Moment gesprochen, über den wir in der Vergangenheit nicht wirklich viel nachgedacht haben. Aber wir hatten beide fast zur gleichen Zeit dieselbe Idee: Unsere Sendung sollte mehr umfassen als nur coole Platten zu spielen, sie sollte ein Thema und eine Bedeutung haben, die über den blossen Mix hinausgeht.
Elaine: Time Is Away widerspiegelt unsere gemeinsame Liebe zur Musik – aber unsere Ausbildung und Herangehensweise sind völlig verschieden. Ich bin Historikerin. Hauptberuflich bin ich Dozentin für Designgeschichte. Ich sehe Time Is Away als eine erweiterte Art, Geschichtsforschung zu betreiben. Das Ergebnis ist ein anderes, aber die Art und Weise, wie ich über Fragen nachdenke, die Idee, Nachweise und Belege zusammenzubringen – all das ist sehr stark in meiner akademischen Ausbildung verwurzelt. Time Is Away gibt mir die Möglichkeit, über mein Fachgebiet hinauszugehen. Obwohl: Zunehmend stelle ich fest, dass die Dinge, auf die wir bei Time Is Away zurückkommen, näher an dem sind, was ich als Historikerin mache. Aber klar, ich muss kein sauberes, lineares Argument präsentieren. Für dich hingegen, Jack, ist es eine Art der Kunstpraxis.
Jack: Ja, Time Is Away ist für mich sicherlich näher an der Kunst. Ich habe eine Ausbildung in bildender Kunst, war an der Kunstschule. Als ich mit dem Master abgeschlossen habe, war ich etwas desillusioniert und fand es schwierig, ausserhalb des Kunstschulrahmens an Kunst zu arbeiten. Ich arbeitete über Jahre hinweg in Plattenläden.
Ich hatte die Musik und die Kunst nie zusammengebracht, obwohl es eigentlich das einfachste gewesen wäre – selbst meine Dozent:innen sagten mir, dass ich diese Interessen zusammenbringen sollte. Aber ich wollte es nicht. Es ist fast so, als hätte man zwei Gruppen von Freund:innen, die man einander nicht vorstellen will. Dann fingen wir an, diese Radiosendung zu machen.
Elaine: Die Sendung basiert auf meinen beiden Freund:innen: Geschichte und Musik.
Jack: Ja, genau. Aber allmählich hat sich Time Is Away für mich immer mehr zu einer Kunstpraxis entwickelt, oder zumindest zu einer kreativen Praxis, wie ich sie mir immer erhofft hatte. Ich erinnere mich, dass ich an der Kunstschule dachte: «Was wirklich nötig wäre, ist eine Arbeitsweise, eine Methodik, die nicht immer das gleiche Ergebnis hervorbringt, aber mit der man immer zum gleichen Ausgangspunkt zurückkehren kann.» Dank Time Is Away habe ich das fast zufällig gefunden. Wir haben definitiv eine Methodik entwickelt, die im Laufe der Zeit immer komplizierter geworden ist. Doch wir machen unsere Arbeit nicht zum Selbstzweck. Wir sind beide wirklich an diesen Dingen interessiert. Ich glaube, das ist das Beste daran, dass es im Laufe der Zeit zu etwas ungewollt Komplexem geworden ist. Ergibt das Sinn?
Elaine: Ja, für mich ergibt das Sinn. Und für dich?
Jack: Einige unserer Sendungen sind langwierige Projekte, die aus einer langen Konversation hervorgegangen sind, und einige sind recht schnell entstanden, beispielsweise «Candlewick», da es auf einer einzigen Quelle basiert.
Elaine: Wir sind hier am Genfersee angekommen – und wollten etwas machen.
