Als Mädchen habe ich mir überlegt, was ich mit meiner Liebe zur Sprache tun könnte. Meistens bekam ich allgemeine Vorschläge, dass ich Germanistik oder Literaturwissenschaften studieren und dann Bücher schreiben oder redigieren könne. Oder ich könne Künstlerin, Grafikerin werden. Das waren diese klassischen Kanäle, in denen ich mich hätte aufhalten sollen. Während dem Kunststudium in Amsterdam entdeckte ich die Conceptual Art. In den 60er- und 70er-Jahren gab es in der niederländischen Kunstszene einen starken politischen Zug, der Eigenverantwortung und Eigenproduktion wollte und sich selbst zu einer Äusserung ermächtigte, die nicht in einem Kunstobjekt gipfelte, sondern in einer Art von Publikation. Die Grafikszene war gross und es gab viele kleine unabhängige Buchläden und Selbstverlage. Alles musste selber gehen, musste schnell gehen, musste irgendwie bezahlbar sein.
Aber da war ich natürlich noch gar nicht geboren. Ich beziehe mich gerne auf diese Szene, da es Einfluss hatte auf die Möglichkeit, in meiner eigenen Arbeit überhaupt so zu denken. In Amsterdam war also eine Antwort auf meine Frage zu finden, dass Büchermachen auch Kunst sein kann und dass Buchstaben und Worte an sich auch Kunst sein können. Dass ich nicht mehr das Bild als solches brauche und dass ich Medien nutzen kann, die in Multiples auf billige Weise hergestellt werden können.
Wäre ich woanders im Studium gewesen und hätte ich an einem anderen Ort gelebt, so hätte ich die Frechheit nicht besessen, so lange etwas zu tun, was mir eigentlich alle ausreden wollten. Jetzt im Nachhinein finde ich es ganz gut, dass ich nicht aufgehört habe.
Irgendwann hatte ich eine Art Manie und habe einen Sommer lang jeden Tag ein Buch gemacht. Das klingt natürlich besser, als es ist. Es sind nicht viele tolle Bücher übriggeblieben. Ich wollte mich unter Druck setzen und mich fragen, was ein Buch noch erfüllen muss, um als solches durchzugehen. Ein Buch mit einer Seite – ist das noch ein Buch? Ich habe mit den Konventionen gespielt, welche erfüllt werden müssen, sodass das Buch noch als solches erkannt wird, auch wenn es vielleicht keines ist.
Mich unter Druck setzen war auch eine Art Medizin gegen die künstlerische Blockade. Kunstschaffende haben die immer wieder, da sie nicht wissen, was sie heute tun sollen. Braucht es mich eigentlich und was mache ich jetzt? Das ist mein Neid den Musiker:innen gegenüber, die klassisch musizieren. Morgens wissen die, das ist mein Instrument, das ich seit neun Jahren spiele und ich weiss, was zu tun ist. Das wollte ich auch haben, ich wollte auch wissen, was zu tun ist.
Wenn du selber Bücher verlegst, geht es dir dann um das Objekt oder um den Inhalt, den du für eine grössere Öffentlichkeit bereitstellen möchtest?
Ich finde, ein Buch hat mit dem Publikum zu tun und mit dem Veröffentlichen. In meinem Fall lege ich mich auf etwas fest, das genauso arbiträr ist, wie wenn jemand sagt, ich bin Maler:in und dann glaubt man, dass man weiss, was die Person macht: Man stellt sich vor, dass sie Farbe auf einer Fläche verteilt. Aber mehr weiss man erst mal nicht, vielleicht ist es nicht einmal eine Fläche. Ich sage, ich mache Bücher. Dann ist natürlich klar, dass damit noch gar nicht gesagt ist, was für Bücher ich mache und für wen. Die Leute fragen mich: «Wie, was jetzt, bist du dann, schreibst du, oder…?»
Das Buch, das ist für mich die allerlogischste und einfachste Form, um Sachen unterzubringen. Jemand anderes würde ein Skizzenbuch nehmen und zeichnen, ich mache ein Buch. Einmal habe ich vor lauter Wut auf jemanden ein Buch gemacht. Das hiess «Was ich an dir nicht mag». Danach ging es mir besser.
Das Buch ist für mich ein geniales Medium. Es ist autonom. Es ist nur wasser- und feuerempfindlich, ansonsten kann es unendlich lang benutzt werden. Es ist vollständig und es ist da! Alles, was drin ist, um das muss ich mich nicht mehr kümmern, das hat einen Ort und ist abgeschlossen. Es ist ein Ort, an dem kann ich etwas aufbewahren, meine Gedanken festhalten und archivieren. Da kann eine kleine Idee einen eigenen Korpus bekommen, unabhängig vom Rest existieren und sich mit nichts anderem verbinden müssen. Der schönste Moment ist der, wenn ich sagen kann, das lasse ich drucken, das gebe ich zur Buchbinderin, oder das hefte ich einfach nur zusammen. In dem Moment habe ich es abgeschnitten von mir.
