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«Eigentlich ist es recht schlimm,
wenn du immer
ernstgenommen wirst»

Fiona Schreier

Das Tolle am Theater ist ja, dass du da sitzt und obwohl du weisst, dass du da sitzt – vor einer Bühne in einem Theater, umgeben von anderen Zuschauer:innen – wird dir eine andere Welt erzählt und du gehst einfach mit, immer wieder. Da braucht es keine Drehbühne und keine riesige Maschinerie. Wenn da die Parameter stimmen, kann jemand behaupten, dass eine Hose ein Baum ist und dann ist diese Hose der Baum und es ist völlig egal, dass es eigentlich eine Hose ist. Und gerade wenn für ein Projekt wenig Geld zur Verfügung steht, musst du pragmatische Entscheidungen treffen und einfache Lösungen suchen. Genau diese zeigen dann, was das Medium Theater alles kann.

Theater müsste eigentlich gar nicht so elitär daherkommen, wie es das immer tut. Weil eben, ein Theaterstück kann so klein sein und mit minimalen Mitteln realisiert worden sein und trotzdem eine sehr grosse Wirkung haben.

Gleichzeitig haben Zuschauer:innen immer die Möglichkeit abzudriften oder sich auf etwas zu fokussieren, das gar nicht im Zentrum stehen soll. Theater bietet die Freiheit des Blicks. Jede Person erlebt ihr persönliches Ding, wenn sie im Theater ist.

Das finde ich auch das Schöne am Einsatz von Popsongs: Popmusik ist so allgegenwärtig in unseren Leben und oft verknüpfen wir mit einem Song persönliche Erfahrungen. Erklingt ein bekannter Song in einem Theaterstück, löst das bei jeder Person im Raum etwas völlig anderes aus. So machen alle eine ganz eigene Erfahrung.

Oft werde ich gefragt: «Was ist denn nun die Aussage von diesem Stück?» Und genau das ist das Spannende. Das ist ja eben offen! Ich kann das für niemand anderen entscheiden. Ein Theaterstück ist ein Angebot und du kannst und darfst für dich herausfinden, was es für dich bedeutet.

...

Vor allem in den Proben gibt es immer wieder Momente, die magic sind, wo alle im Raum spüren, dass es stimmt, dass es «richtig» ist. Irgendwas fängt an zu schweben, es passiert was, das niemand hätte kontrollieren oder voraussehen können. Manchmal ist ja alles ein Riesenknorz… Aber dann passiert sowas und ich bin wieder voll drin.

Im geschützten Rahmen der Probe entstehen diese kollektiven Momente, die sich niemand allein hätte ausdenken können und die nur entstehen können, wenn man zusammen herumprobiert und sich kollektiv an einer Sache abarbeitet. Da denke ich oft: Wenn man diesen Prozess öffnen und diese Momente zeigen könnte und so mehr Menschen das erleben und diese Erfahrungen machen könnten – das wäre so toll. Weil sie dann viel besser verstehen würden, was Theater alles kann.

Bei Aufführungen ist es ja oft nur der Versuch eines Re-Enactments von einer Sache, die in den Proben einmal alle aus den Socken gehauen hat – und manchmal gelingt es und manchmal eben nicht! Oder es entsteht etwas anderes. Das finde ich einfach so geil am Theater. Dass es so ephemer ist und du immer wieder realisierst, dass es diesen einen Moment nie mehr wieder geben kann. Es gibt ihn nur genau jetzt genau hier mit genau diesen Menschen in diesem Raum und er ist nicht wiederholbar.

...

Die Erarbeitung braucht immer viel Zeit und meistens lohnt sich eine langfristige Zusammenarbeit. Mit dem Kollektiv goldtiger versuchen wir zum Beispiel mit viel Engagement von allen weiter zusammenzuarbeiten. Es ist wertvoll, wenn man sich so gut kennt und wenn bei allen der Wille da ist, zusammen weiterzumachen. Wir haben dazu jeden Monat einen Jour Fixe, an dem wir uns treffen. Aber natürlich ist es schwierig, ein Thema oder Vorhaben zu finden, zu dem alle Ja sagen können. Wir finden uns gegenseitig ja super und wir hängen gerne zusammen ab, aber oft sind die Treffen im ersten Moment dann nicht sehr produktiv. Weil wir haben dann zu viele Ideen, denen wir nachgehen und dann noch das und das und das, und dann wird es einfach zu wild und lässt sich kaum noch kanalisieren.

