Wie mein Prozess aussieht, wenn ich Musik mache, hängt davon ab, was ich genau machen will. Der Prozess des Komponierens am Computer und der einer Live-Performance ist ein anderer. Also muss ich es auf zwei verschiedene Arten beschreiben. Wenn ich live spiele, dann basiert mein Prozess auf der Improvisation. Meine Herangehensweise ist dabei sehr praktisch, sehr materiell. Es gibt schon auch eine theoretische Seite daran, aber die Theorie wächst dabei aus der Praxis, aus der Arbeit mit den Materialien und daraus, sensibel mit dem Raum, dem Publikum und allen anderen Faktoren, die eine Performance umgeben, zu arbeiten.
Improvisation ist etwas, das ich schon seit langer Zeit mache, über 50 Jahre schon, also bringe ich da viel Erfahrung mit. Viel Zeit, um darüber nachzudenken, mit anderen Menschen zu arbeiten, zu diskutieren. Dank all dieser Zeit stapelten sich Schicht um Schicht an Erfahrungen, wie man das machen kann.
Ich habe Improvisation auch zehn Jahre lang unterrichtet und sagte da immer, dass man Improvisation eigentlich nicht lehren kann. Man kann die Voraussetzungen schaffen, dass Menschen improvisieren können, dass sie darüber nachdenken können, was passierte. Und dies wird wiederum das nächste Mal beeinflussen. Es ist also auch immer eine sehr persönliche und eine sehr körperliche Weise, Musik zu machen.
Ein Grossteil des Prozesses kommt eher aus der gelebten Erfahrung als aus Entscheidungen, was man erreichen will oder einem theoretischen Rahmen, den man realisieren will, was eine komplett andere Herangehensweise wäre. Improvisation ist etwas, das du einfach tust. Vielleicht machst du es schlecht, vielleicht gut, aber du lernst sowieso im Verlauf des Prozesses. Schlussendlich kommt es aber immer wieder zurück zu grundlegenden Punkten wie: der Raum, die Umstände, die Materialien, alle diese Dinge.
Wenn ich komponiere, mit dem Computer arbeite, dann ist der Prozess ein anderer. Da steht erstmal auch die Frage nach den Klängen, die man entwickelt, im Raum. Oft generiere ich diese Klänge auf eine sehr ähnliche Weise wie in einer improvisierten Performance. Es kann ein sehr simples Motiv sein wie ein Reiben. Ich arbeite mit Grundlagen wie Material, Vibration, Resonanz, physischer Dynamik. Damit entwickle ich dann Klänge. So kann man eine breite Palette an Sounds generieren. Ich sammle also diese Klänge zu einer Bibliothek, aus der ich dann Klänge kombiniere. Ich erlaube damit dem Stück, sich zu entwickeln und zu sagen, wohin es gehen will. Ich habe dieses Gefühl, dass die Objekte, mit denen ich arbeite, lebendig sind. Ich kombiniere sie und passe ihre Positionen so an wie eine Gemeinschaft. Dann beobachte ich, ob es funktioniert – und manchmal tut es dies dann auch nicht.
Für diese materiellen Beziehungen brauche ich immer bescheidene Materialien, um die Klänge zu entwickeln. Zum Beispiel eine Kartonschachtel oder einfach Papier, etwas das einem vertraut ist, etwas Alltägliches. Vielleicht hast du dir Schuhe gekauft, oder Teebeutel und die waren verpackt in einer Kartonschachtel, die du magst. So ergibt sich darin eine persönliche Referenz, da geht es mir besonders um mein alltägliches Leben. Wenn ich diese Schuhe kaufe, dann kann ich die Schachtel für meine Performance brauchen. Ich mag diesen Aspekt, dass ich so meinen Alltag in die Performance einfliessen lassen kann. Also ja, ich könnte mein Leben natürlich sowieso nicht von meiner Performance trennen. Ich mag auch, dass da etwas Ökologisches dabei ist. Die Objekte erzählen etwas über die Ökologie des Lebens. Die meisten dieser Objekte sind nicht solche, die ich teuer in einem Laden kaufe, sondern meistens Dinge, die ich recycle.
