No Home? Ist das Bad Bonn und die Bad Bonn Kilbi ganz und gar nicht – aber bei der Programmbekanntgabe, die auf die uniformen Festivalcircuits pfeift und die wohleingerichteten Hör- und Konzertroutinen immer wieder zerstört, brauchts zuweilen einen Moment, um die Orientierung wieder zu erlangen. Wo also beginnen?
Nicht ganz vorne, sondern bei No Home. No Home ist Charlie Valentine; mit dem Album «Fucking Hell» und diesen Lo-Fi-Punk-Gospel-Noise-Tracks «about life and death, playing the devil and feeling one inch of love» war No Home erstmals weiter herum zu vernehmen. Und es geht dank dem Tape «Young Professional» immer noch weiter. «Okay let’s start again» ist der erste Satz dieses Albums, danach: der Lärm, die Aufruhr, der sweet stuff. Oder wie Charlie Valentine schreibt: «Dreams are real. Listen to them.»
«Everyone’s Crushed»: Dieses Duo hat mit dem Matador-Stunt-Pop-Debüt vor einem Jahr so viele glücklich gemacht. Die Songs? Immer lustig – und auch good, sad, happy, bad. Wer bekanntere Songs will? Hört einfach ihre Coverversionen von Hits wie «Call Me Maybe».
Speaking of Good Sad Happy Bad: Die beste Band mit Marc Pell, CJ Calderwood, Mica Levi und Raisa Khan ist auch in Düdingen – vielleicht mit den «Shades»-Slackersongs, die zunächst fast allzu normal wirkten, und seither ewige Runden im Schatten wie im Sonnenlicht drehen. Aber vielleicht: wird ja alles ganz anders. So blessed.
Auf die grosse Bühne: Rebecca Solari und Pascal Stoll veröffentlichen Ende März das spektakuläre Album «Cemento», auf dem das Duo in vielen Sprachen durch die zubetonierten Gegenden rast. Rote Flaggen? Gibts hier nicht. No stop – bis an die Kilbi (und von dort dann immer weiter, etwa ans B-Sides auf dem Krienser Sonnenberg).
Film 2 und Radon haben sich während einer Residenz im Clubhaus eingenistet, und zeigen nun auch einem grösseren Festivalpublikum, wie die unbewusste Liebe und die Wave of Destruction dieser beiden Bands zusammengefunden haben. Wer schreien will? Count me in.
Alors quoi? Die Band von Valérie Niederoest und Christian Garcia-Gauche veröffentlichte eben das reindriftende Album «Faire ça», das von Kwake Bass (aka Gefährte von Kae Tempest und Coby Sey und Co.) produziert wurde. Die Wüste scheint nah in diesem Dub-Bass-Gitarrenschredder-Blues mit den scheinbar superstoischen Stimmen, am Ende aber: da steht uns das Wasser bis zum Hals.
Ins Haus nun, zu dieser Non-Jazz-Jazz-Band aus Frankreich mit dem Alarm Twist – und den rausgleitenden Flugbewegungen, die bis in unberührte Spaces führt. Bis zu einer neuen Erleuchtung? Wer weiss (oder will) das schon. Strahlen reicht ja auch.
Ohne Präsenz und das Präsentsein (das nicht mit dem blossen Dabeisein zu verwechseln ist): um das gehts bei diesem Festival immer. Superpräsent: das wird die No-Disco-Wave-Noise-Band um Alli Logout mit Sicherheit sein, mit Glamüberresten, mit New-Orleans-Soul, mit der Dringlichkeit der Gegenwart, mit Hits wie «Midnight Legend». Danach: zum Merch-Stand mit Nagelknipser.
Bamanya hat das Afrorack gebaut, «Africa’s first DIY modular synthesizer, a huge wall of home-made modules and FX units». Wie es oszilliert und in alle Bewegungen gerät, das ist auf dem fantastischen Nyege-Nyege-Album mit dem schlichten Titel «The Afrorack» nachzuhören. An der Kilbi trifft die «African Drum Machine» und sein Erfinder auf die Computermusikerin Jessica Ekomane. Für die Afropollination.
