Ich fühle mich groggy. Wir mussten um drei Uhr morgens aufstehen, um den Flug zu erreichen. Und wir sind noch jetlagged, alles ist ein bisschen verwirrend, doch so ist es halt, wenn man als Musikerin auf Tour ist.
Es ist die erste Tour seit Covid, ich bin jetzt dran, die Songs wieder ein wenig aufzufrischen, und wieder mit dem Publikum zu interagieren. Alles wärmt sich wieder auf, dazu kommt das Reisen, aber das alles geschieht: in a good way.
Meine Eltern waren Musiker:innen, sie waren «strictly classical», die Familie also sehr musikalisch. Als 6-Jährige nahm ich Klavierstunden, ich wurde Teil der Highschool Band, ich spielte Flöte in der Band und weiterhin Klavier im College. Dann folgte der Dropout und ich schloss mich den Hippies an.
Ich wuchs in einem sehr kleinen Ort in Colorado auf, ging immer mit denselben Kindern zur Schule, vom Kindergarten bis zur High School. Und plötzlich fand ich mich in San Francisco wieder. Ich war «all over my head», zur Zeit, als die psychedelische Bewegung blühte. Doch es wütete auch der Vietnam-Krieg, so viele meiner männlichen Kollegen wurden für den Krieg rekrutiert und wurden gezwungen, Bauern auf der anderen Seite des Planeten zu töten. Das machte schlicht keinen Sinn – doch wir waren in der Minderheit, in der Opposition. Allein schon der nicht hinterfragte Slogan: «We support our troops»… So fand ich mich auf der anderen Seite des Spektrums, und ich wusste nicht, wie ich mich ausdrücken sollte.
Ich konnte mich an nichts klammern, ausser an meinen Überzeugungen und Vorstellungen. Kurz gesagt: Ich musste auf meine musikalischen Talente setzen, um zu überleben. Denn ich wollte nicht Teil des industriellen Komplexes werden, und eben nicht das machen, was «working for the man» bedeutet.
Also bewegte ich mich durch die Stadt als Hitchhikerin, und einmal nahm mich mein zukünftiger Ehemann Joel mit. So trafen wir uns und er nahm mich unter seine Fittiche. Er stammte aus einem Vorort Chicagos, war mit dem Leben in einer Stadt vertrauter und sozial geübter als ich. Damals experimentierte ich auch mit psychedelischen Stoffen, folgte Timothy Learys Vorschlag «Turn on, tune in, drop out». Dieses Experimentieren erweiterte zwar mein Bewusstsein, doch es liess mich auch psychologisch taumeln und löste bei mir eine posttraumatische Belastungsstörung aus. Joel bezeichnete mich als Zombie, denn ich konnte fast nicht sprechen. Ich war nur betäubt, wie von Sinnen. Also sprach er für mich, umsorgte mich, wahrscheinlich rettete er mein Leben, denn das Leben als Hitchhikerin konnte schon damals sehr gefährlich sein. Er war wirklich mein Mentor – und ermutigte mich, meine musikalischen Abenteuer auf der Strasse zu starten.
Als ich begonnen habe, auf der Strasse zu spielen, übertrug ich meine Klavierkenntnisse auf das Spiel mit einem ramponierten Akkordeon. Ich musste dann gezwungenermassen auf ein Casio wechseln – das war das erste elektronische Piano auf dem Markt, jedenfalls in den USA, es war eine brandneue und wegweisende Technologie. Der Grund, weshalb ich diesen weiten Sprung gemacht habe? Nun, ein verrückter Besoffener zerstörte mein Akkordeon, er nahm es und warf es gegen eine Mauer einer U-Bahn-Station, das Instrument zersplitterte in kleinste Teile. Diese zu ersetzen, war keine Option, denn Akkordeons sind sehr teuer. Und so fand ich zum Casio. Niemand anderes hat so ein Instrument zuvor je gesehen, und sofort zog ich die Aufmerksamkeit von Passanten auf mich.
Sobald ich mit dem Helm gespielt habe, stoppte ich die Menschen in ihrem Trott, ihrem Alltag, es war einzigartig, was ich machte. Ich wusste ja nicht, was ich genau machen sollte, und das beste, was ich tun konnte, war, Interpretationen von Songs zu spielen, die sehr einfach waren und immer noch dem Original entsprachen.
Ich mühte mich ab beim Lernen des Keyboards, suchte nach dem richtigen Tritt. Doch langsam, aber sicher, Song für Song, fand ich diesen. Die Beatles-Songs retteten mich, denn sie waren wiedererkennbar und viele von diesen Melodien waren auch einfach zu spielen. Das war der Übergang, meine Transition in die elektronische Musik.