Wir von goldtiger arbeiten auch in anderen Konstellationen zusammen: Mikki Levy-Strasser hat zum Beispiel Bühnenbild und Ausstattung von «Bilder deiner grossen Liebe» gemacht. Oder Mikki und Domi arbeiten gerade zusammen an einem Projekt zum Thema Jugendsuizid, das am 21. Oktober Premiere im Alten Krematorium Sihlfeld hat.

Ein Kollektiv zu werden, war für keine:n von uns ein lange gehegter Wunsch. Beim Stück «Das grosse Fragen» war es vor allem dieses Gerät, das Episkop, das uns alle so fasziniert hat. Damit wollten wir einfach etwas machen. Und obwohl wir für das Stück alle auf der Bühne stehen, ist niemand von uns Schauspieler:in. Wir sind zwei Theaterpädagog:innen, eine Dramaturgin, ein Bühnenbildner. Bis zur Premiere arbeiteten wir über zwei Jahre mit Unterbrechungen an dem Stück.

Eigentlich fing es mit goldtiger so an, dass ich mich mit Theresa zum Kaffee traf und sie fand: «Hey komm, wir geben ein Stück bei dieser Ausschreibung für Kindertheater ein». Danach gingen wir spontan in einen Buchladen, fanden ein Kinderbuch und sagten: «Okay, wir machen etwas zu diesem Kinderbuch». Direkt im Anschluss trafen wir einen Freund auf der Strasse, erzählten ihm davon und fragten ihn, ob er Lust hat, die Bühne zu machen. Und so ging es weiter…

Wir reichten dann ein Konzept bei der Ausschreibung ein, wurden eingeladen und mussten dann wirklich etwas produzieren für den Wettbewerb in Wien! Klar, wir waren immer dran und haben das Ganze sehr ernst genommen. Aber niemand von uns dachte so was wie: «Wooah was wir machen ist ja mega revolutionär». Anscheinend war aber die Art, wie wir mit goldtiger Theater machen, in diesem Moment interessant.

Wir fuhren nach Wien, kamen immer weiter im Wettbewerb, wurden im Anschluss daran zu einer Art Inkubator für Kindertheater im Fabriktheater eingeladen, und dann bot die Leitung des Theater Stadelhofen uns eine Koproduktion an. Und obwohl wir den Wettbewerb im Dschungel Wien nicht gewonnen hatten, wollten auch sie eine Koproduktion mit uns. Dazwischen war noch der zweite Platz bei Premio, wo zum ersten Mal ein Kollektiv mit einem Kindertheaterstück prämiert wurde, danach kam Jungspund etc. Mittlerweile hatte das Stück etwa 22 Aufführungen über zwei Jahre verteilt, an recht vielen verschiedenen Orten. Und wir hoffen, dass wir es im Sommer noch einmal spielen dürfen, an einem Festival in Stuttgart.

...

Die Arbeit im Kollektiv ist herausfordernd. Das kenne ich aus verschiedenen Zusammenarbeiten. Schlussendlich hast du ja dann für gewisse Dinge doch mehr Verantwortung als andere Personen im Kollektiv. Diese Verantwortungsbereiche braucht es auch. Wenn nämlich alles im Kollektiv entschieden und verantwortet wird, kann es schwammig werden: zu sehr versucht man dann, allen und allem gerecht zu werden. Entscheidungen werden kaum noch gefällt. So ist meine Erfahrung.

Die Verantwortungsbereiche ergeben sich zu Beginn meistens organisch. Das kommt auch oft aus Interessen oder aus einer Lust heraus. Wirklich schwierig ist das Loslassen. Also, dass man gewisse Dinge nicht loslassen kann, dass man an seiner Idee festhalten will. Das muss man irgendwie lernen. Ich glaube, ich kann das recht gut. Für mich ist das zentral im Theater, das Loslassen-Können, weil es ja etwas ist, dass man zusammen macht. In solchen kollektiven Prozessen ist es irgendwann nicht mehr wichtig, wer jetzt ursprünglich die Idee hatte. Oder dass eine Person eine Szene spielt, die zuerst eine andere improvisiert hat. Manchmal funktioniert dieses Abgeben gut und manchmal hängt jemand an irgendwas und hat das Gefühl: «Ah Mann, das entspricht nicht mehr dem, was ich eigentlich damit wollte».

