Lu: Ich glaube, Forcefield ist so eine klassische Story von ein paar Friends, die alle irgendwie Musik gemacht haben. Einige haben aufgelegt, andere gerappt oder klassische Musik gemacht. Es ist darum gegangen, einen Raum zu suchen, in dem wir alle üben können. Als der da war, haben wir schnell gemerkt, dass wir irgendwie mehr wollen. Es entstand die Idee einer Plattform, auf der wir uns in dieser Musik-Bubble als TINFA* Personen gegenseitig Energie geben können.
Ziemlich bald haben wir angefangen Vernetzungsanlässe zu organisieren. Wir haben gekocht und versucht, verschiedene Leute aus der Musikszene einzuladen. Irgendwann sind Partys und Konzerte dazugekommen.
Verschiedene Artists begannen damit, den Namen Forcefield an Veranstaltungen zu benutzen. Der Name hat sich also gestreut, als wir noch gar nicht genau wussten, was das jetzt bedeutet. Auch durch Social Media.
Wie beschreibt ihr euer heutiges Gesamtverständnis?
Ivie: Label, Booking, Management. Alles zusammen eigentlich – auf einer professionellen oder funktionellen Ebene. Aber grundsätzlich ist es auch einfach eine Gruppe von Leuten, die ihre Skills teilen und sich so gegenseitig helfen. Eine Art Unterstützungsnetz.
Ich bin seit dem Sommer als Grafikerin dabei, habe Forcefield aber schon vorher gekannt. Was immer fest nach aussen getragen wurde, ist dieser Wunsch oder Anspruch, in der Musikszene etwas zu verändern und in Frage zu stellen, wie sie aufgebaut ist.
Lu: Als wir gemerkt haben, dass wir uns schon recht viel aufgebaut haben, standen wir vor der Entscheidung, ob das jetzt so bleiben soll oder ob wir einen Step weitergehen. Wir hatten alle Bock, weiterzugehen. Und ja, jetzt im Moment stehen wir mitten in unserer Professionalisierung. In diesem Prozess haben wir schon viel Strukturierungsarbeit geleistet. Früher haben alle einfach irgendetwas gemacht. Jetzt gibt es mehr Aufgabenteilung und verschiedene Ressorts, für die jeweils mindestens zwei Personen zuständig sind: Booking und Management, Label, Kommunikation und Vermittlung und Finanzen.
Ivie: Einmal pro Monat gibts eine Sitzung, an der alle da sind. Ansonsten organisieren sich die verschiedenen Ressorts selbst. Wir beide machen z.B. gemeinsam Grafik und Kommunikation. Darin sind wir recht selbständig und tragen dann die Dinge, die auch alle betreffen, in die monatliche Sitzung.
Lu: Es basiert halt irgendwie auf Vertrauen. Daher sind die Ressorts auch sehr autonom. Wenn wir z.B. etwas entwerfen, holen wir nicht immer von jeder Person ihre Meinung ein. Wir entscheiden vieles ressortintern, ansonsten würden wir einfach nicht weiterkommen.
Es gibt natürlich ein paar Entscheidungen, die an die ganze Gruppe getragen werden. Neue Zusammenarbeiten mit Artists beispielsweise oder wenn wir eine neue Person ins Kollektiv aufnehmen wollen.
Ivie: Meistens kommen neue Artists aufs Label zu – z.B. um eine EP rauszubringen. Es ist aber auch schon vorgekommen, dass wir Leute mega nice fanden und sie angefragt haben.
Lu: Und Lou vom Booking und Management hat ihre Artists mitgenommen als sie Teil von Forcefield wurde. Manche sind entweder nur beim Label oder beim Booking, andere bei beidem. Wir versuchen immer auf die individuellen Bedürfnisse der Artists einzugehen. Wer hat Lust auf wie viel Austausch? Was können wir anbieten? Nebst der Distribution von Musik, Promogeschichten oder Medienkontakten ist auch der mentale Support ein recht grosser Teil der Zusammenarbeit mit den Künstler*innen.
Ivie: Und das ist wahrscheinlich auch das, was ein konventionelles Label von unserem Label unterscheidet. Dass man zwischenmenschlich mehr rein gibt. Das ist einerseits toll und auch schön für die Artists, diesen Austausch zu haben und andererseits braucht es halt viel Zeit. Wie bei vielen dieser Kulturjobs müssen wir ein bisschen schauen, wie wir es schaffen, diesen Spagat zu machen.
Wie kuratiert ihr? Habt ihr Stilkriterien?
Lu: Wir schauen natürlich immer, was uns anspricht und was wir flashig finden. Damit es labelintern auch Spass macht, daran zu arbeiten.