Diese Herangehensweise geschah aus Notwendigkeit, ich bin keine komplexe Person, und die Leute mochten es. Es stoppten zwar keine Menschenmengen, die waren Jahre später bei den Breakdancer, die ein Riesending waren – ich war so eifersüchtig auf sie. Aber einige Personen hielten an, legten Münzen in meine Box.
Ich spielte an Touristenorten wie Fisherman’s Wharf, ich mühte mich ab, es war schrecklich, ich fühlte mich so alleine. Die meisten, die mit mir sprachen, mir zuhörten, hatten in ihrem Englisch einen europäischen Akzent. Es waren also nicht die Amerikaner:innen, die mich verstanden haben, es waren die anderen Reisenden – US-Tourist:innen spielten überhaupt keine Rolle. Aber dann erhielt ich den heissen Tipp von einem Taxi-Fahrer, der mich fragte: «Wieso spielst du nicht in den Schwulenvierteln wie im The Castro anstelle der Touristenorte?»
Das war eine Offenbarung, und es half mir auch, finanziell über die Runden zu kommen. Die Gay-Community war so unterstützend und hilfsbereit und sie verstand die Natur meines Daseins am Rand, meines Daseins als Outsiderin. Die Bezeichnung «Outsider Musiker:in» hörte ich erst viel später, ich fühlte mich eher als Outcast, als Ausgestossene zu dieser Zeit, und in der Gay-Nachbarschaft fühlte ich mich zuhause. Und so spielte ich oft dort. Aber ich musste auch aufpassen, diese Gastfreundschaft nicht auszunutzen. Vor allem die Ladeninhaber und Händlerinnen mochten es nicht sonderlich, meine Musik immer und immer wieder zu hören. Also zog ich von Ort zu Ort. Hauptsache aber war, dass ich nicht mehr in den Touristenvierteln war. Langsam, aber sicher, wurde ich bekannt, zumindest in San Francisco.
Joel war Gitarrist, war aber auch in der Krise, denn er hatte Angst, in der Öffentlichkeit gesehen zu werden – er widersetzte sich der Rekrutierung nach Vietnam. Wir versuchten, nach Kanada zu ziehen, doch wir wurden an der Grenze abgewiesen. Also versuchten wir, unter dem Radar zu fliegen. Ich wurde wie sein Interface für das Publikum. Er wählte einige Songs für mich aus und er schrieb die Songs «Synthesize Me» und «Humdinger». Er schenkte mir auch seinen Helm, schmückte das Keyboard mit funkelnden Lichtern, ich hatte einen blinkenden Ring. Und er prägte meinen Sound, das gebe ich ihm die Credits. Er war Rockmusiker, er hatte ein paar Gitarrenpedale. So jagte er mein Keyboard durch einen Phaseshifter – dieser veränderte den Ton – und meine Stimme durch ein Delay-Pedal. Mein Sound wurde dadurch ätherischer und spaciger.
Natürlich schrieb ich auch meine eigenen Songs, und wählte Songs aus. Und so war die Space Lady in gewisser Weise ein gemeinsamer, kollaborativer Effort.
Den Namen Space Lady hatten wir nicht selber gefunden, dieser stammt von den Passant:innen. Bei diesem Namen hat wohl auch der Helm mit seinen Flügeln eine Rolle gespielt, aber auch die Songauswahl war sicher mitentscheidend – dank Titeln wie «Major Tom», «Ghost Riders in the Sky» oder «Radar Love». Viele glückliche Zufälle führten also zur Space Lady, und ich wundere mich manchmal über all die Sachen, die die Leute in meiner Musik hören, obwohl ich sie gar nicht bewusst entwickelt habe.
Ja, es war ein glücklicher Zufall.
Bevor ich zum ersten Mal die Möglichkeit hatte, mein Instrument an eine grosse Anlage anzuschliessen, hatte ich keine Ahnung, dass ich so viel Power in meinen Fingerspitzen habe. Oh my gosh. Auf der Strasse hatte ich nur zwei kleine Verstärker, einen für meine Stimme und einen für das Casio. Es war hart, sich gegen den Verkehrslärm durchzusetzen, die Menschen hörten Musik mit ihren Walkmans, ich musste nur Spass für mich selber haben, und die Menschen gaben etwas zurück.