Jack: Aber wir waren noch nicht in der Lage, mit unseren Projekten zu beginnen, die wir hier umsetzen wollen. Die Quelle von «Candlewick» ist eine Erzählung von W.G. Sebald, mit dessen Material wir schon öfter gearbeitet haben. Als wir über unsere Ankunft sprachen, mussten wir sofort an «Die Ausgewanderten» denken. Man könnte fast jede Stelle dieses Buches nehmen und man würde etwas darin finden. Die Stelle, die wir ausgewählt haben, ist ergreifend, aber auf ihre eigene Art auch ziemlich lustig. Wir sind immer auf der Suche nach diesen Momenten in der Literatur, im Film, im Fernsehen oder sogar in der Musik, where you’re suddenly dumped – und nicht weisst, wer die:der Protagonist:in ist. Man weiss nicht, was die Hintergrundgeschichte ist. Es könnte der Anfang von etwas sein. Man könnte in der Mitte landen. Du könntest dich am Ende der Geschichte wiederfinden. Kurz, man weiss nicht wirklich, wo man sich in der Geschichte befindet. Diese Art des Schreibens hat uns immer sehr gefallen.
Benedikt: «Candlewick» endet überraschend – nämlich bevor in der Geschichte der Maler vorgestellt wird – und noch bevor dieser von seiner Reise an den Genfersee erzählt. Ich dachte: Vielleicht habt ihr die Erzählung wegen der Gegend gewählt, in der wir uns nun befinden.
Jack: Das ist Teil unserer Methodik: etwas zu nehmen und dann das Offensichtliche daraus zu entfernen. Wir schneiden das raus, was der Sache einen Sinn zu geben scheint. Wir beide sind Personen, die genau das tun, was du gerade getan hast, nämlich etwas hören oder lesen oder sehen, das uns gefällt, und dann versuchen, daraus zu lernen und zu verstehen, was darin vor sich geht. Wenn man dann das Offensichtliche entfernt und die Umgebung belässt, kann man dieses Vergnügen einer anderen Person bereiten – das ist perfekt.
Dass in der Geschichte immer wieder der Begriff «Candlewick» auftaucht, kam mir so komisch vor. Kennt man das auch ausserhalb Grossbritanniens?
Benedikt: Nein, ich kannte es zuvor nicht.
Jack: Candlewick ist ein Stoff, der als Bettwäsche verwendet wurde. Wenn man danach googelt, findet man diese wirklich schönen, weiss auf weiss gestickten Muster aus dem 19. oder sogar frühen 18 Jahrhundert aus Amerika. Aber der Stoff, über den wir hier sprechen, ist ein Stoff, der, genau wie es der Erzähler in der Geschichte sagt, in den Schlafzimmern der englischen Arbeiterklasse vorgekommen ist. Es ist ein strapazierfähiger Baumwollstoff.
Elaine: Es war schön, diesen Stoff in dieser Sendung zu haben, die wir ganz bewusst nach unserer Ankunft hier gemacht haben. Dieses ganz kleine materielle Detail, das einen aufrüttelt, macht einem bewusst, wie ungewohnt der Ort ist, an dem man sich befindet. Bettwäsche gehört zu einer breiten Kategorie von Objekten, die in allen Kulturen vertraut sind, aber irgendetwas stimmt nicht, oder irgendetwas ist nicht ganz vertraut. Und die Geschichte kommt immer wieder darauf zurück: «The candlewick, the candlewick, the candlewick…»
Jack: An der Stelle, an der wir die Geschichte beenden, hat er sein Gesicht im Bettzeug vergraben. Es ist eine rätselhafte Art der Ankunft.
Benedikt: Wie wählt ihr die Musik in euren Sendungen aus?
Jack: Das ist ziemlich…
Elaine: …intuitiv?
Jack: Ja, intuitiv. Vieles ergibt sich aus dem, was wir gerade hören und was es gerade gibt oder was neu ist. Wir unterhalten uns immer darüber, wie sich die Musik anfühlen soll und ob diese zum Text passt. Es geht oft auch eher darum, was die Musik nicht ist: Sie soll nicht wortwörtlich das wiedergeben, was auf der Textebene passiert. Wenn wir unterrichten, sprechen wir oft über die Sendung «Words and Music», die auf BBC Radio Three läuft. Diese Sendung ist genau das, was Time Is Away nicht ist – obwohl sie viele ähnliche Elemente enthält. Beispielsweise gibts immer ein Thema – etwa «Krieg» – und sie spielen Musik, die vom Titel her dieses Thema aufgreift.