Den Begriff Vollständigkeit finde ich hier sehr spannend. Was mich dabei immer wieder beschäftigt, sind die Unterschiede zwischen dem digitalen und analogen Publizieren. Im Digitalen, so scheint es, kommt man nie an ein Ende, man könnte immer weiter gehen. Im Analogen ist es dann so schön dokumentiert.
Das Buch funktioniert dokumentarisch. Es braucht relativ wenig Platz im Verhältnis zur Sammlung oder zum Archiv von Werken in Museen. Das ist auch ein Grund, weswegen ich das Buch habe. Ich hasse materiellen Aufwand. Ich habe das nicht gern, wenn überall Styroporplatten sind und man so viele Ressourcen braucht und so vieles herumsteht. Genau das Gegenteil einer Bildhauerin, die ich ja eigentlich bin, offiziell! Ein Buch ist praktisch, es ist dokumentarisch super und das finden alle immer schön. Oh, ein Buch! Ich glaube, das Buch ist ein ganz schlauer Container, also wirklich ein superschlaues Objekt, eine superschlaue Erfindung. Jede:r weiss, wie es benutzt wird.
Wenn du von diesem Buch sprichst, wo du wütend warst, möchtest du dann, dass die Leser:innen diese Wut spüren?
Es geht nicht darum, dass ich sicherstellen will, dass meine Empfindungen rüberkommen. Es ist gar nicht nötig, daran zu denken, was die Leser:innen finden. Wir wissen, dass Wahrnehmungen so prismatisch und nuanciert sein können, dass ich gar nicht erst versuchen muss, mir vorzustellen, wie das beim Publikum rüberkommt. Lieber mache ich eine Äusserung so präzise, so, dass ich das Gefühl habe, genauer würde ich es nicht hinkriegen. Erst dann lasse ich es los und übergebe es dem Publikum. Ein Buch machen unterscheidet sich nicht wirklich von dem, was Musiker:innen machen, oder Filmschneider:innen. Man macht das, was man kann, so gut wie möglich. Nur die Art, wie das Werk dem Publikum vorgeführt wird, die unterscheidet sich.
Was mich manchmal grämt, sind die Arbeiten, die ein grösseres Publikum brauchen könnten, aber nur in kleiner Auflage existieren. Wenn ich weiss, das werden schlussendlich nur 40 Leute haben. Trotzdem ist es noch demokratischer als ein original gemaltes Bild, weil es vervielfältigbar ist. Das in Auflage produzierte Multiple, das viele Leute haben können, besitzen wenigstens einige und in manchen Fällen ganz viele. Das finde ich einen schönen Gedanken. Es ist ein Original, das trotzdem mehrfach existiert.
Ist das auch ein Grund, warum du das Buch als Form gewählt hast?
Die Frage, was bedeutet denn eigentlich Publizieren als Künstlerin, geht ja auch ins Politische. Was mache ich, wenn ich überhaupt irgendetwas produziere und in welchem Kontext erscheint das? Mich hat es noch nie gereizt in einem rein künstlerischen, bildnerischen Fine-Arts- oder Expertisen-Kontext meine Arbeiten zu zeigen. Mich interessiert, was mit dem Buch als Gebrauchsgegenstand passiert und was die Zugänglichkeit damit macht. Das demokratische Objekt Buch. Es gibt ganz wenige Orte, an denen es nicht funktioniert. Dadurch löst sich auch die Grenze auf zwischen den Orten, wo man Kunst erwartet.
Dazu kommt die künstlerische Äusserung, dass ich diese als Pflicht sehe und nicht nur sage, das Buch muss publiziert sein und eine Herausgeberschaft haben. Ich versuche einen Weg zu finden, die Leute zu erreichen. Auch das ist eine politische Frage: Warum bilden wir überhaupt Künstler:innen aus, wenn sie Luxusobjekte herstellen sollen, die nur wenigen zur Verfügung stehen? Oder gibt es vielleicht eine andere Aufgabe, die manche übernehmen können, die keine Objekte herstellen möchten, welche nur in einem bestimmten Segment der Gesellschaft landen? Oder gibt es eine Form von Pflicht zur Äusserung? Zu sagen, es gibt da auch Einmischung und Kommentar und Spiel?