Man braucht eine dicke Haut, auf der Strasse zu spielen, man ist so verletzlich. Aber die Menschen sagen mir: das braucht so viel Mut, auf der Strasse zu spielen, doch für mich braucht es viel mehr Mut, auf einer Bühne im Spotlight zu stehen, mit einem Publikum, das sich nicht fortbewegt. Das wollte ich eigentlich nie. Ich mochte es ja, dass ich gar nicht das grosse Publikum anlockte, nur Passant:innen, die kamen und gingen, ich konnte so viele Fehler machen, wie ich wollte, oder einen neuen Song auszuprobieren, ein neues Arrangement zu machen. In den USA sagen wir dem Proben «woodshedding», denn du wirst zum Üben zurückgeschickt in die Holzhütte, wo du niemanden störst. Ich machte all diese Woodshed-Arbeit in der Öffentlichkeit, in der U-Bahn.
Joel und ich zogen drei Kinder auf. Unsere Ehe war dysfunktional, gelinde gesagt, selbst wenn wir es über 30 Jahre lang zusammen ausgehalten haben. Das Signal zum Aufbruch war für mich, als meine Eltern Hilfe brauchten, da sie alt geworden sind. Sie lebten noch immer in Colorado, und ich nahm meine jüngste Tochter mit, zog zurück, die anderen Kinder wuchsen selber auf. Nach meiner Rückkehr ging ich zurück ans College, machte einen Abschluss als Pflegerin, das war 2001.
Der Fall der Twin Towers und das Trauma der Katastrophe haben mich aufgerüttelt. Ich merkte: «Ich wüsste nicht, was zu tun ist, wenn irgendwer in einen Notfall gerät.» Pflegepersonal wurde benötigt, und so dachte ich mir, vielleicht passe ich da rein und es ist etwas, das mir Halt gibt. Und ich könnte von dem leben, und einen «richtigen Job» machen, wie die Leute es mir immer sagten. Also wurde ich Pflegerin. Das gab mir die Möglichkeit, ein Haus zu kaufen, und meinem Kind und mir eine Stabilität zu geben. Und auch meine Eltern glücklich zu machen, denn ich hatte nun ein «seriöses» Berufsleben.
Das Spielen habe ich in dieser Zeit überhaupt nicht vermisst. Ich hatte keine guten Erinnerungen und ein trauriges Bild von jener Zeit als Musikerin. Ich fühlte mich enorm unverantwortlich, drei Kinder so aufgezogen zu haben.
Unsere Kinder waren nicht registriert, denn wir hatten derartige Angst vor der Regierung. Sie hatten keine Geburtsscheine, sie gingen nicht in die Schule, sie flogen wie wir unter dem Radar. Und das zerschnitt dann auch das Band zwischen mir und Joel. Joel wurde zwar als Dienstverweigerer rehabilitiert von Jimmy Carter. Doch bis dahin war Joel so verängstigt, er fand nicht mehr zurück, und insistierte darauf, klandestin weiterzuleben, was auch ungesund für die Kinder war.
Ihre Bildung war nicht adäquat für sie. Joel hatte keine Interessen in Mathematik oder Naturwissenschaften, er schulte sie vor allem in Geschichte, Kunst und auch Spiritualität. Es war sicherlich keine passende Bildung für sie, das wusste ich. Und als sie Teenagers wurden, waren sie auch sehr rebellisch und isoliert. Sie und ich wurden ein Team, versuchten uns zu befreien von Joels Dominanz, die schon fast eine Tyrannei war.
Als wir unsere Kinder grosszogen, sah der Tag so aus, dass wir zuerst durch die Thrift Stores zogen, weil er war ein Audiophiler, ein Plattensammler, er konnte nicht genug kriegen von Platten, und das half auch mir als Strassenmusikerin, denn er fand auf diese Art wunderbare Künstler:innen und Songs, er hatte ein solch grosses Wissen. Er war unersättlich, und er gab mir die schönsten Songs, die er gefunden hat, weiter. Als er die Thrift Stores durchkämmte, machte ich die Kinder bereit, es war wie eine Schatzjagd, die zur Sucht wurde, wir konnten nicht aufhören, und wir gaben so viel Geld für das aus. Am Mittag war es für mich an der Zeit, auf die Strassen zu gehen, und das Geld, das wir für Musik ausgegeben haben, wieder zu verdienen. Das war sehr ungesund, wir lebten wortwörtlich von der Hand im Mund, wir gaben das Geld so schnell aus, wie ich es verdient habe. Und wir mussten unser kleines Schiff irgendwie über Wasser halten…
Das war ein Zyklus, der über Jahre so dauerte. Und dieser Kreis nahm kein gutes Ende, wir wurden immer wieder obdachlos, San Francisco war schon damals sehr teuer, manchmal konnten wir bei Freunden wohnen, zahlten Mini-Mieten, lebten in besetzten Häusern, in unserem Auto, campierten im Golden Gate Park als Familie mit drei Kindern. Ihr merkt nun, warum es mir augenscheinlich wurde, dass dies kein gesunder Lebensstil war.