Elaine: Sie wählen dann etwa ein Lied aus «Oh, What a Lovely War» aus…
Jack: …oder so etwas in der Art. Man geht also von einem Musikstück über den Krieg zu etwas, das ganz offensichtlich schon einmal in einem verwandten Kontext verwendet worden ist. So wie Barbers «Adagio for Strings», das in «Platoon» vorkommt.
Elaine: Es gibt noch zwei weitere Merkmale, die in dieser Sendung wichtig sind. Sie verwenden Schauspieler zum Sprechen der Texte, was wir nicht wollen – denn die schauspielerische Darbietung von Texten klingt in meinen Ohren einfach nicht überzeugend. Ein zweiter Punkt ist: die Musik verschwindet immer dann, wenn die Worte zu hören sind. So wird eine Hierarchie zwischen Text und Musik aufgebaut. Und wir wollen das in jedem Fall vermeiden.
Jack: Bei uns geht es um Dinge, die nicht unbedingt diese direkte Beziehung haben. Es geht um Dinge, die um den Text herum existieren können. Wenn beispielsweise ein fantastisches Musikstück keinen Platz lässt für etwas anderes, verzichten wir auf dieses.
Jack: Unsere Sendung besteht zunehmend aus kleineren Sound-Stücken und verschiedenen Sound-Ebenen, in denen vielleicht drei oder vier Dinge gleichzeitig passieren. Wir sind immer auf der Suche nach Musik, die nur aus einer Spur besteht, beispielsweise Solo-Gesang oder Solo-Klavier. Diese können wir dann aufeinander schichten.
Elaine: Beim Nachhören der Sendungen fragen wir uns immer wieder: «Does that sound alright?»
Jack: Eines der wirklich wichtigen Dinge bei Time Is Away ist: Wir sind keine Musiker:innen.
Elaine: Und das wollen wir auch nicht sein.
Jack: Wir haben keine Ausbildung. Vielleicht sind das Timing oder die Harmonien für Personen, die geschulte musikalische Ohren haben, manchmal ein bisschen seltsam. Aber das ist auch ein Teil des Mysteriums, hoffentlich.
Benedikt: Ein Teil des Time-Is-Away-Mysteriums ist bei den Mixtapes auch der Verzicht auf Tracklists.
Elaine: Das hat mit dem Format zu tun – und auch mit Urheberrechtsfragen. Das Mixtape ist ein Raum, in dem man nicht alle Informationen zur Verfügung stellen muss, während wir bei Compilations, die offiziell erscheinen, natürlich auflisten müssen, welche Musik enthalten ist. Bei NTS listen wir auch auf, was wir spielen. Das sind einfach andere Konventionen.
Jack: Das «Ballads»-Tape, das wir während dem Lockdown gemacht haben, scheint einen Nerv getroffen zu haben – viele haben so zu uns gefunden. Wir haben bei diesem Tape nicht wirklich darüber nachgedacht, ob wir die Tracklist veröffentlichen oder nicht. Wir haben es einfach Moopie gegeben und er hat es so veröffentlicht, wie es war. Wir gaben ihm das Artwork, wir gaben ihm die Musik, den Titel und das war’s. Irgendwie hat dieses Tape viele Leute erreicht und viele angesprochen – nun, eigentlich nicht so viele, denn unsere Welt der Underground-Musik ist ja ziemlich klein. Das Mysterium für die Leute war da – vielleicht wäre das anders gewesen, wenn es einfach eine Radioshow gewesen wäre und wir hätten alle Trackinfos veröffentlicht.
Alles, was wir machen, liegt auf halbem Weg zwischen dem Wunsch, den Leuten einen Wegweiser zu geben. Wir wollen auf die gleiche Weise inspirieren, wie wir als jüngere Leute von der Musik inspiriert wurden, insbesondere von Sampling. Aber wir wollen auch etwas Geheimnisvolles bewahren. Doch wenn eine Person uns fragt, was das für ein Track oder Song ist, haben wir es ihr immer gesagt. Da halten wir uns nicht bedeckt, es ist kein Geheimnis.
