Ich liebe es, Musik zu machen. Gleichzeitig sollte man die Musik, die einen umgibt, schätzen. Denn es ist fast so wichtig, Musik zu hören und in sich aufzunehmen wie Musik herauszugeben. Musik ist eine Form der Interaktion, sie ist kein Take-Take-Take-Ding, es ist vor allem ein Geben.
Die Show, die wir eben gespielt haben, spielten wir zu zweit. Dieses Duo hat mittlerweile ein ganz eigenes Leben erhalten. Zu Beginn begleitete ich Tirzah vor allem als DJ, ich sang, spielte ein wenig Perkussion. Mittlerweile bin ich noch mehr am Multitasken, wechsle zwischen der DJ-Konsole, dem Bass, den Keyboards, der Perkussion, der Tongue Drum und Gitarre, singe. So vergrössern wir die Sound-Palette, erhalten andere Texturen und eine andere Resonanz, als wenn wir ausschliesslich elektronisch spielen würden.
Wie wir zu zweit spielen, wirkt sich wieder auf die Konzerte aus, die wir zu dritt mit Mettashiba spielen – und umgekehrt. Es ist alles miteinander verflochten.
Es ist eine grosse Ehre und eine Freude mit einer Person wie Tirzah aufzutreten. In ihrer Art, wie sie singt und Songs schreibt, liegt eine Sanftheit, sie gibt so viel Wärme und Raum. Und die Menschen hören ihr sehr aufmerksam zu. Denn bei Tirzah gibts keine Selbstdarstellung, keine Flashiness. Sehr wenige Menschen haben diese Fähigkeit, als Sänger:in einfach zu sein wie sie sind.
Wenn wir zusammen Musik aufnehmen, liegt unser einziger strikter Ansatz darin, dass wir offen und präsent sind im Moment. Und wir nehmen uns Zeit innerhalb des Zeitrahmens, den wir gemeinsam zur Verfügung haben.
Curl hat formell 2016 begonnen. Wir machten alle unsere Sachen schon zuvor, spielten auch schon zusammen. Und ich spürte den Drang, ein Label zu gründen.
Ich machte bereits Praktika bei Labels, half meinem älteren Bruder Kwes mit seinem Label. Brother May und Mica wollten eine gemeinsame EP veröffentlichen, wir sprachen darüber, ich sagte, «yeah yeah, ich denke eh schon darüber nach, etwas aufzubauen».
Ich habe ein sehr spezifisches Gedächtnis, ich weiss nicht wieso, aber ich erinnere mich an die zufälligsten Dinge genau. Jedenfalls gingen ich und Mica in einen dieser kleinen Express-Supermärkte, und Mica nahm sich einen Curly-Wurly-Schokoriegel. Und ich sagte mir: «Sure, Curl oder Curly soll der Name des Labels sein.» Ich fragte später Tirzah im Übungsraum, welchen Namen sie wählen würde, und sie sagte sofort: «Curl.»
Nach verschiedenen Mixtapes erschien die EP «Meeks and May». Und anstatt diese nur zu veröffentlichen, fragte ich mich: «Wieso machen wir aus Curl nicht gleich eine Partnerschaft zwischen Mica, Brother May und mir?» So kann es zu einem Ort werden, an dem wir Ressourcen teilen, Musik veröffentlichen und verschiedene Sachen ohne jeglichen Druck und in unserer eigenen Zeit ausprobieren können. Es gibt niemanden, der andere in Positionen bringt, in denen sie nicht wohl sind. Bei Curl kann man Experimentieren, Sachen auf die eigene Art und die eigene Geschwindigkeit machen. Das ist unsere Übereinkunft.
Seither ging es weiter und es gibt so viele Personen, die Teil davon sind. Wir luden viele Freund:innen ein, machten Events, spielten Shows, beispielsweise im Block 336 auf Einladung von The xx oder an einem Ort namens Ghost Notes in Zusammenarbeit mit Giles Kwakeulati King-Ashong, der bekannt ist als Kwake, der so viele bei ihren Liveshows unterstützt. Kwake erinnert mich an Forge, der einer meiner liebsten X-Men-Charakter ist. Seine Superkraft ist die Fähigkeit, bei jedem Instrument oder einem Stück Technik intuitiv herauszufinden, wie es funktioniert. Mein Bruder Kwes kann das auch. Viele, die ich bewundere, können das.