Ivie: Und wir haben einen Fokus auf noch nicht so bekannte Artists. Also keine Leute, die schon eine zehnjährige Backstory und drei Alben rausgebracht haben. Unser Ziel ist es, Artists auszusuchen, die den Support noch brauchen und wollen und versuchen dann dort irgendwie Erstplattform zu sein. Ansonsten ist es stark eine geschmackliche Auswahl. Wir haben Hip-Hop, Rap, aber auch sehr viel experimentellen und elektronischen Sound.
Lu: Forcefield ist mittlerweile ein Brand geworden. Eine Plattform, über die sehr viel läuft. Viele Veranstaltende wissen einfach, dass es safe ist, mit uns zusammenzuarbeiten.
Das ist schön zu hören, kann aber auch ein bisschen schwierig sein. Wenn wir z.B. von Veranstaltenden angefragt werden, die so ein bisschen am strugglen sind mit ihrem Club oder Restaurant. Orte in Bern, die dann Forcefield einladen wollen, à la: «Wenn wir das machen, geht’s dann schon.» Das finde ich schwierig. Aber ich glaube, damit haben wir mittlerweile einen Umgang gefunden. Man muss nicht allem zusagen.
Aber zurück zur Frage, warum es heute noch Labels braucht: Ein Label kann auch eine grosse Arbeitsentlastung sein. Für das Administrative und das Technische, z.B. alle Tracks raufladen oder einen Vertrieb haben… Das sind Dinge, mit denen wir uns auseinandergesetzt haben und für die wir als Label ein Konzept entwickelt haben. Nicht jede Person, die Musik macht, muss sich all diese Steps selbst überlegen. Es geht auch darum, Energien zu sparen. Schlussendlich kommt noch dazu, dass wir halt einfach gut vernetzt sind in der Musikbranche.
Es gibt natürlich Momente, in denen Zweifel hochkommen, ob wir das alles wirklich können und schaffen. Dort spielt teilweise bestimmt auch unsere Sozialisierung mit rein… Wir haben ja nicht gelernt, ein Label zu führen. Aber Fakt ist, dass das niemand konkret gelernt hat. Auch Booking/Management gibt es in der Schweiz nicht als Lehre oder Ausbildung. Basically sind alle, die das machen, ein bisschen DIY. Und dort haben wir uns immer wieder sagen müssen: Hey wir können das und wir machen das einfach. Fake it till you make it.
Das bringt auch Verantwortung mit sich.
Lu: Ja mega. Wir haben mit Forcefield angefangen und dann ist es so schnell gross geworden. Das war auch schon ein Thema: Was diese Plattform alles mit sich bringt. Auch das Branding. Aber es gibt immer wieder neue Schritte, für die wir uns bewusst entscheiden. Und gemeinsam zu wachsen und diese Prozesse zu durchleben, ist sehr schön.
Ivie: Es bringt auch Verantwortung gegenüber den Artists mit sich. Dieses Versprechen, dass es auch gut kommt, wenn du unter uns rausgibst. Oder bei unseren Partys: Es müssen auch Leute kommen, wenn wir was organisieren. Das ist einfach ein Stress, der da ist. Dabei wäre es auch nicht schlimm, wenn es dann mal nicht klappen sollte. Aber man macht sich den Druck ja trotzdem. Und je mehr du gegen aussen trägst: «wir sind super und wir können das», desto tiefer fällst du halt, wenn’s mal nicht klappt.
Lu: Und dort sind wir dann schon ein mega Netz. Dass wir uns innerhalb vom Kollektiv auch mal halten können in solchen Situationen. Und es dann gemeinsam reflektieren und versuchen, Dinge besser zu machen. Sich nicht von einem Moment alles absprechen lassen.
Habt ihr Vorbilder in der Musikbranche?
Ivie: Wir haben da ein kleines Vorbild, v.a. in der Gestaltung. Sie heissen Sentimental Voices. Ein Label aus Barcelona. Ich weiss gar nicht mehr, wie wir die gefunden haben, aber die gehen so in eine ähnliche Richtung wie wir. Uns ist aufgefallen, dass sie ein ganz anderes Bild von sich zeigen als die normalen, oft sehr grossen Labels. Viele dieser Riesengiganten wirken in ihrer Gestaltung sehr hart. So wie diese Branche auch einfach hart sein kann. Bei Sentimental Voices wirkt das irgendwie anders, feiner. Im Namen, der Grafik oder auch in ihrer Auswahl der Artists.