Elaine: Wir sind nicht wie die Generation der Plattensammler just above us – wir sind die Generation, die kurz vor dem Internet aufgewachsen ist.
Jack: Wir haben in den frühen 90ern angefangen, Platten zu kaufen. Leute, die den grossen Teil ihrer Platten vor dem Internet gesammelt haben, sind sehr beschützerisch und auch verärgert darüber, dass heute jede:r ziemlich leicht weit in obskure Musik vordringen kann, während sie dafür noch kämpfen mussten.
Elaine: Meine Position war immer: Ich habe die Platte nicht gemacht, ich mag sie. Das ist ein Unterschied. Ich feiere die Platte zuallererst als Enthusiastin.
Jack: Ich wurde von diesen Platten oder Bands zuerst inspiriert, die wie «record collection starters» waren. Eine der ersten Alben, die mich als Kind wirklich begeistert haben, war «3 Feet High and Rising» von De La Soul, das im Grunde eine breit gefächerte Ready-Made-Plattensammlung ist. Da stecken alle möglichen Sachen drin, von denen heute zwar nichts mehr besonders obskur ist. Aber zu der Zeit, als ich in den Vororten von London aufgewachsen bin, fühlte sich das wie eine ganze Reihe von amerikanischen Einflüssen an, die ich nicht kannte. Das Gleiche würde ich auch über Saint Etienne sagen. «Foxbase Alpha» ist ein weiteres Album, das wir beide als jüngere Personen hatten – mit all diesen Referenzen und Samples. Als wir etwas älter wurden, haben wir Stereolab und Broadcast entdeckt, beides Bands, die für uns sehr wichtig sind. Beide verwenden entweder echte Samples oder interpolieren Avantgarde-Musik und weirde Popmusik. Das ist das Beste, was man sich von jemandem erhoffen kann, der im Grunde nur die Musik anderer Leute spielt: nämlich eine Art eigene Ästhetik zu schaffen – oder zumindest etwas, das die Leute begeistert.
Elaine: Und etwas, auf dem die Leute aufbauen können. Es sollte ein Ausgangspunkt sein – und nicht ein Ankunftsort.
Jack: Das ist eine weitere Sache, die sehr wichtig ist: Unsere Methode ist open source, jede:r kann diese Methode übernehmen. Denn das, was wir machen, haben wir nicht unbedingt erfunden.
Elaine: Vor allem in den 80er und frühen 90er Jahren gab es sehr viele interessante Arbeiten, in denen Leute Musik und Text kombiniert haben, meistens in einem Kunstkontext. Das Black Audio Film Collective etwa. Oder die Art und Weise, wie die Filme von Derek Jarman klingen.
Jack: Es gibt so viele Dinge, auf die wir zurückgreifen.
Benedikt: Eure letzte Compilation «Searchlight Moonbeam» basiert eher auf neueren Songs oder ganz allgemein: Songs.
Elaine: Das war nicht beabsichtigt. Es sind ziemlich viele Leute drauf, mit denen wir befreundet sind, was wirklich schön ist.
Jack: Wir wollten ein anderes «feel» als bei «Ballads» wählen. «Ballads» war ziemlich smooth, und wir wollten etwas machen, das ein bisschen mehr Lo-Fi, ein bisschen rauer an den Rändern ist. Diese Compilation war eine grossartige Erfahrung, denn die Arbeit daran fühlte sich sehr frei an. Wir gingen ohne bestimmtes Thema an die Sache heran.
Elaine: Wir mussten nichts übersetzen, was bereits in einem bestimmten Format existierte. Bei «Ballads» konnten wir zum Beispiel nicht alles vom Tape auf die LP übernehmen. Bei «Searchlight Moonbeam» konnten wir einfach loslegen.