Jedenfalls ging es darum, den Vibe aus diesen Events in unsere Band zu bringen.
Auf früheren Tourneen erschien Curl wie eine Rockband mit Gitarren, am Konzert an der Bad Bonn Kilbi waren eure Instrumente ausschliesslich CDJs.
Eigentlich spielen wir öfters mit unseren CDJs denn als Rockband. Wir sind einfach Instrumentalisten, und dann kommt es auch gar nicht so drauf an, ob es ein CDJ oder eine Gitarre ist.
Wenn wir zusammenspielen, spielt Vertrauen eine wichtige Rolle. Wir spielen ja nicht nur zusammen, wir hören auch genau aufeinander, und wissen, wann wir spielen, und wann wir eben nichts spielen sollen. Für mich ist das zentral in allen Projekten, in denen ich involviert bin, mit Curl, mit Tirzah, mit Lafawndah: Zu wissen, wann man sich durchsetzen kann und will, und wann man sich wieder zurückziehen soll.
Manchmal ist dieses Vertrauen gleich sofort da, das wirkt dann schon fast übernatürlich, manchmal braucht es auch viel Zeit. Der Schlüssel, damit das klappt, liegt sicherlich in der Offenheit gegenüber vielen verschiedenen Herangehensweisen und Zugängen zur Musik.
Für meine Solo-EP «010» wusste ich, dass ich einen Weg finden muss, um mein Quartier Lewisham zu erfassen. Dort bin ich aufgewachsen. Da gab es gute Zeiten, natürlich auch schwierige Zeiten. Aber das wichtige war, die Umgebung, in der ich drin war, miteinzubeziehen, diese zu umarmen. Ich versuchte, die Architektur dieses Stadtteils und die Landschaft in meinen Stücken zu kanalisieren. Und diese Umgebung auch ins Metaphorische zu übertragen. Beispielsweise schrieb ich den Song «All Change» etwa ein halbes Jahr nach einer Trennung – mittlerweile sind wir wieder Freunde, aber zu jener Zeit war es schwierig, und ich wollte das irgendwie direkt ansprechen, es aber gleichzeitig auch mit Lewisham in Verbindung setzen, mit der Architektur, den Gebäuden, den Zügen, den anderen Transportmittel. Es war ein Weg, die Dinge anzugehen. Und dieser Weg hat sich dann auch auf andere Stücke der EP übertragen.
Lewisham ist nicht immun gegen die Gentrifizierung, das geht nun schon lange so. Es braucht eine grosse Anzahl an Menschen, die sich vereinen, um diesen Prozess abzuschwächen. Es ist nicht einfach, aber es ist nicht unmöglich, das zu entschärfen.
Eine weitere EP, «River», ist geprägt durch meinen Aufenthalt in Island, als die Pandemie gerade begonnen hat. Ich wollte auch da die Atmosphäre der Orte und der Zeiten aufnehmen. So steht auch diese Aufnahme für eine Art Wendepunkt, für eine neue offene Türe, für einen Moment, an dem ich die Dinge, auch das emotionelle, mit einer anderen Sprache übermitteln konnte.
Ich brauche eine gewisse Zeit, um Dinge in Worte zu fassen. Diese Schwierigkeit prägt auch meinen nächsten Release «Conduit», der im Herbst erscheint, und direkter, «more upfront» sein wird. Ich hoffe, dieses neue Album wird das zeigen. Und ich arbeite noch an anderen Sachen mit Freund:innen, da kommt also noch viel.
Du wechselst immer wieder die Rollen, bist Sänger, Produzent, Multiinstrumentalist, MC. Als Rapper bist du beispielsweise auf dem Lol-K-Track «Oilseed Stone» zu hören.
Ich trat oft als MC auf, aber es gibt nur wenige Aufnahmen. Doch es hängt einfach vom Song ab. Und manchmal fordert ein Song genau das. Und manchmal brauchts einen anderen Zugang mit der Stimme, die für mich ein Instrument ist.
Es geht doch einfach um Ehrlichkeit, um Musik, die von einem Ort stammt, der nicht künstlich ist.
Du hast auch Seals «Kiss From a Rose» gecovert.