Auf zu anderen kosmischen Wellenlängen: Papiro öffnet unten am See seinen Koffer und sucht in vordigitalen elektronischen Instrumenten nach einer weitoffenen Musik, die zuletzt auf den «giftland»-Lesereisen von Dominic Oppliger zu hören war. Nun spielt er ganz allein, mit Aussicht auf den Schiffenensee, der bei diesen expandierenden Sounds zum Ozean werden könnte.
Muovipussi letztes Jahr im Haus, auf der B-Stage, am See! Dieses Jahr? Spielen Blanco Teta auch überall und an allen Tagen. 2023 veröffentlichte die transfeministische Punk-Noise-Avantgarde-Band aus Buenos Aires ihr Album «Rompe Paga» auf Bongo Joe – und machten am Etats-des-Choses-Sommerabend auch bereits im Club halt. Es war ein schöner und dringlicher Abend, auch weil die Typen mit den Kettensägen überall lauern.
Hyper-90er-Emoglitchpop? Gibts auf dem Album «softscars» von yeule – mit den höchsten Gitarrenhöhen und Zeilen wie «25, traumatized, painting white on my eyes», während am Schluss die «Aphex Twin Flame» angezündet wird. Bis zur Katharsis.
Die Bands sind sehr alive an der diesjährigen Kilbi – auch dank den Fomies aus Vevey mit ihrem losspringenden DIY-Garagerock, der das «Lakeside Fever» ansteigen lässt. Bessere Orte für solche Musik? Gibts vielleicht auf einem anderen Planeten.
«Dreams are real. Listen to them», heissts weiter oben. Bei Dreamcrusher, ganz am Schluss auf der B-Stage, werden sie heavy cute zerstört, mit extremen Noises, mit sehr viel Trockeneis. Bei allen Erschütterungen (und so doof das nun klingt): Dreamcrusher trifft mitten ins Herz.
Unvergessen bleibt die Schlussschicht von Debonair im letzten Jahr – und unvergessen sowieso all die Sets von DJ Fett, der nun direkt vor Nabihah Iqbal seine Singles smashen wird. Nabhiah Iqbal hat 2023 ihr lange nachglühendes Album «Dreamer» veröffentlicht und spielt vor und nach dem Sonnenaufgang: die Musik und Verstrahlungen, die wir mit nach Hause nehmen werden.
Das komplette Programm
Do, 30.5.: EXEK, Crumb, Crème Solaire, Backxwash, EYE, Lucas Monème (DJ Set), Alina Arshi , Cinq, Water From Your Eyes, Fat Dog, HiTech, Palme Cadelli, Misuse Value, No Home, Blanco Teta, Kabeaushé, Mathis Neuhaus, La Zizanyx
Fr, 31.5.: 222Rn, Fomies, Special Interest, Blanco Teta, Ndox Électrique, Evian Christ, PLF, Meril Wubslin, High Vis, Naomie Klaus, Afrorack & Jessica Ekomane, Hammam Elektrik, Urin, Parasite Jazz, DJ Haram, DJ Marcelle, ¥ØU$UK€ ¥UK1MAT$U, TRNSTN Radio Bollwerk, Fritz Schuler, Papiro
Sa, 1.6.: YHWH Nailgun, Ustaad Noor Bakhsh, Good Sad Happy Bad, yeule, Chelsea Wolfe , Fantastic Twins, Coco, Sextile, CASISDEAD, Meth Math, Dreamcrusher, Junee, Laure Betris , Soyuz, jason from the lake, Les Soeurs Doga & Viktor Marek, DJ Fett, Nabihah Iqbal, TRNSTN Radio Bollwerk, Tiernoise, Blanco Teta
An allen drei Tagen: Lucas Monème & Bernhard Zitz (Installation auf dem Weg bis zum Entrée)
splatz.space ist Medienpartner:in der Bad Bonn Kilbi 2024. Mehr zum Festival: spätestens am 30. Mai.
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