Ein passendes Publikum für eine Improvisation muss eigentlich Teil der Entwicklung der Performance sein. Denn wenn ich Solo arbeite, habe ich noch keine klare Idee, in welche Richtung ich die Performance entwickeln will. Ich spiele da immer sehr instinktiv. Ich würde sagen, dass ich zwar einen kompositorischen Sinn habe, über diesen versuche ich aber während der Improvisation nicht nachzudenken. Mich interessiert es, Menschen zu aktivem Zuhören anzuregen. Ich will Menschen nicht auf eine bestimmte Weise beeinflussen. Was ich bewirken will, ist eine gewisse Offenheit für das Zuhören. Ich glaube, wir reden viel über Musik, viel über Klang, aber zu wenig über das Zuhören. Wenn du nicht aktiv zuhörst, dann wird vieles davon, was ich mache, als irrelevant oder unbedeutend erscheinen – oder wird gar nicht wahrgenommen. Also geht es mir besonders um das Zuhören, und ich denke, dies wäre gerade jetzt sehr wichtig. Es gibt viele Situationen, in denen sich die Leute nicht zuhören und es wäre besser, wenn da etwas weniger Lärm und ein wenig mehr Zuhören wäre.
Wir sind in einer visiozentrischen Kultur grossgeworden. Eine Kultur, die hier in Europa so bereits seit Jahrhunderten existiert. Primär wird das Sehen als Realität und als Wahrheit bemerkt. Dieser Fokus beginnt sich zu verschieben, dies aber auf eine komplizierte Weise. Diese Verschiebung entsprang aus diversen Initiativen des 20. Jahrhunderts. Besonders in den letzten dreissig Jahren entwickelte sich ein Fokus auf die Reflektion des Klanges und des Hörens.
Wir trainieren uns darauf, die Sinne zu erweitern. Für einige Menschen, die bis anhin noch keine Aufmerksamkeit auf ihren Hörsinn gelenkt haben, kann man simple Techniken anwenden, um ihnen das Potenzial aufzuzeigen. Eine Variante dafür wäre beispielsweise, sie auf einen Soundwalk mitzunehmen, eine Erfahrung, die für sie wirklich offenbarend sein kann. Ich war eigentlich immer sehr skeptisch gegenüber diesen Soundwalks. Aber als ich noch unterrichtete, habe ich ab und zu einige Leute auf einen Soundwalk mitgenommen und war begeistert, wie dieser sie berührte und ihre Perspektive beeinflusste. Einige waren wirklich schockiert, Dinge zu hören, die sie zuvor noch nie gehört hatten. Wir müssen realisieren, dass es Leute gibt, die ganz am Anfang ihres Prozesses des Zuhörens stehen. Für sie gibt es noch so viel zu lernen, was wirklich spannend für sie sein kann. Wir können unsere Sinne unser ganzes Leben lang entwickeln, das ist ein fortlaufender Prozess.
Hier im Wallis bin ich nicht losgegangen, um mir die Natur anzuhören, aber das ist tatsächlich etwas, das ich tue. Vor zwei Wochen war ich in Australien und dort hatte ich fantastische Erlebnisse mit Glockenvögeln und Flughunden. Und ich ging auch an einen singenden Sandstrand, wo der Sand quietscht, wenn man darauf geht. Solche hörbaren Begegnungen können so schön sein und sie erweitern immer deine Perspektive als Zuhörer:in.
Musik höre ich zurzeit nicht so oft wie früher. Ich arbeite ja mit Materialien oder mit Instrumenten, ich spiele noch immer jeden Tag Gitarre. Ich höre schon immer noch bestimmte Arten von Musik und ich höre mir immer alles an, was um mich herum passiert. Es ist interessant, diese Begebenheit, nicht so viel Musik zu hören. Ich habe in meinen jüngeren Jahren so viel Musik gehört, ich hörte mir alles an, was ich in die Finger bekommen konnte, die obskursten Sachen. Ich suchte nach solcher Musik und wurde sehr gut darin, die seltsamsten und esoterischsten Beispiele für Klänge oder Musik aufzuspüren.
Jetzt konzentriere ich mich mehr darauf, was ich selber mache und dies dann weiterzuentwickeln und darüber nachzudenken, was ich tue. Dort liegt jetzt gerade mehr mein Fokuspunkt.. Natürlich höre ich noch immer Musik von anderen Menschen, ich bewundere es auch immer noch, aber es berührt mich einfach nicht mehr auf dieselbe Weise wie früher. Da gibt es zwar schon Musiker:innen, die mich noch immer so berühren und die höre ich mir dann auch immer und immer wieder an, aber einfach weniger, als ich das früher tat.