«Kiss From a Rose» ist ein Song aus meiner Kindheit, den ich liebe, deshalb wollte ich den Song covern. Seal war ja vor seiner Rolle als «The Voice»-Juror ein «big thing» und ein Sänger, der in seinem Akzent singt. Er gibt nicht vor, dass er einen anderen Akzent hätte. Viele meiner Lieblingssänger:innen sind Musiker:innen, die eine sehr eigene Stimme haben und in jenem Akzent singen, in dem sie sprechen. Ähnlich ist es bei Sade.
Ich habe noch kein Cover veröffentlicht, und vielleicht nehme ich dann auch noch mehr auf, wobei: ich will es nicht zu einem Markenzeichen von mir machen. Es macht einfach grossen Spass, das zu machen.
Du teilst Musik in deiner monatlichen Sendung auf NTS.
Ich spiele dort Musik, die in mir und hoffentlich auch in anderen Resonanz auslöst, es gibt keinen Druck, ich kann alles spielen, worauf ich Lust habe.
Plattformen wie NTS erinnern mich daran, wie wichtig und notwendig es für Menschen ist, Sachen zu finden, von denen sie nicht wissen, dass es sie überhaupt gibt. Und die dann in ihnen etwas auslösen, etwas bewegen. Mehr denn je ist das wichtig.
Es gibt viele andere Plattformen, die das machen. Das sind nicht nur Radiostationen wie etwa auch Dublab, das sind auch Festivals mit einem offenen Mindset wie das Rewire in Den Haag, die Bad Bonn Kilbi oder das B-Sides hier. Diese Plattformen und Orte erinnern auch daran, dass es nicht nur eine Art und Weise gibt, wie man sich mit Musik beschäftigen kann und wie man sich auf Musik einlassen kann. Sie erweitern die Sprache, die Bandbreite an Emotionen und helfen, zu kommunizieren und die Welt zu verstehen. Und sie haben mein Vertrauen wiederhergestellt und mir gezeigt, dass es viele Menschen gibt, die das auch wissen. Und die Musik als etwas Kaleidoskopisches begreifen, als etwas, das sehr breit sein kann. Denn die Musik hier kann super experimentell sein, sie kann auch sehr poppig sein. Sie muss nicht nur das Eine oder das Andere sein.
Klar, das ist eine Art zu leben, aber es ist kein elitärer Way of Life. Die Bedeutung von Bezeichnungen wie «weird» oder «geeky» oder «nerdy» sind in diesen Zusammenhängen nicht negativ, sondern positiv besetzt. Denn es ist doch grossartig, wenn die Leute neue Sounds und Musik finden und hören, zu denen sie eine Verbindung spüren und etwas finden, das sie so bewegt. Und sie spüren so etwas, das ihnen zuvor verschlossen war.
Genau das ist so wichtig, und es ist ein grosser Teil davon, was das Menschsein ausmacht.
Was ich mag
Wir trafen uns nach einer Show in Manchester im November 2010, ich glaube es war der erste Donnerstag im November. Ich hörte Groupers Musik etwa ein Jahr bevor, ein Plattenladen in Leeds, wo ich studiert habe, empfahl sie mir. Und diese Musik löste in mir eine riesige Resonanz aus.
Liz hat etwas Spezielles, als Musikerin, aber auch als Person. Ihre Musik ist nicht einfach da, um Trost zu spenden, sie ist auch da, um anzuerkennen, dass es Momente der Hoffnung gibt, der Traurigkeit, der Trauer, der Wut, aber auch der Freude. Sie macht das auf eine sehr eigene Art, so, wie nur sie das kann.
Ich sprach mit ihr nach ihrer Show in Manchester, und ich wusste nicht, was ich sagen soll, und fragte dann nur, ob ich ihr helfen könne. Und ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, ein zwei Sekunden später. Wir umarmten uns und blieben seither in Kontakt.
Unsere Generation kann sich sehr glücklich schätzen, dass sie im selben Zeitfenster wie Liz Harris existiert.
Coby Seys kommendes Album «Conduit» erscheint am 9. September 2022 auf AD 93. Zudem sind Curl Kurator:innen am Le Guess Who?-Festival in Utrecht, das vom 10. bis am 13. November stattfindet.
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