Es beginnt mit Hagel. Ganz bizarr, ein von hässigem Donner begleiteter Februarabend. Wir fahren los, weil wir und unsere Haglöfs wissen, der Weg lohnt sich. Herzlicher Empfang im Zollyphon – Konzertlokal, Bar und Proberaum in Zollikofen, wie der Name sagt. Agglo. Oder schon Provinz?
Ich bin schüchtern und feinfühlig unterwegs heute. Alles geht unter die Haut. Und ich merke, hier ist meine Gemütslage gut aufgehoben. Eine Zigarette mit finsterem Ausblick auf die Felder und ich erinnere mich an das sommerliche Grabenfest, das auch hier über die Bühne ging. Wir steigen in den Keller hinab, wo mir vor sechs Monaten die dicke Luft und der pulsierende Techno entgegenströmte. Heute rollt sich uns Akku Quintett aus. Die Musiker:innen dieser preisgekrönten Berner Jazzgruppe lassen sich Zeit und die kann man sich hier nehmen. Breit und klar füllen sie den Raum aus und lassen das Licht mal dicht und dann wieder leicht werden. Hier wartet keine zweite Verabredung und kein Weiterziehen. Zum Zollyphon hinzufahren ist eine Entscheidung. Ein ausfüllendes Programm, ein kulturelles micro adventure. Nach kurzem Schwätzen hie und da fahren wir mit den Velos zurück in die Stadt. Auf der Strecke Felsenau-Reitschule lässt es sich ganz gut revue passieren lassen. Ein Tunnel ohne Dach, in der Zeit und Raum zu verschwimmen scheinen, ehe wir uns wieder in Bern wiederfinden.
Was ist das für ein Ort, Zollyphon?
Ich fahre noch einmal hinaus, wieder durch den Tunnel und treffe beim alten Graben – so heisst dieser Ort hier wirklich – Nicolai Wenger zu einem Bier. Stadt-Land Graben? – schiesst es mir durch den Kopf. Als ich ankomme, klingt es laut aus dem Keller empor. Eine Mitbewohnerin lernt gerade Schlagzeug spielen. Nicolai lässt mich in die Stube eintreten. Ein von Holztäfer umrahmter Raum mit Eckbank, Glasvitrine und einer zu platzen drohender Bibliothek. Der Doppelgewölbekeller, in dem die Konzerte stattfinden, liegt unter uns.
Nicolai ist das Gesicht von Zollyphon und verantwortet das Booking. Mit 14 Erwachsenen und einem Kind lebt er seit drei Jahren in diesem 400 Jahre alten Gasthof. Das Haus steht an einem ehemaligen Knotenpunkt zwischen Biel und Bern. Auf der Durchreise wurden damals die Pferde ausgewechselt und für Wurst mit Brot eingekehrt. Ab Ende der 1990er Jahre lebte hier ein Künstlerpaar. Wo früher Geräuchertes, Wein und Obst lagerte, entstanden von nun an Ausstellungen und Konzerte im Doppelgewölbekeller. Bei der ersten Besichtigung war schon damals klar, dass dort unten Konzerte stattfinden sollen, erzählt Nicolai. Eine halbe Bühne stand schon da und mit den Erfahrungen und dem Netzwerk vom Festival Boui Boui, der Soulstage auf der Schütz und der Orangerie in Münsingen schien es ein Leichtes, diesen Ort zu bespielen.
Seit drei Jahren nun bringt Nicolai Musiker:innen nach Zollikofen, von denen er die meisten schon länger kennt. Er lädt Menschen ein, von denen er weiss, dass sie viel Liebe in ihre Projekte gesteckt haben. «Ich frage die Leute immer, was sie gerne spielen würden und worauf sie am meisten Lust haben. Wir wollen Herzensprojekten und den Wünschen von Musiker:innen eine Bühne geben.» Besonders Freude machen neue Kombinationen und Experimente mit Unkonventionellem, die auch für Nicolai selbst eine Entdeckung sind. Zum Beispiel die Band Fumagalli um Benedikt Reising. «Anfangs dachte ich, mir würde etwas fehlen. Aber sie haben es hingekriegt, nur mit Posaune, Saxophon und Bass, eine unglaubliche Fülle an Sounds zu kreieren. Es war ein wunderschönes Konzert.»
Aber warum ausgerechnet dieser Ort, Zollikofen? «Bewusst irgendwo hinfahren. Es ist, wie wenn man eine Vinyl-Platte in die Finger nimmt anstatt Spotify zu hören. Ich finde es schön, wenn es einen Prozess gibt zu der Sache hin, die man eigentlich will.» Und weiter: «Die Stadt Bern hat bereits ein volles Kulturprogramm und wir wollten einen Ort zum Bleiben», sagt Nicolai. Nicht wie bei einem Festival, immer auf- und dann gleich wieder abbauen müssen. Eine feste Oase in der Agglomeration, wo Neues entstehen kann. Konzerte im Zollyphon ziehen Menschen von Bern und von Zollikofen gleichermassen an. Eine Brücke schlagen? «Ja, das wäre natürlich sehr schön, wenn es uns gelingt.»
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