Jack: Compilations sind sehr wichtig für unsere Plattensammlungen – Compilations von 60er-Jahre-Aufnahmen oder von Soul-&-Funk-Platten, die die Leute gesampelt haben, oder Indie-Compilations oder was auch immer. Wenn man etwas auf eine Compilation packt, sollte man meiner Meinung nach eine Art Dienst an der Gesellschaft leisten. Der Track sollte entweder noch nicht auf Vinyl existieren oder…
Elaine: … die Originalplatte ist einfach verdammt teuer.
Jack: Ich überlegte mir beim Machen immer: würde ich diese Compilation kaufen? «What’s the thing on the ear that I’d be like: right, I need to buy this because then I’ve got that.» Denn sobald man eine Compilation zusammenstellt, lädt man die Menschen dazu ein, sie aufzubrechen, zu zerstören. Es ist schön, wenn man eine Kassette hat oder eine CD anhört, dann hat es eine Form und man hat ein durchgehendes Erlebnis. Aber wenn man so ist wie wir, dann möchte man – sobald man eine Sammlung von etwas hat – diese auseinandernehmen und es selbst mixen. Wir wollten genauso etwas machen. Es gibt Stücke drauf, die zuvor noch nie auf Vinyl erhältlich waren, Songs wie «No One Around to Hear It» von Bo Howard & John Cassavetes, der zuvor nur als Datei existierte und noch nie kommerziell veröffentlicht wurde. Eine ganze Menge der Stücke gab es nur in digitaler Form.
Das war der Ausgangspunkt. Michael, der Efficient Space führt, ist ein Genie in Sachen Lizenzierung. Das, was wir gemacht haben, war ziemlich einfach für ihn, denn vorher hat er «Sky Girl» oder die «Ghost Riders»-Compilation zusammengestellt. Dort musste man die Leute, die die Musik gemacht haben, aufspüren – und manchmal war nicht mehr bekannt als ein Name. Bei uns stammt das meiste aus den 80er-, 90er- und Nullerjahren, das meiste ist katalogisiert und man kann herausfinden, wer die Rechte daran hat. Als wir mit dem Prozess begannen, war für ihn klar, dass er nichts lizenzieren wollte, was wir dann nicht verwenden. Denn man will niemanden bereits in Begeisterung versetzen und später sagen: «Wir werden es nicht benutzen, denn es passt nun doch nicht». So bauten wir kleine Gruppen von vielleicht je vier Tracks, das wirkte dann wie eine Flowchart. Man sagt sich: «Okay, wenn wir diese vier haben, dann funktioniert das und das funktioniert nicht mehr. Also lassen wir das lieber sein.» Und: «Vielleicht wollen wir das wirklich, aber wir können es nicht bekommen.» Das Einzige, was wir dieses Mal nicht bekommen konnten, war ein Stück von Jandek.
Jack: Time Is Away ist eine kollektive Arbeit. Natürlich ist es eine Zusammenarbeit zwischen uns, aber es ist auch eine Zusammenarbeit mit anderen Leuten, insbesondere mit Freund:innen. Wir haben, so glaube ich, noch nie jemanden auf professionelle Art und Weise angesprochen, um zu sagen: «Wir würden gerne mit dir arbeiten». Das entsteht aus Freundschaften heraus.
Für «Searchlight Moonbeam» wollten wir Jeremy Atherton Lin dazu bringen, einen Text für uns zu schreiben. Er erwähnte sofort Saint Etienne, wo es diese Sleeve Notes gibt, die die Musik begleiten – und sich nicht direkt auf die Songs beziehen. Es ist fast wie ein Essay oder eine Geschichte, die sich in demselben Gewässer wie die Musik aufhält, aber es geht nicht unbedingt um die Musik. Das Stück von der Compilation, das wir ihm gegeben haben, und das Stück, das er geschrieben hat, gab uns zunächst den Titel, und brachte viele Ideen zusammen, die es zu einem Ganzen gemacht haben. Dann kam Pennys Artwork dazu.
Elaine: Wenn man mit Leuten arbeitet, denen man vertraut, will ich ihnen freie Hand lassen. Man sollte dem vertrauen, was sie tun. Das sollte der Schlüssel sein.