Ja, ich denke, das Aufkommen von Ambientmusik in den letzten drei Jahren könnte eventuell auch der Pandemie entsprungen sein. Vielleicht ist das etwas Offensichtliches, aber die Pandemie war ein traumatisches Ereignis und die Perspektiven darauf, wie das Leben aussehen kann, wurden drastisch verändert. Natürlich hat dies verschiedene Menschen auf verschiedene Weisen beeinflusst. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich eigentlich so leben will. Nicht unbedingt so isoliert, aber dieses Gefühl eines Lebens ohne den normalen Druck, den normalen Zyklus der Dinge, ohne Verpflichtungen. Frei zu sein von diesen Dingen fühlte sich für mich unglaublich an. Es waren diese Dinge, mit denen ich zuvor zu kämpfen hatte. Und plötzlich befand ich mich in diesem Zustand. Aber für andere Menschen war die Pandemie traumatisch. Für jene Menschen, für die zur Arbeit zu gehen und im Arbeitsumfeld mit Menschen Zeit zu verbringen deren gesamte Identität darstellte, kamen plötzlich Fragen darüber auf, wer sie überhaupt sind. Dazu kamen auch die Angst, die Menschen, die starben, der Verlust von Einkommen, das Kämpfen ums Überleben. Alle diese Dinge waren traumatisch für die Menschen.
Die Tatsache, dass sich die Rhythmik des Lebens so drastisch änderte, könnte dazu geführt haben, dass viele Menschen nach Musik suchten, die eine andere Form annimmt und die nicht unbedingt eine Auflösung im Sinn hat. Musik, die sich einfach in einem gewissen Fluss entwickelt. Schon immer hatte ich ein Notizbuch, in das ich Buchpassagen, die mich inspirierten, Ideen, oder Beschreibungen von Ereignissen schrieb. Aber in dieser Zeit habe ich tatsächlich begonnen, ein Tagebuch zu führen, in das ich täglich reinschrieb, wie ich mich fühlte, wie das jeweilige Wetter war, was ich am Tag machte und so weiter, einfach, um meinem Leben eine gewisse Struktur zu geben. Am Anfang dieses Jahres hörte ich wieder auf damit, wahrscheinlich vor allem deshalb, weil ich mich wieder vollends am Leben beteiligt fühlte. Ich brauchte nicht mehr diese Aufnahme meines Lebens, weil jetzt kann ich mich wieder daran erinnern, was an jeweiligen Tagen passiert. Während der Pandemie wurde alles irgendwie formloser.
Ich denke, die Menschen suchten auch eine Form des Trostes, sie brauchten Beruhigung, etwas, damit sie sich besser fühlen. Bestimmte Arten von Ambientmusik können so etwas auslösen. Ich habe auch Sachen gemacht, die man als Ambientmusik beschreiben könnte. Aber ich habe auch vieles gemacht, wo man dies nicht kann. Für mich heisst Ambient vor allem Umgebung. Natürlich ist dies noch ein wenig komplizierter, weil die Umgebung zum Beispiel auch in uns eindringen kann, wie beispielsweise Luft. Wir sind umgeben von Luft, aber sie ist auch in uns drin, wenn wir sie einatmen. Was heisst das nun für uns, wenn wir über Ambientmusik nachdenken? Für mich ist es Musik, die sich mit dem Raum beschäftigt, mit allem, was wir die Umwelt nennen. Ich denke da an viele verschiedene Arten von Musik, die ich als Ambientmusik beschreiben könnte, weil sie auf eine Art sehr sensibel mit der Umwelt und dem Raum, in dem sie kreiert wurden, umgehen. Diese Herangehensweise ist mit Sicherheit der Haupteinfluss für die Dinge, die ich tue, aber wenn du meine Musik hörst, würdest du sie wohl nicht Ambient nennen. Sie erscheint vielleicht zu harsch, zu dynamisch. Manchmal ist sie extrem leise und manchmal extrem laut, trotzdem denke ich nicht, dass Ambient einfach ein ebener Verlauf sein muss.
Die Musik, die ich mache, ist nicht etwas, dass man im Hintergrund abspielen würde, zumindest das meiste davon nicht, manche könnte man vielleicht schon. Aber mir geht es bei meiner Musik besonders um Fokus. Das ist eigentlich ein sehendes Wort, aber man könnte sagen, dass es in meiner Musik um «Deep Listening» geht. Es geht um Konzentration und darum, Aufmerksamkeit darauf zu legen, wie sich Dinge bewegen, wie Dinge mit dem Raum interagieren. Es geht um die Akustik des Raumes selbst, und so weiter. Meine Musik ist in einer Weise sehr «ambient», aber es ist nicht Ambientmusik als Genre.