Es war einfach nicht tragfähig, so zu leben in der echten Welt. Wir lebten viel zu idealistisch. Und es macht mich traurig, das zu sagen, denn Idealismus ist so wichtig, es ist unser Polarstern, ist das, was uns führt – bis ich merkte, wie das auf meine Kinder gewirkt hat.
Wir glaubten, dass wir mit diesem Leben unseren Idealen entsprechen. Wir glaubten, dass wir speziell wären. Wir haben keine Jobs, wir folgen unseren Rufen, aber wegen den Kindern wurde ich mir mehr und mehr bewusst, dass dies eine Sucht war. Wir machten aber über Jahre so weiter.
Das war nun ein Umweg, doch Ihr wisst, was ich damit sagen will. Jedenfalls: Meine Musik entwickelte sich bis zu einem Punkt, an dem ich meinem Polarstern nicht mehr folgen konnte und ich musste einen Weg zurück in die Gesellschaft finden. Meine Kinder waren so eifrig und hungrig, wollten unbedingt an einen Ort hingehören. Sie waren es schliesslich, die mir den Weg zeigten, der zur Trennung von Joel führte. Es war herzzerreissend, und doch: ich spürte, dass diese Trennung notwendig war. Denn, nach 30 Jahren Unterstützung für Joel, auch finanzieller Art, war es nun an der Zeit, für meine Eltern da zu sein.
Die Space Lady war Geschichte, und ich konnte es fast nicht ertragen, ohne Scham zurückzublicken. Denn meine Musik hatte einen hohen Preis.
Bevor ich ins Feld der Pflege eingetaucht bin, lernte ich einen Soundtechniker kennen, der meine Kassetten digitalisierte. Ich verkaufte die Tapes in den Jahren als Strassenmusikerin. Diese digitalen Versionen drehten dann ganz eigene Runden, sie wurden gespielt, hin und her gereicht, und reisten um die Welt. Eine solche Kassette fiel in die Hände von Irwin Chusid, einem DJ aus New Jersey, er hat den Begriff Outsider Music geprägt. Er schrieb mir ein E-Mail und fragte mich um die Erlaubnis, einen meiner Songs für eine Compilation benützen zu dürfen. Und so reiste einer meiner Songs um die Welt, überbrückte Zeit und Raum, und so fand meine Musik in den weltweiten Markt. Der Song auf dem Sampler war mein Cover von «Too Much to Dream» von den Electric Prunes, so öffneten sich die Türen für mich.
Auf dieser Compilation sind alle wirklich weird, und verschieden. Aber wir folgten unserem Weg, machten weiter, denn glaubt mir, es gab viele Jahre, in denen ich kaum Support erhalten habe, ich musste mir selber genügen. Es braucht Integrität.
Erst als ich merkte, wie wichtig meine Musik für andere Menschen war, die eine neue Bedeutung in den Songs fanden, gab mir das die Daseinsberechtigung als Musikerin. Denn ich liebe es, dass andere Leute meine Musik lieben. Ich mochte, was ich gemacht habe. Aber ich war auch so limitiert, mit meinem Instrument, mit meinem Sound. Alles, was ich machen konnte, war: festhalten am Glauben, dass da etwas ist. «Keep it simple» war mein Mantra, wie immer das sich entwickelt. Und auch: «Keep it true to the original song, and not try to imitate or emulate.»
Nun, da ich meine Musik durch die Augen meiner neuen Fans sehe, erhält sie die Bedeutung, die Berechtigung zurück. Joel hat das nicht mehr erlebt, es war ja auch seine Arbeit. Und als meine Kinder, jetzt als Erwachsene, gesehen haben, wie meine Musik wirkt, welchen Einfluss sie auf meine Fans hat, sahen auch sie einen Wert in meiner Musik. Ich hielt sie also nicht nur am Leben. Sondern auch das, was ich künstlerisch gemacht habe, hatte einen Sinn. Und sie sind nun sehr glücklich für mich. The Space Lady nahm neue Bedeutung an, für alle von uns.
Wenn es eine Quintessenz aus meiner Geschichte gibt, dann ist es dies: Ausdauer, Hartnäckigkeit und Durchhalten sind das Wichtigste. Denn das, was ich mache oder gemacht habe, ist auf keine Offenbarung und kein spezielles Talent zurückzuführen. Ich hielt einfach durch – und gab nie auf. Meine Fans geben mir nun die Energie zurück, die ich über all die Jahre gegeben habe. Es ist fast wie eine Pflanze, die nun gereift ist. Ausdauer, Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen, dies ist mein Rat.
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