Jack: Teilweise geht es darum, nach etwas zu suchen, das man haben möchte, aber meistens geht es darum, etwas zu nehmen, das schon da ist, und es zum Funktionieren zu bringen – oder es konzeptionell passend zu machen.
Elaine: Nun, man schafft den Kontext für etwas. Das ist der Punkt. Es geht nicht darum, die Person zu bitten, etwas ganz Bestimmtes zu tun. Diese Person macht, was sie nun mal macht, und man stellt dann einen Kontext her.
Jack: Trying to find these methods or roundabout ways to generate some poetry around something. Es geht darum, dass man die offensichtlichen Ideen aus dem Weg räumt und etwas schafft, das ein wenig geheimnisvoll ist oder eine gewisse Langlebigkeit erhält, weil es nicht ganz eindeutig ist.
Elaine: Unsere Sendungen haben verschiedene Ausgangspunkte. Manchmal kann es etwas sein, das wir gesehen haben oder eine:r von uns gesehen hat. Es kann eine Frage sein, es kann eine Textstelle sein, es kann ein Musikstück sein. Normalerweise fangen wir mit etwas ganz Kleinem an. Und in manchen Fällen wird aus dieser kleinen Sache am Ende etwas viel Grösseres. In anderen Fällen ist es sinnvoll, dass es klein bleibt. Und im Fall der «Candlewick»-Show waren wir hier angekommen und hatten das Gefühl, die Sendung should be about planting a flag in some way. It really depends on what works best for what we’re doing at the time. Das ist schwierig zu erklären.
Jack: Auch weil wir zusammen leben und schon seit 12 Jahren ein Paar sind, ist es schwer zu sagen, woher die Dinge kommen oder wer etwas initiiert hat. Wichtig ist auch: es ist eine monatliche Sendung. Manchmal ist das Leben grosszügig und wir haben viel Zeit, um uns etwas einfallen zu lassen, und wir haben drei oder vier Shows im Voraus geplant. Manchmal sind wir einen Tag vorher noch damit beschäftigt, etwas fertig zu machen.
Elaine: Für mich ist es auf jeden Fall ein schöner Raum zum Spielen, weil es direkt neben, aber doch weit ausserhalb meiner täglichen Arbeit liegt. Es gibt mehr Freiheit, sowohl in Bezug auf die Themen, die wir erforschen können, als auch auf die Art und Weise, wie wir arbeiten können. Die drei Monate hier in La Becque geben uns die Möglichkeit, zu hinterfragen, was wir tun und wie wir es tun. Wir können auch Experimentieren, während wir hier sind. Dieses Experimentieren ist immer ein Element unserer Sendung. Wir fragen uns immer, was wir bisher noch nicht gemacht haben. Wäre es nicht interessant, sich auf eine bestimmte Person zu konzentrieren? Oder wäre es nicht interessant, diesen Film zu verwenden? Oder wäre es nicht interessant, ein Brian-Eno-Album zu nehmen, dieses neu zu ordnen und alle Teile herauszuschneiden, die uns nicht gefallen?
Jack: Ich glaube, das gibt es auf einer Mikroebene auch bei Text und Ton. Wäre es nicht interessant, wenn dieses kleine Stück hier weitergeführt würde, oder wäre es nicht interessant, das Ende des Songs zu nehmen, den wir dann an den Anfang stellen, oder wäre es nicht interessant, wenn… Es ist ein experimenteller, spielerischer Ansatz.
Elaine: Und wir arbeiten auch ziemlich schnell.
Jack: Das, was du gerade gesagt hast, ist eine Freiheit für dich. Eigentlich ist es interessant, denn von meiner Art-School-Perspektive aus zügelst du oft meinen Elster-Instinkt. Man kann eine Art akademische Forschung betreiben, bei der alles einen Kontext haben und alles ordnungsgemäss zitiert werden muss. Und es gibt eine Forschung an einer Kunsthochschule, wo du einfach nimmst, was du schön findest und dich nicht zu sehr kümmerst. Wenn man das zusammenbringt, entsteht eine Reibung, und dort passiert etwas.