Für die Forcefield Gestaltung habe ich sehr fest aus dem Gefühl heraus gearbeitet. Ich habe mir versucht zu überlegen, wie ich Forcefield wahrnehme. Um was geht es uns? Was wollen wir verkörpern? Und dann soll es auch immer ein bisschen nach Spass aussehen. Das ist grundsätzlich meine gestalterische Haltung. Denn es soll ja Freude machen beim Arbeiten. Das entspricht auch der Forcefield-Mentalität. Darum ist es ein guter Match.
Eine Gesamtgestaltung oder ein Gesamtkonzept sind mir sehr wichtig für einen professionellen Auftritt. Deshalb war die Website ein grosser Schritt im Prozess unserer Professionalisierung. Wenn du merkst, die haben sich auch Zeit genommen und überlegt, wie sie nach aussen wirken wollen, wird man einfach ernster genommen. Diese Überlegungen gingen von einem neuen Logo aus, das Lynn Birrer gemacht hat.
Jetzt werden noch die ganzen Briefsachen gestaltet. All die Zettel, die so offizielle Dokumente sind. Ich finde es wichtig, dass es als Gesamtpaket funktioniert und man merkt: Das ist von Forcefield.
Viel Arbeit in Richtung Professionalisierung geht auf Social Media. Das ist wirklich ein mega Posten. Wir beide haben dafür zusammen ein Konzept erarbeitet, das Lu jetzt ausführt.
Lu: Wir versuchen, mehr Reels zu machen, das Videomaterial aufzustocken. Bewegte Bilder machen promomässig sehr Sinn. Newsletter-Geschichten versuchen wir auch aufzubauen, allgemein die ganzen Medienkontakte zu erweitern. Und auch in der Finanzierung sind wir dran. Wir haben jetzt eine Person, die für uns Fundraising macht. Finanziell ist noch alles sehr offen. Wir alle gehen noch Lohnarbeit nach, für die wir bei Forcefield auch mal runterstocken müssen. Wir sind ein kapazitätsorganisiertes Kollektiv und das geht irgendwie einfach nicht auf. Das ist sehr schade.
Ivie: Ein bisschen Flexibilität in der Absicherung wäre top. Dass wir nicht im Minus landen und auch mal ein bisschen Kapital haben, um Dinge wie Merch anzureissen. Wahrscheinlich ist es unrealistisch, eine so grosse Gruppe in einem fairen Stundenlohn auszuzahlen. Aber alle so finanzieren zu können, dass es irgendwie reicht – das wäre ein grosser Traum.
Muss sich dafür auch gesellschaftlich etwas verändern, in Bezug auf den Wert von Kultur?
Lu: Ja, dort gibts eine Riesenlücke.
Ivie: Die geleistete Arbeit ist ja da, auch wenn sie nicht in systemrelevanten Jobs erbracht wurde. Und es steht auch fest, dass unsere Gesellschaft ein grosses Bedürfnis nach Kultur hat und es deshalb Förderungen braucht. Aber mit Independent-Projekten ist es einfach schwierig, genug Sichtbarkeit zu erlangen. Du musst dich immer wieder neu beweisen. Und das ist sehr viel Arbeit. Je entwickelter unser Konzept ist und je besser wir formulieren können, was wir genau möchten, umso besser läuft es auch mit Anfragen und Finanzierungsanträgen, denke ich.
Lu: Es ist halt auch ein Risiko. Gerade in der Musikbranche kannst du nicht einfach einen Businessplan machen wie bei einem Start-up. Es kann sein, dass eine Single unerwartet durch die Decke geht. Und eine andere, erfolgsversprechende, halt nicht. Klar, du kannst ein bisschen steuern, wie du es promotest, aber es bleibt eine recht unberechenbare Arbeit.
Ivie: Darin liegen auch die Schwierigkeiten mit upcoming Artists zu arbeiten, die noch nicht so bekannt sind. Deshalb brauchen wir unbedingt das Funding. Das ist einfach ein fixer Posten, der besetzt sein muss.
Lu: Und wir haben bald eine Schulung mit einer Person aus der Wirtschaft, die uns dabei hilft, einen konkreten Businnessplan aufzustellen. Aber dort den Spagat zu schaffen, zwischen diesem kapitalistischen Gedanken von Arbeit und unserer Vorstellung von Arbeit – das wird anspruchsvoll sein, das zu handlen. Wir möchten uns auch treu bleiben können bei dem, was wir uns bis jetzt aufgebaut haben.
Was wären das konkret für Eingeständnisse an kapitalistische Arbeitsformen?