Das Spiel ist beim Büchermachen am Allerwichtigsten. Es ist immer ein Spiel mit Medium, mit Inhalt, mit dem Publikum und mit meiner eigenen Wahrnehmung. Auch ein Spiel damit, dass eine publizierte Sache sehr riskant altern kann. Es kann auch sein, dass da Sachen dabei sind, die ich lieber aus dem Verkehr ziehen will. Aber sie sind immer noch da. Das ist nur gerecht, finde ich. Wenn wir uns äussern und wir diesen Austausch haben, dass all das unabhängig von meiner Macht weiter existiert. Auch Journalist:innen wissen, dass ein Artikel, den sie vor 10 Jahren veröffentlichen haben und jetzt lieber nicht mehr geschrieben hätten, dass der nun halt da ist. Er trägt zu diesem allgemeinen Rauschen bei, zu diesem endlosen Effort, uns verständigen zu wollen.
Da liegt dann eigentlich der Kern für mich: sich gegenseitig verstehen. Einander Sinn geben und sich versichern, dass es jemand versteht und dass es durchs Werk transportiert werden kann. Bei der Literatur ist das schon immer so gewesen: Das Buch als Camouflage für das Versprechen, dass da drin etwas ist, das dich berührt.
Wenn es wirklich darum geht, das Risiko einzugehen, sich zu offenbaren und wenn dann jemand da ist, der das erkennt, dann hat sich alle Mühe gelohnt. Aber das wissen wir ja nicht. Das weiss die Schriftstellerin nicht. Sie weiss nicht, wer sich über ihre Texte freut und von ihnen berührt ist. Da gibt es kein Feedback wie bei einem E-Book, das dir dann sagt, hier haben die Leser:innen länger verweilt und die Zeile angestrichen, sondern das bleibt wirklich das Moment der Leser:innen. Und das, finde ich, gibt ein schönes Vertrauensverhältnis.
Man gibt es also aus der Hand?
Es passt ja auch super in die Hand. Wenn ich unterrichte, mache ich «One Book a Course». Es gibt wirklich von jedem meiner Kurse ein Buch. Ich kann mit Musikstudierenden und Theaterleuten ohne Probleme ein Buch machen. Die Studierenden haben eine Vorstellung davon, wie ein Buch sein müsste. Da baue ich dann spielerisch drauf auf. Das kleinste Büchlein mit 16 Seiten entstand aus einer Vorlesung, die zwei Stunden gedauert hat. Der Inhalt dieses Büchleins ist nicht die transkribierte Vorlesung, sondern jeweils eine Frage aller Teilnehmenden.
Bei anderen Kursen gibt es viel mehr Stoff und viel mehr Austausch. Dann wird das «Course-Buch» eine Art «Reader». Tatsächlich geht es mir aber darum, den Leuten zu beweisen, dass es einen Unterschied macht, wenn sie mit der Post ein Buch bekommen, das sich blättern lässt und indem sie ihren eigenen Namen geschrieben sehen, als wenn sie «nur» beim Kurs anwesend waren. Schlussendlich geht es auch darum, Hemmungen zu überwinden, zu lernen, dass ein Buch nicht ganz so heilig ist. Es kann natürlich wahnsinnig sakral werden, aber die Ehrfurcht vor dem Buch ist nicht unbedingt nützlich, um es herzustellen.
Die «One Book a Course» müssen schnell passieren. Da sind zehn, fünfzehn Personen daran beteiligt. Das muss gemacht werden, solange es noch warm ist. Das sind ja keine Künstlerbücher, das sind Protokolle oder Gefässe, in die Sachen kommen, die man nicht vergessen will. Da sind auch Referenzen drin oder kollaborative Spiele. Aber es muss schnell gehen. Je schneller, desto besser. Wenn es fertig ist, dann macht es ja erst mal gar nichts, dieses Buch, das hockt da auch nur mal so rum.
Ist es auch ein Beweisstück, dass man etwas gemacht hat?
Was ich so alles an Büchern gemacht habe, sind 1.5 Meter im Regal. Sieht sicher wahnsinnig toll aus, aber es ist ja nichts. Also im Vergleich zu wirklich richtig produktiven Leuten. Das reicht grad so zu wissen, dass ich etwas gemacht habe.
Bücher, das sind Bildräume, Zeitsequenzen und Schnitte. Das Buch hat eine Reihenfolge, aber wir Leser:innen können immer selber entscheiden, wie lange wir verweilen wollen, ob wir vorwärts oder rückwärts gehen wollen, wo wir beginnen, wann wir es weglegen. Wir haben eine Riesenautonomie, auch in der Benutzung.
Das Buch ist ein Raum, wo ganz viele tertiäre Orte auf ganz engen Raum zusammengedrückt werden und ganz wenig Platz brauchen. Und jede Doppelseite hat wieder genau so viel Platz wie die davor und diese dünnen, dünnen Blätter schaffen es, Räume und Zeitabläufe zu fassen. Dass das Buch aus seiner Funktion geraten kann, das glaube ich nicht. Das Buch kann ja nicht weniger werden, höchstens mehr.
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