Elaine: Vieles von dem, was wir recherchieren, fliesst nicht in das Programm ein – aber du hast dich mit dem beschäftigt und weisst, wie der Kontext wäre. Vielleicht verwendet man am Ende nur ein paar Sätze aus etwas, aber ich fühle mich immer viel glücklicher, wenn ich weiss, dass ich den ganzen Text gelesen habe.
Jack: Bei der «Candlewick»-Sendung wissen wir beispielsweise, dass es danach an den Genfersee geht. Das zu wissen, dass es da ist, ist wichtig.
Benedikt: Zu Beginn habt ihr erzählt, dass ihr mehr eigene Musik machen möchtet, anstatt Musik von anderen zu benutzen.
Jack: Es geht mehr darum, kleinere Teile des Sounds anderer Leute zu bearbeiten und benutzen…
Elaine: … oder mit Gruppen von Leuten zu arbeiten, um Elemente zu produzieren, die wir dann zusammenbringen können. Wir haben eine Platte auf diese Art und Weise gemacht, die nächstes Jahr herauskommen wird.
Jack: Die wird auf A Colourful Storm erscheinen.
Elaine: Es ist eine Zusammenarbeit zwischen Félicia Atkinson und Christina Petrie, die viele Texte für Time Is Away liest und auch eines unserer Programme geschrieben hat…
Jack: …ja, «1994»,…
Elaine: …und uns.
Jack: Und auch Maxine Funke, obwohl sie uns eigentlich nur den perfekten Song gegeben hat. Wir dachten: Okay, diesen Song behalten wir einfach, wie er ist. Konkret hat es so funktioniert, dass Félicia Atkinson und Christina in Kontakt waren. Sie tauschten Musik und Text aus, haben dieses lange Gedicht über ein langes Musikstück geschrieben, das wir dann überarbeitet und zu sieben Tracks neu arrangiert haben. Es ist unsere Herangehensweise, aber mit einem raueren Sound, den andere Leute gemacht haben.
Wir wollen auch mehr mit Voice-Memo-Aufnahmen arbeiten. Weil wir keine Musiker:innen sind, gehen wir die Sache auf diese etwas seltsame Art an.
Elaine: Eine Sendung, bei der wir viel mit Sound gearbeitet haben, war die «Wildgoose Memorial Library». Es ist eine fortlaufende Zusammenarbeit mit Jane Wildgoose, einer Künstlerin und Historikerin des Sammelns in London. Viele der Klänge, die für die Klangtextur der Sendung entscheidend sind, wurden in ihrem Haus aufgenommen. Mit dieser Sammlung von Klängen aus diesem besonderen Ort wollten wir ein Porträt dieses unglaublichen Hauses und Werks erstellen, denn als Künstlerin ist ihr Haus wahrscheinlich ihr bedeutendstes Werk.
Jack: Sie hat dieses Museum im Wesentlichen in ihrem Haus eingerichtet.
Elaine: Visuell ist das sehr fesselnd. Aber was passiert, wenn man das visuelle Element wegnimmt? Wie viel von diesem Ort können wir durch Klang vermitteln?
Elaine: Wir werden uns auch wieder in jene Sendung hineinarbeiten, die eigentlich für La Becque 2020 in Auftrag gegeben wurde.
Jack: La Becque widmet ein Wochenende Derek Jarman und vielleicht arbeiten wir dafür mit unseren Derek-Jarman-Sendungen.
Elaine: Das wäre sehr nett, denn wir arbeiten so schnell, dass wir normalerweise nicht wirklich die Möglichkeit haben, auf etwas zurückzukommen, das wir schon gemacht haben. Wir können auch einfach in diesen Garten herausblicken…
Jack: Ja, dieser ist ja von Dungeness inspiriert.
Elaine: Es ist eine ganz andere Aussicht als jene, die wir uns gewohnt sind.
Jack: Wir haben zwar auch Grün zuhause. Doch wir blicken auf einen Friedhof. Der ist auch sehr grün – und eher ein Naturschutzgebiet. Das hier ist eine ganz andere, sehr junge grüne Wiese. Was für ein schöner Ort zum Arbeiten.
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