Als ich «Ocean of Sound» geschrieben habe, war Ambient für mich auch ein Werkzeug. Ich wollte ein Buch schreiben, in dem ich mich damit beschäftige, andere Wege zu finden, um über die Musik des 20. Jahrhunderts nachzudenken und wie sich diese entwickelte. Dafür brauchte ich eine gute Form. Plötzlich kam dieses Ding, die Ambientmusik auf, und mir war es natürlich bereits bekannt, seit ich mit Brian Eno in den 70ern gearbeitet habe. Ich war fasziniert, besonders auch von den Settings, in denen diese Ereignisse stattfanden, diese Clubsettings. So ging ich in den frühen 90ern an diese Ambientpartys und Clubs, das waren wie normale Partys, aber die DJs spielten Ambientsets in diesen besetzten Häusern. Also schrieb ich in «Ocean of Sound» darüber. Alles war noch recht offen zu der Zeit, es war ähnlich wie mit Disco, am Anfang gab es noch keine Discoplatten, sondern es gab einfach Platten, die in dieser Szene funktionierten, und dann begannen die Leute irgendwann, Discoplatten zu produzieren. Und mit der Ambientmusik war das ähnlich. Zuerst spielten die DJs einfach Field Recordings von Vogelgeräuschen, Brian Eno oder klassische Musik. Erst danach begannen die Menschen, elektronische Ambientmusik zu produzieren und so wurde es zu einem Ding, einem Genre. Ab diesem Punkt gelangte es auch an die Labels und damit an das Musikbusiness. Ich finde diesen Moment am Anfang immer sehr interessant, an dem sich alles noch in dieser Workshop-Situation befindet und die Leute noch am herausfinden sind, was passiert und was man tun kann. Ich finde es weniger faszinierend, wenn alles bereits ein fixiertes Genre ist.
«Ocean of Sound» war ein Buch, das sich komplett gegen dieses Konzept der Genre-Kategorisierung stellte, es versuchte absichtlich alle Arten von Genres zu vermischen und andere Wege zu suchen, um über Dinge zu sprechen. Das ist auch sonst immer meine Herangehensweise, wenn ich meine Musik mache. Wenn ich ein Soloalbum veröffentliche, wird es darauf verschiedenste Arten von Musik geben. Auf eine Art ist es wie ein Filmsoundtrack. Wenn du dir beispielsweise ein klassisches Soundtrackalbum von Ennio Morricone anhörst, gibt es ein grosses Thema, eine sentimentale Ballade, richtig experimentelle, seltsame Begleitmusik, und das wird alles auf einem Album vereint, dieses Format hat mir schon immer gefallen. Ich habe immer gesagt: die einzige Musik, die ich mir nicht anhöre, ist die Opernmusik. Dann begann ich aber, Opern zu hören. Ich habe noch immer eine geteilte Meinung zu Opernmusik, aber ich kann sie mir anhören. Und ich höre mir auch Country an, alle Arten von Musik. Du kannst dich dazu auch selbst überwinden. Früher habe ich mir keine Countrymusik angehört, aber dann habe ich begonnen, einige richtig gute Songs anzuhören, und die klangen grossartig. Du kannst dich immer weiterbilden und dich von deinen Vorurteilen und deinen Begrenzungen entfernen.
Das ist etwas Fundamentales, denn Musik artikuliert vieles davon, was Menschen wichtig ist. Oft leben Menschen in engen Richtlinien und die Musik, die sie hören, artikuliert immer sehr klar, wer sie sind. Wenn du anfängst, die Musik der Menschen, die sie hören, zu erfassen, beginnst du auch, mehr über sie zu verstehen.
In meiner Jugend begann ich, viel Musik aus aller Welt zu hören. Was mir dabei auffiel, war, dass die Struktur der Musik viel über die Gesellschaft aussagte, aus der sie gewachsen ist, das muss sie unweigerlich. Musik, die für uns seltsam oder verstimmt klingt, drückt Lebensweisen aus, die uns ebenfalls unbekannt sind. Es sind Lebensweisen, die anders sind als unsere.
Für mich ist es offensichtlich, dass wir andere Wege finden müssen, um zu leben. So, wie wir jetzt leben, ist wirklich katastrophal, es ist voller Gewalt und destruktiv. Diese Weise zu leben verschlingt unser eigenes Leben. Musik ist eine jener Formen, durch die wir verstehen, dass wir uns dafür einsetzen können, anders zu leben. Aus dieser Perspektive ist es sehr wichtig, dass wir in der Lage sind, verschiedenste Arten von Musik zu hören, oder sie zumindest wertzuschätzen anstatt sie abzulehnen.
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