Da hilft es, wenn man irgendwann eine Person von aussen beizieht, die sagt: «Ich entscheide das jetzt.» Als bei «Das grosse Fragen» klar wurde, dass wirklich ein Stück aus diesem Projekt wird, haben wir jemanden engagiert für die End-Regie. Uns war klar, dass wir das brauchen, wenn wir alle selber auf der Bühne stehen. Natürlich haben wir erst ohne externe Person ausprobiert und geschaut: geht das? Kann jemand von uns die anderen anleiten? Was passiert dann? Da stellte sich heraus, dass wir jemanden brauchen, die:der von aussen schaut und mitdenkt.

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Aber manchmal bin auch ich die, die sagt: «Nein, es muss jetzt genau so sein.» Zum Beispiel bei «Bilder deiner grossen Liebe» war das erklärte Ziel, dass die beiden Figuren und ihr:e Spieler:innen im Stück immer mehr miteinander verschwimmen. Genau das passiert im Text ja zwischen der Hauptfigur Isa und der Person Wolfgang Herrndorf. Das haben wir versucht erlebbar zu machen. Wir suchten nach Übersetzungen dafür – wie können die beiden Spieler:innen und ihre Figuren zusammen erzählen, ohne dass man sich beim Zuschauen die ganze Zeit fragt: «Wer ist das, wer spricht jetzt?»

Wichtig war dabei immer, wie es sich für die beiden Spieler:innen anfühlte. Das Verschwimmen musste sich auch für sie natürlich und organisch entwickeln. Es war ganz toll, wie alle immer wieder loslassen und Darlings gehen lassen konnten. Das muss aber immer von Szene zu Stelle individuell ausgehandelt werden. Priorität hat für mich immer, dass niemand auf der Bühne etwas machen muss, das er oder sie nicht will, nur weil die Regisseurin trotz allem Gegenwind darauf beharrt hat.

...

In der Erarbeitung von «Das grosse Fragen» luden wir wiederholt Kinder zu Workshops ein, die von einer Theaterpädagogin begleitet wurden. Dabei stand immer das Material im Fokus: das Episkop oder der Synthesizer, der im Stück vorkommt. So fanden wir heraus, welche Fragen für die Kinder und für uns spannend sind und welche nicht. Das war teilweise sehr cool, weil wir oft dachten: «Okay, das ist jetzt wohl der grösste Scheiss, den wir je gemacht haben» und die Kinder fanden es total geil. Oder wir fanden: «Yeah, das war mega cool» und die Kinder fanden es nur lame. Das ist super, weil Kinder oft so direkt sind. Du merkst gleich, ob sie mit einer Antwort zufrieden sind.

Kritisch gespiegelt zu werden ist immer wichtig. Darum arbeite ich so gerne mit jungen Menschen. Da habe ich das Gefühl, ich kann wirklich viel lernen. Weil ich mich immer neu hinterfragen muss. Gewisse Skills habe ich mir ja erarbeitet und da weiss ich, ja, das kann man machen, das funktioniert und das funktioniert. Aber junge Menschen schauen manchmal so anders auf die Welt oder so frisch, das ist wertvoll. Da merke ich dann, dass ich mir gewisse Dinge gar nie so überlegt habe und das bringt mich jedes Mal weiter.

Manchmal helfen diese Erfahrungen auch bei der Arbeit mit erwachsenen Profis. Da stellen sich Probleme oft auf einer sehr persönlichen Ebene. Abstrahieren ist dann schwierig und du musst dich schützen oder auch rechtfertigen können, damit du ernstgenommen wirst. Wobei, ich habe das Gefühl, es ist oft auch okay, nicht ernstgenommen zu werden. In gewissen Momenten zumindest. Das braucht es irgendwie auch. Eigentlich ist es recht schlimm, wenn du immer ernstgenommen wirst. Das würde ja heissen, du machst alles richtig. Und das ist ja nicht so.

In der Arbeit mit jungen Menschen kann sich viel schneller eine Augenhöhe einstellen. Das merke ich gerade auch bei Stückentwicklungen immer wieder. Die Rückfragen, die da kommen, sind durchaus kritisch, aber nie im Sinne von «Ich weiss es besser», sondern oft aus einem aufrichtigen Interesse hinaus. Wenn da dann etwas auf der Bühne nicht funktioniert, dann ist da niemand, der mir das Gefühl gibt, ich wüsste nicht, was ich tue. Sondern es ist einfach klar: diese Anlage funktioniert nicht, punkt, weitergehen, anderes ausprobieren.