Lu: Sicher diese zwischenmenschliche Komponente. Unsere Arbeit und unsere Dienstleistungen klarer abstecken, wodurch dann halt wenig Raum für mehr bleibt. Zeit sparen. Effizienter arbeiten. Weniger Leute in Arbeitsprozesse einbinden. Dinge, die für uns schon schwierig sind, umzusetzen. Oft machen viele Leute gemeinsam etwas, das auch eine Person alleine machen könnte. Das führt teilweise dazu, dass Sachen doppelt gemacht werden. Es ist zum Beispiel nicht super effizient, dass im Moment vier oder fünf Leute beim Label arbeiten. Aber irgendwie steht der Entscheid, dass wir nicht immer alleine arbeiten möchten.
Ivie: Wir versuchen uns in die aktuellen Arbeiten gegenseitig Einsicht zu geben und uns darin irgendwie zu unterstützen. Ich bin sehr froh, dass ich die ganzen Grafiksachen nicht alleine machen muss und wir uns auch dort austauschen können. Das bin ich mir sonst nicht so gewohnt, das ist schon cool.
Und abgesehen von den Arbeitsprozessen ist das Ganze ja schon mega low budget. Ich glaube, in den Umsetzungen kann man nicht mehr viel einsparen. Vielleicht härter werden in irgendwelchen Verhandlungen über Vertrieb und Recht? Ich weiss es nicht.
Lu: Wir brauchen halt den Cash wie alle anderen auch und müssen jetzt schauen, wie wir das machen können.
Ivie: Ist alles work in progress…
Lu: Schlussendlich gibt uns die Arbeit einfach sehr viel. Deshalb machen wir sie auch.
Um zu wissen, dass man an etwas dran ist und irgendwie versucht, Strukturen zu verändern und Raum einzunehmen. Gerade in Bern, wo alles wirklich langsam vorangeht, tut es gut, an etwas dran zu sein.
Wie wichtig ist euch der Bern-Bezug?
Lu: Dadurch, dass wir alle hier wohnen, ist Forcefield schon eher Bern zentriert. Wir kennen uns hier auch am besten aus und sind vernetzt. Und Forcefield ist auch aus dem Wunsch heraus entstanden, in dieser Bern-Bubble etwas zu verändern. Klar schwappt es dann über auf andere Städte, Kantone, whatever. Aber der Ursprung ist halt hier.
Wir haben eine Partyreihe im Dachstock, ZOFF ZORRE, die findet so vier bis fünf Mal pro Jahr statt. Dort geht es u.a. darum, Repräsentation zu schaffen und verschiedenen Artists Platz zu geben. Nicht nur aus Bern, sondern etwa auch aus der Westschweiz. Denn dort gibts einen riesen Disconnect in der Musikszene.
Im kommenden Jahr wollen wir allgemein ein bisschen mehr Vernetzung machen zwischen Musikschaffenden. Das wäre auch was fürs Ressort Vermittlung. Eine Person, die versucht, mit anderen Städten oder Orten zu connecten. Aktuell sind wir auch am schauen, ob wir vielleicht international was organisieren können.
Ihr denkt sehr gesamthaft und versucht, viele Aspekte in eure Arbeit miteinzubeziehen.
Ivie: Ja, das fägt halt am meisten. So lernen auch alle mehr dazu. Früher habe ich mich für die Musikindustrie interessiert, aber hatte durch meine Arbeit keinen persönlichen Zugang. Bei Forcefield können wir spartenübergreifend Dinge entstehen lassen und gemeinsam als Kollektiv wachsen. Auch wenn nicht alle selbst Musik machen.
Dadurch, dass alle in ihren Ressorts irgendwie am chüechle sind, kriegt man viel auch nicht mit. Plötzlich ist wieder etwas Neues da. Es war auch mega cool, als wir plötzlich sagen konnten, dass die Website jetzt launched. Und alle waren so «yess huere geil».
Lu: Ich wünsche mir für die Zukunft, dass wir weiterhin flexibel bleiben können. Ich glaube, es ist wichtig, Entscheidungen einfach zu treffen. Wenn es dann nicht passt, müssen wir es halt später noch einmal angehen. Also flexibel sein und Spass am Projekt haben. Und sich auch mal in der eigenen Rolle reflektieren, damit es nicht so verhockt und starr wird. Aber ich glaube, da sind wir alle recht offen.
Ivie: Ich habe ein gutes Gefühl. Wir bekommen viel positives Feedback. Viele Leute wollen mit uns zusammenarbeiten – das Interesse ist da. Die Leute kommen auch an unsere Partys. Es scheint ein Need da zu sein für das, was wir machen. Forcefield ist in Bern einfach irgendwann eingefahren und war so: «Wir sind jetzt da.» Und das bist du dir von einer TINFA* Gruppe einfach nicht gewohnt. Dieser Spirit vom Label ist stark und hält immer noch an, deshalb bin ich auch sehr hoffnungsvoll.
Was wir mögen
Ivie
Lu
Mehr Infos: www.forcefieldrecords.com
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