Ein Morgen im Sommer. Das Wasser funkelt wie ein Sternenhimmel in einer klaren Nacht. Sie stehen bis zu den Knien im Wasser, die Badehosen farblich aufeinander abgestimmt. Ihr Blick ist auf das andere Flussufer gerichtet, wo sich die Urbanität vor ihnen auftürmt. Es könnte einer dieser Momente sein, die dem Wasser die Strahlkraft entziehen, der Situation die Romantik, dem Urlaubsgefühl die Leichtigkeit.
Wenn wir mehr Zeit hätten, dann könnten wir für immer leben, du und ich, wir zusammen. Wir könnten spielen wie die Kinder und Pläne schmieden für die Zeit, in der wir zusammen altern. Das Leben. Wenn wir mehr Zeit hätten (frei aus: Khruangbin «Time (You and I)»).
Es könnte aber auch einer dieser Momente sein, die sich wie für immer anfühlen. Ihre Hand an seiner Hüfte, träumt sie vom Glanz des kühlen Nass, während die Hitze der Nacht langsam verdampft. Und er? Steht stramm und standhaft und schaut mit ihr in die gleiche Richtung.
2019 begibt sich Sina auf eine dreiwöchige Reise durch den Osten. Mit im Gepäck der Wunsch, die eigene Bildsprache zu verändern – sie nahbarer zu machen. Fortan richtet sich ihr Blick vermehrt auf die Menschen, die ihr auf dem Weg begegnen. Intuitiv und spontan hält sie Augenblicke fest, in denen sie eine Natürlichkeit erkennt, die sie berührt. Die daraus entstandenen Bilder zeugen von einer Poesie des Schnappschusses.
Zuhause beginnt sie mit einer Auslegeordnung der Bilder. Sie findet Zweierkonstellationen, die in der Gegenüberstellung neue narrative Stränge eröffnen. Dazu hört sie intensiv Musik und fügt zu jeder Bildkombination einen ausgewählten Song hinzu. So schnürt Sina Päckchen für Päckchen zusammen, bis sich eine Abfolge von 42 Doppelseiten formiert. 2020 wird die Vernissage der daraus entstandenen Publikation ausgiebig gefeiert. Diese trägt den Titel «6:51:32» – denn so lange dauert das gesamte Seh- und Hörerlebnis.
Die elegante und stolze Erscheinung habe Bodo ausgemacht, der Hund, der sich stets leichtfüssig und federnd fortbewegte. Sein Fell in vollem Glanz, elfenbeinfarben seine langen, seidigen Haare. Doch Bodo war ein Sensibelchen. Er war leicht zu kränken. Und er vergass nie. Vergass nie, welches Essen ihm eigentlich besser schmeckte, wann der Frisörtermin anstand und auch nicht das Funkeln des Halsbands von Hermès im Schaufenster. Regen.
Sich wiederholende Klangabfolgen, sie hallen, kreieren Spannung. In der Ferne kreischen Krähen. Nach 2 Minuten, 48 Sekunden ist der Spuk vorbei. (frei aus: sky H1 «Arctis»)
Die Diagnose Afghanenmyelopathie kam unerwartet. Mit einem rosafarbenen Handschuh fassten sie die Leiche an und ummantelten Bodo mit 88 Pfingstblumen. Dass es so bald keinen neuen Hund geben würde, darüber sind sie sich einig. Und während sie mir die schicksalshafte Geschichte ihres Hundes erzählen, streicheln sie abwechselnd und liebevoll über die hüfthohe Porzellanfigur. Denn als solche kommt Bodo in aufrechter und erwartungsvoller Haltung für immer auf dem Spannteppich im Korridor zu stehen.
Während ich die Lieder höre, merke ich, dass sie die Stimmung in den Bildern nicht nur verstärken, sondern auch in neue Bahnen lenken können. So persönlich die Auswahl von Sina, so individuell ist die Verknüpfung von Musik und Emotionen. Bestimmt hat Sina als gelernte Grafiker ein geschultes Auge für Bildaufbau. Die musikalische Ebene passiert dabei freier und folgt keiner bestimmten Theorie. So sind es mitunter Lieblingslieder oder Songs, die Sina an Erlebnisse und gefühlsvolle Momente erinnern.
Ich wollte doch nur kurz duschen. Doch da war sie. Ihr Blick auf mich gerichtet, stand sie herausfordernd auf der Armatur und warf mit ihrem karierten Muster einen harten Schatten auf die aschfahlen Plättchen an der Wand. Vorsichtig streife ich meine Kleidung ab und steige mit einem Fuss in die Badewanne. Halte erwartungsvoll inne. Als nichts passiert, folgt mein zweiter Fuss. Nun stehe ich direkt neben ihr, berühre sie fast. Ich spüre ihre Anwesenheit, ihre Aura. Und ihre Zartheit. Ihre verspielt gelbe Textur lässt mich an eine Frühlingswiese voller wilder Krokusse denken. Auf meiner Zunge bildet sich der Geschmack von Zitrone.
Und noch während ich die Augen schliesse, spielt sich plötzlich alles in verzehrter Zeitlupe ab. (Frei aus: Daglig Tale «Bysund»)
Vorsichtig lasse ich den Wasserstrahl über sie hinabfliessen und beobachte, wie die Tropfen von ihr abprallen, wie sie durch die Rillen hindurch in die Wanne plätschern und im Abfluss verschwinden. Violette Blasen. Doch auch dieser Tagtraum, so schnell er auch gekommen war, zieht alsbald dahin. Wie heisser Dampf wird er durch die verstaubten Rillen des Abzugs, ins Quartier, über die Landschaft und den Horizont hinaus in den tiefschwarzen Himmel hinausgeblasen, in Einzelteile zerlegt, um im Weltall zu verpuffen.
Sina hält Situationen fest, die anecken, bei denen irgendetwas nicht zu stimmen scheint und die dadurch irritieren. Vielleicht auch erst auf den zweiten Blick. Manchmal ist es die Suche nach solchen Momenten, die sie antreibt und manchmal hilft ihr das Erfassen durch die Kamera auch einfach, um an Orten anzukommen, die ihr noch fremd sind. Und so sind ihre Fotografien wie einzelne Puzzleteile, die sich im Ganzen nach und nach erschliessen.
Sina Egli mag
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