In der Arbeit mit Profischauspieler:innen hingegen musst du immer erst beweisen, dass deine Anlage funktioniert. Da musst du gleich zeigen, dass du weisst, was du tust. Und wenn dann was scheitert, ist es viel schwieriger, das Problem gemeinsam zu analysieren, weiterzugehen und eine andere Lösung zu suchen. Du musst dich da immer als Person in der Theaterwelt beweisen. Viele haben ja selber ständig das Gefühl, sie müssen sich erst als Person beweisen, bevor man überhaupt über eine Sache sprechen kann.

Vor allem mit männlichen Schauspielern über 40, die viel Spielerfahrung haben, habe ich als Regisseurin schon mehrmals ähnliche Erfahrungen gemacht. Da wird von mir verlangt, dass ich mich erst beweise; muss zeigen, dass ich weiss, was ich tue, bevor ich mit ihnen arbeiten kann. Das sind wirklich einfach oft Männer, teilweise auch junge. Das finde ich krass.

Auch in der Arbeit mit jungen Menschen musst du erst Vertrauen gewinnen und dich beweisen. Aber da spielt es meistens keine Rolle, dass du eine junge Frau bist. Da ist es ein anderes Sich-Beweisen-Müssen. Da geht es viel mehr um die Sache, um die Situation und nicht um dich als Person.

Darum bringe ich manchmal Anlagen aus der Arbeit mit jungen Menschen auch in Projekte mit Erwachsenen. Das hilft oft, um schneller zur Sache zu kommen und in der Situation anzukommen – und zu bleiben.

...

Ich habe als Kind schon angefangen Theater zu spielen. Das hat mich natürlich geprägt. Aber ich wusste bald, dass ich nicht Schauspielerin werden will, sondern mehr im Hintergrund arbeiten will. Meine Maturarbeit war dann auch ein Theaterstück. Leider hat es danach mit dem Dramaturgie-Studium nicht gleich auf Anhieb geklappt. Erst nach sechs Jahren und Regieassistenzen und anderem habe ich es noch einmal probiert und wurde dann an der ZHdK aufgenommen.

Ob ich in 20 Jahren noch Theater mache, weiss ich nicht. Es wird wohl auch eine finanzielle Frage sein. Irgendwann wird der Hustle so lange angedauert haben, dass ich sage: «Okay, ich gehe in eine Institution.» Oder ich werde Lehrerin. Finanziell ist es eh madness. Soviel von der Arbeit ist unbezahlte Arbeit. Das kann natürlich nicht ewig so weitergehen. Aber je länger ich in dem Hustle drinstecke, um so deutlicher wird, dass es fast nicht möglich ist, ohne einen Fixjob ein bisschen Sicherheit zu haben. Es ist verdammt schwierig, als Freischaffende allein von Theaterarbeit leben zu können.

 

Was ich mag

Bücher, Sommergewitter, Rosé trinken, Kofferworte, frisch gewaschene Wäsche zusammenfalten, Eiskaffee, Blumensträusse, Fiat 500, Sonnenaufgänge, 6-Stunden-Wanderungen, Sonnenbrillen, Sprüche auf Tshirts, Gespräche, bei denen alle Beteiligten intensiv mitdiskutieren wollen, knackige Trauben, frisch eingetopfte Zimmerpflanzen, die Melodie von einem Lied im Kopf laut beim Fahrradfahren mitsingen, wenn jemand Tolles spontan bei mir klingelt und mit mir Kaffee trinken möchte, Ausflüge an unbekannte Orte, Pilze, Eichhörnchen, Delias Kind, Achterbahnen, Glacé, Küsse, E-Gitarren, Liebeserklärungen, frisch geputzte Zähne, wenn man in der Stadt die Sterne sehen kann, Feierabend

 

«Bilder deiner grossen Liebe» mit Johanna Köster und Urs Jucker wird noch zweimal am 17.12. & 18.12.2023 im Theater Winkelwiese Zürich gespielt.

Das Kollektiv goldtiger, mit u.a. Dominik Baumann, Fiona Schreier, Mikki Levy-Strasser und Theresa Künz, arbeitet zurzeit an einem neuen Stück.

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